Ad acta

Die apokryphe Einordnung der Bedeutung von Akten vom (sehr spät-) römischen Justiz- und Verwaltungssystem her und für die Welt gesprochen – Quod non est in actis non est in mundo –, erweist sich bereits mit einfachen Fragen nach 1. der Definition von Akten, 2. der Verfasstheit einer Welt die entsprechender Verarbeitungsformen bedarf und 3. danach, wer entscheidet was in Akten zu stehen kommt sowie 4. was von der Erfassung ausgeschlossen wird, während 5. zu klären wäre wer auf welche Weise Zugriff erlangt, als prekär. Abgesehen vom je zuzuweisenden Rechtsstatus auf den Ebenen eines Gemeindewesens und dem immer wieder vorgetragenen Versuch, Akten möglichst neutral bloß als ›Mediencontainer‹ einzuordnen, wäre auch die systematische Durcharbeitung der Frage von Interesse, inwieweit die mit Ablagesystemen und einer Grammatologie der Rekursion in definitorischen Zusammenhang gebrachten ›Akten‹ sich grundlegend ändern, wenn entsprechend ihrer Verfasstheit von Pergament, Papier, elektronischen Akten oder digitalen Datensätzen die Rede ist. Bereits durch die Zeitläufte passiert hier ähnlich Erhebliches wie im Wandel der absichernden Rechtsregime; anzunehmen wäre zudem, dass sich bei den so unterschiedlichen Gemengelagen von Medientechniken die bloße Bestandsaufnahme und Sicherung von Entscheidungsgrundlagen, die strukturierten ›Aktenläufe‹ und die zudem hier angelegten – auf den ersten Blick gegenläufigen – Bewegungen einerseits zur Ablage hin und andererseits zur Wiedervorlage zurück je nach Anlass wesentlich verändern. Der Begriff der ›Akte‹ scheint gleichsam über mit strukturierten und medientechnischen Routinen ausgestattete Verwaltungssystem gedruckt worden zu sein, auch wenn im Englischen von ›Files‹ die Rede ist, im deutschsprachig aufgesetzten Operating System eines Computers ›Ordner‹ ihren Platz haben, wenn in nicht wenigen Ansätzen zu Verwaltungsreformen die Sprachregelung ›Geschäftsstück‹ durchzusetzen versucht wird: alles ›ad acta‹.

Wenn rechtlich abgesichert Akten (je nach Mediengebrauch und -erfordernis der Zeit) unterschiedlichste mediale Formen aufnehmen und diese über Zuschreibungen und Sachverhaltsdarstellungen zueinander in Beziehung gesetzt werden, werden nicht allein bürokratische Aufschreibesysteme mobil gemacht, sondern komplexe Medienverbundsysteme für Entscheidung und Nachweis bedient, was sich zwangsläufig auch auf entsprechende Darstellungs- und Verarbeitungssysteme außerhalb von Amtsräumen auswirken muss. Mediengeschichte lässt sich, bei allem Wandel auch der nutzenden Gesellschaften, entlang der Verwaltungen und ihrer Kulturtechniken verfolgen und beschreiben. Die hierbei zu konstatierenden Rückkopplungseffekte sind über die Jahrhunderte hinweg so präsent wie vielfältig und haben nicht zu überschätzendes Veränderungspotential – wobei die bloße Rede von der ›Akte‹ den größten Bestand zu haben scheint –; wenn dieses bereits im vielerorts vollzogenen Wechsel von Papier- auf elektronische Akten schwer einzuschätzen ist: wie lässt sich dann eine leidlich robuste Prognosefähigkeit dafür herstellen, was im Wechsel auf digitalisierte Verbundsysteme einer Verwaltung, medientechnisch wie soziokulturell wie juristisch, angelegt ist?

Es wäre für Gesellschaften und ihre bürokratischen Systeme nicht ganz uninteressant, halbwegs rechtzeitig zu wissen, inwiefern sich Algorithmen – der ›Machine Habitus‹ ist ebensowenig neutral wie der ›Mediencontainer‹ es sein kann – mit Aktenzeichen, Aktenlauf und der Herstellung von ›Aktenmäßigkeit‹ zu etwas Neuem herausbilden. Was war, was ist und – mit dem Verwaltungstempus Futur II gefragt – was wird eine ›Akte‹ (was wird in der Welt und was nicht) gewesen sein?


Damit die Wortspielebene unter Akt[i]en nicht in Verstoß gerät: Vielleicht wird sich mit Bernhard von Clunys von Umberto Eco abgewandeltem Satz (»Stat Roma [rosa] pristina nomine, nomina nuda tenemus«) aus »De Contemptu mundi« dereinst feststellen lassen: ›Stat acta pristina facta, facta nuda tenemus‹.