Blackout

Victor Hugo lässt (zu Hugos Dichotomien cf. hier) im fünften Buch von Nôtre Dame de Paris (1842) seinen Protagonisten, den Erzdechanten Claude Frollo, der ein Buch in der Hand haltend aus dem Glocken­turm auf die Stadt blickt, anmerken: »Dieses wird jenes zerstören«, womit Hugo die Konzeption einer Kulturgeschichte offen legt: In­dem er sich auf die (für die Zeit der Romanhandlung aktuelle) Innovation des Buch­drucks be­zieht, hält er das Buch den von der Architektur bestimmten Zeit­altern ent­gegen, die zwangsläufig ihrer metaphysische General­präfe­ren­zen und dogmatischen Alleinvertretungsansprüche verlustig gehen müssen. Frollos Rede, und mit ihm die Hugos, handelt von einem Bedeutungswandel der Ausdrucksformen; dieser grundlegende mediale Paradigmenwechsel ist durchaus einer der Leitkunst an sich. Seit dem Ende des 20. Jahrhunderts oktroyiert nun eine zunehmend wachsende maschinelle Apparatur eine neue Leitkultur. Dies ist noch keine Bedrohung, sondern lediglich die mediale, vermittelnde Realität – mit all ihren Parallelschaltungen. Man wird folglich nicht gesagt haben: »Das ist die Rückseite des Blattes«. Man sagt und wird gesagt haben: »Das ist die Kehrseite der Medaille«. Tatsächlich bedeutete, von der anderen Seite des Blattes zu reden, das auf der einen 0, auf der anderen 1 stünde. Und vielleicht hält das eine Medaille, eine Münze (mithin ein materieller Wert), besser aus als ein umzublätterndes Blatt Papier. Wirklich prädestiniert, um entsprechende Verhältnisse zu schaffen, ist jedoch der gegen klingende Münze abzutauschende Chip, der sowohl 0 als auch 1 im steten Wechsel braucht.

(Ihre metaphysische Ursprungsgeschichte bezieht diese Dichotomie vom Ende des 17. Jahrhunderts her, wenn Gottfried Wilhelm Leibniz den »Wunderbaren Ursprung aller Zahlen aus 1 und 0« findet und das binäre Zahlensystem auf dem Gegensatz von Gott zu allem anderen gründet. Alan Turing wird knapp 250 Jahre später das binäre System mit Hilfe von Maschinen dynamisieren, um Botschaften von Menschen dekodieren zu können.)

»Finster, finster«, meint Paul Hörbiger (Hallo Dienstmann!) – und dreht das Licht ab. Maria Andergast bestätigt: »Gar nichts kann man seh’n!« Und im Hintergrund intoniert ein Damen-Trio: »Stell dir vor, es geht das Licht aus / Sag was würdest du dann tun? / Keine Angst, es geht noch nicht aus / Aber trotzdem, sag mir’s nun«. Ob abgedreht oder ausgefallen, die Frage ist aktuell wie in den 50er Jahren: Was passiert, wenn der Strom weg ist? Für die Überführung des Plausches ins Lauschige mag dies durchaus zweckdienlich erscheinen, und der Leser eines gedruckten Buches zündet sich eine Kerze an. Doch was, wenn der Input – weil es ein Bookund kein Buchmehr ist – elektronisch kommen muss?