Franz – Josef K. – Grillparzer

»Es ist so, glauben Sie es doch« sagte Franz, führte die Kaffeetasse die er in Hand hielt nicht zum Mund sondern sah K. mit einem langen […] Blicke an.

Franz Kafka, Der Process. H. 1, S. 18 (HKA 1997, hg. v. Roland Reuß u. Peter Staengle)

Zu Beginn von Franz Kafkas unvollendet gebliebenem Roman Der Process (dessen Makrostruktur von der Protokollierung bis zur Stanzung/Lochung über die Aufnahme des Verfahrens bis zur Ablage des ›Geschäftsstücks‹ sehr präzise die Kanzleiordnung der Zeit, betreffend den Umgang mit Akten, wiedergibt), 1925 von Max Bord in dessen Manier erstpubliziert, wird ein Josef K., vorgeblich »verläumdet«, in seiner Wohnung betreten und festgesetzt. (Im Juli 1914 wird die Verlobung mit Felice Bauer gelöst, Österreich erklärt Serbien den Krieg und Kafka setzt den Process auf, ab Jänner 1915 lässt er diese Hefte liegen usw.)

Daß sich in Wien ordentlich leiden läßt, das hat Grillparzer bewiesen.

Franz Kafka an Grete Bloch, 14.02.1914

Ein paar Jahrzehnte davor, 1853, erinnert sich Franz Grillparzer in seiner Selbstbiographie, die erst nach seinem Tod im Nachlass vorgefunden werden wird, an die Nacht vom 18. auf den 19. April 1826 und die Folge(n), als die »Ludlamshöhle« zu Wien (in Haidvogels Gasthaus) seitens der Exekutive zerniert wurde.

Es war damals ein Polizeidirektor in Wien, den ich wohl einen Schurken nennen darf, da er wenig später, wegen Geldunterschlagung, sich selbst den Tod gegeben hat. Er hatte damals eine Beförderung im Sinn, und […] so beschloß er, um sich ein Verdienst zu machen, die Ludlams Höhle als geheime Gesellschaft zu behandeln und als solche aufzuheben. Schon der Lärm den die Mitglieder an ihren Versam̄lungsabenden machten, schloß jeden Verdacht des Geheimen aus. Ja man hatte ihnen sogar Geldbeträge, die sie von dem Überschuß der eingegangenen Strafgelder, für wohlthätige Anstalten alljährlich abführten, als von dieser Gesellschaft herrührend ämtlich quittirt. 
Trotz dem allen wurde das Versam̄lungslokal in einem Gasthause bei tiefer Nacht von Polizeibeamten überfallen, die Thüren gesprengt, die vorhandenen Schriften und Musikaliern weggenom̄en und im Triumph davongetragen. Am darauf folgenden frühen Morgen fanden sich bei mehreren Mitgliedern, aber wohl gemerkt nur bei Schriftstellern, worunter auch ich gehörte, gleicherweise Polizeibeamte ein, welche die Schriften versiegelten, Protokolle aufnahmen und mit einer Wichtigkeit die Verhöre betrieben, als ob das Heil des Staates in Gefahr stünde. Ich durfte denselben Tag meine Wohnung nicht verlassen, ja nicht einmal meinen Bediensteten in’s Gasthaus um Essen schicken. Ein Polizeidiener hohlte das Mittagsmahl, dass wir, ich mit dem Zurückgebliebenen der beiden Beamten, mein Bedienter mit dem im Vorzim̄er aufgestellten Polizeidiener gemeinschaftlich verzehrten. 
Obschon die Polizeibehörde noch am Abende des nämlichen Tages merkte, daß sie eine Dum̄heit begangen habe, trieb sie es doch bis zum wirklichen Urtheilsspruche, der, als über ein schweres Polizei=Vergehen, die bürgerliche Stellung der in der Gesellschaft befindlichen Beamten gefährdet hätte. Das Urtheil wurde nun zwar von der politischen Oberbehörde als lächerlich kassirt; für die Ängstlichen und Schwarzseher blieb aber im̄er ein Mackel auf denjenigen kleben, die der Gesellschaft angehört hatten.

Franz Grillparzer: Selbstbiographie. Hg. u. mit einem Nachwort von Arno Dusini. Salzburg, Wien: Residenz 1994 (Eine österreichische Bibliothek), S. 179f.

Es würde sich anbieten, die knapp zwei Dutzend ersten Seiten von Kafkas Prozess (EA) – oder besser noch die gut zwei Dutzend Seiten des ersten Abschnitts des Processes in der Handschrift (HKA) mit all den Zeugnissen der Arbeit an diesen Zeilen – noch einmal zu lesen und mit dem, was Grillparzer hier vorlegte (und 1914 längst veröffentlicht war), abzugleichen.