Die Macht und ihre Ikonen

Großartiges Rüstzeug für die Bilderstürme des 21. Jahrhunderts: ein Handbuch der politischen Ikonografie aus der Warburg-Schule

(Rezension aus 2012 betr.: Uwe Fleckner, Martin Warnke, Hendrik Ziegler [Hg.]: Handbuch der politischen Ikonographie. 2 Bde. München: Beck 2011, 1137 S. u. 1336 Abb.)

Die sogenannten “Medien” der, sagen wir, letzten 100 Jahre legen zumindest drei Befunde nahe. Da wäre zum einen die Feststellung, dass es sich bei diesen Hervorbringungen um angewandte Kulturtechniken handelt. Daran ließe sich anschließen, dass diese Medien keine Einzelerscheinungen sind, sondern sich zu politisch-ökonomisch nutzbaren und folglich auch genutzten Medienverbünden fügen. Schließlich könnte man darauf abstellen, dass das Bild, ungeachtet mancher Rufe nach “ Heiligen Texten” und der Ehrfurcht vor binär codierten Kommandozeilen, einen besser nicht zu unterschätzenden Stellenwert hat.

Dem hier anzuzeigenden Handbuch der politischen Ikonographie geht es jedoch nicht so sehr um eine triviale Parallelschaltung derartiger “ Erkenntnisse”, sondern vielmehr um eine gezielte Zusammenführung. Dann ließen sich wohl auch die hierzulande hinsichtlich ihres Anspruchs forciert bescheiden geführten Debatten über die Abbildungsstrategien in Wahlkämpfen und bei Insertionen spannender gestalten. Bisher handelt es sich meist um Rundumschläge für alle, Ikonoklasmus für jeden, Reflexion für niemanden. Zu ergründen, warum dem so ist, muss an die Spekulation abgetreten werden (etwa: habsburgisch geprägte Bilderlust barock-katholischen Zuschnitts mit hegemonialem Mehrwert). Oder man macht sich lieber selbst ein Bild.

Komplexe Analyse

Jemand, der sich dieser Aufgabe verschrieben hatte, war Aby Warburg (1866-1929) – “Amburghese di cuore, ebreo di sangue, d’anima Fiorentino” -, Kunsthistoriker und wohl auch, mit seiner durchaus komplex zu nennenden ikonologischen Beobachtungs- und Analysemethode, Mitbegründer einer heute (ungeachtet aller Irrläufer) mit “Kulturwissenschaft” umreißbaren Ausrichtung des akademischen Betriebs. Bei seinem Tod hinterließ er nicht nur die von ihm begründete Kulturwissenschaftliche Bibliothek in Hamburg – ganz wesentlich hatte er eine ganze Denkschule geprägt und mit dieser die Bedeutung der Ikonologie etabliert.

Ausgehend von Forschungen zum Nachleben der Antike in der Renaissance war es ihm gelungen, aufzuzeigen, wie sehr Bildinhalte nicht nur ein Eigenleben über ihre ursprünglich intendierte Bedeutung hinaus entfalten können, sondern auch wie sehr sich die einstigen Darstellungsgehalte mit ihrer je neuen Umgebung zu einem noch einmal neuen, zusätzlichen Bedeutungszusammenhang verschränken. Dieses Nachleben mit seiner spezifischen Aussagekraft ist keineswegs ein auf das Gebiet der Kunst beschränktes Phänomen, vielmehr lassen sich derartige Effekte (und gerade Warburg zeigte dies sehr deutlich) bis in die Bildwelten des Alltags hinein verfolgen, gleichgültig, ob es sich um Werbeeinschaltungen, Briefmarken, Münzen oder Buchumschläge handelt.

Wenn nun mit Martin Warnke und Uwe Fleckner (Dritter im Bunde ist Hendrik Ziegler) zwei angesehene Repräsentanten der Warburg-Schule einen gewichtigen Doppelband herausgeben, den sie der “politischen Ikonographie” verschreiben, dürfen die Erwartungen in mehrfacher Hinsicht hoch angesetzt werden. Tatsächlich erweisen sich die zwei ein klein wenig unscharf als “Handbuch” bezeichneten Bände als inhaltliches Schwergewicht ersten Ranges. Gewiss wird es Leser geben, die mit der Materie politischer Ikonografie sich (in welcher Form und aus welchem Grund auch immer) auseinandersetzen müssen – und die beim Blättern durch und Lesen in den Bänden thematische Lücken finden.

Begriffliche Regie

Sicherlich werden Leser und Leserinnen da oder dort diesen einen ganz bestimmten und notwendigen Hinweis gerade hier nicht finden – und dafür jenen dort zu vermissen sich angehalten sehen. Dennoch ist festzustellen, dass es bislang niemand anderen gab, der sich in der Lage sah, für den deutschsprachigen Raum (aber auch weit darüber hinaus) eine derart stupende Fülle an Überblicken zu organisieren, um die 100 Beiträgerinnen und Beiträger aufzubieten, knapp 150 Stichworte auszuwählen, ein durchaus akribisches Lektorat aufzubieten und schließlich der politischen Wissensproduktion nicht wenig an Neuem aufzugeben.

Von “Abdankung” bis “Huldigung” und von “Imperator” bis “Zwerg” – selbstverständlich hat bei der Aufteilung der Schlagworte die ordnende Hand der Herausgeber begriffliche Regie geführt, denn eine allzu pedantische Aufteilung der knapp 1140 Seiten hätte sonst die Stichworte der beiden Bände von “Abdankung” bis “Karikatur” und “Kleidung” bis “ Zwerg” strukturiert. Das wäre natürlich auch in Ordnung gewesen. Aber eben dies nicht zuzulassen und mithilfe der Zuordnung einen zweimaligen ironischen Zusammenhang zu stiften ist dahingehend ein editorischer Fingerzeig, dass man sich der vielfachen Aufgabengebiete eines solchen Handbuchs der politischen Ikonografie durchaus bewusst war. Wobei: “Stichwort” trifft es noch nicht ganz (und würde auch einem enzyklopädischen Missverständnis die Bahn ebnen).

Denn es geht ganz klar um politische Situationen und Themen, wenn etwa vom “Bad in der Menge”, der “Begegnung von Herrschern”, der “Politischen Landschaft”, der “Hand in der Weste” und dem “Politischen Material”, dem “ Recht am eigenen Bild”, den “Zwei Körpern des Königs” oder auch dem “Tod des Herrschers” die Rede ist. “Pflasterstein” und “Exekution”, “Leerer Thron” und “Wahl”, “Majestätsbeleidigung” und “Damnatio memoriae” – die Zusammenhänge zu erschließen, die Kombinatoriken zu erproben: Hier drängen sich tage-, ja wochenlange Lektüren auf, bietet sich immer wieder neues Nachschlagen und Sehenlernen an. Eine Freude und ein Erkenntnisgewinn sondergleichen – auch wenn die mitunter etwas klein geratenen Abbildungen sich gelegentlich einer allzu raschen Einsichtnahme widersetzen.

Aus nahezu jeder der zahlreichen Begrifflichkeiten lässt sich problemlos ein Österreich-Bezug ableiten. So man dies in der Manier eines Sportreporters möchte … Einer liegt bereits optisch nahe: So wird die österreichische Bundesministerin für Verkehr und Infrastruktur mit kämpferischer Pose abgebildet, ihr folgen in den bildlichen Verweisen u. a. Margaret Thatcher und Hillary Clinton, dies erfährt in weiterer Folge eine Rückbindung an extrapolierte Herrschaftsgesten insgesamt, an Formen körperlicher Rhetorik in Statuen, auf Briefmarken und Gemälden.

Deutlich wird, wie wesentlich sich spezifisches “gestisches Vokabular” aus zahlreichen Kulturzusammenhängen, Querbezügen und deren Abbildungsverfahren herleitet, welche Mutationen derartige Gemengelagen durchlaufen – und dass je aktuelle Fragestellungen die Überlieferung mit neuen Zusatzbedeutungen anreichern (dies gerade auch dann, wenn das Schlagwort dazu “Politikerin” lautet).

Die mediale Repräsentation ist hier entscheidend, wobei etwas eingelagert ist, das zwar unverbrüchlich als Erbe durch die Zeiten weitergereicht wird, oft jedoch als nicht erklärbar stehen bleibt – und gerade deshalb der Analyse und Erklärung bedarf.

Das “Handbuch” stellt in dieser Aufmachung und mit all seiner inhaltlichen Tiefenschärfe natürlich auch eine eminent politische Ansage dar, versteht man es als Werkzeugkasten für den eigenen Erkenntnisanspruch. Dann wird es zum Vademecum derjenigen, die sich über Bilder im politischen Zusammenhang Aufschluss verschaffen, ihren medientheoretischen Ansatz überprüfen oder einfach nur auf die forcierte Reflexion des zu Sehenden und daraus ableitbare Anwendungen abstellen möchten.

Den Primat der Politik einzufordern ist das eine, das andere ist die Notwendigkeit, sie nicht nur sehen, sondern auch lesen zu lernen. Hier ließe sich der Bogen zurück zu Warburg spannen: Auch sein Gesamtwerk ergibt sich erst aus der Zusammenschau seiner Teile (was trivialer klingt, als es zu bewerkstelligen ist). So wie bei seinen Texten wird auch das vorliegende Handbuch erst in seiner Zusammenschau und Umlegung auf reale Bildverhältnisse vollständig – Anhänger eines positivistischen Überblicks oder poststrukturalistischer Missverständnisse werden damit jedoch ihre Probleme haben müssen.

In unserem bereits vom monarchischen Erbe her mit Bildnissen reichlich und gut ausgerüsteten Land drängt sich eine derartige Kultur des Umgangs mit Bildnissen vielleicht nicht unbedingt auf. Und ob die mehr als 1100 Seiten der beiden Bände, die 141 thematischen Beiträge von etwa 100 Autorinnen und Autoren, die mehr als 1300 Abbildungen daran etwas ändern können, bleibe dahingestellt. Viel bessere Unterstützung wird es absehbar jedoch nicht geben.

Rez. in: Der Standard v. 14. April 2012