Historisches Erzählen nach 1945 | Projektionsflächen [2]

Den Job könnten denn, kongenial & beispielsweise, je auf ihre Weise und bei allen gewiss festzumachenden Unterschieden Alexander Kluge (u.a. seine Methode der Anekdote, die an Kleist sich messen ließe) und Thomas Pynchon (wie viele Schreibende wissen zugleich so viel von der Technikgeschichte des Fliegens und Vernichtens wie Verschwörens, ohne das vorschützen zu müssen?) übernommen haben – wie es zuvor Schmidt und Johnson taten.

[Und bei den zweien bis vieren keine Rede von der Postmoderne-Debatte!, die eh bald sich erledigt haben wird: Anything Ghostwriters– und schon gar keine Rede von Eco, Gaddis, Sontag, Norfolk, Byatt … und ob der postmoderne Roman nicht das letzte Aufflackern des Historischen Erzählens gewesen sei… – und von diesem gerade in seiner unreflektierten Einbildung so langweiligen Kehlmann lässt sich sowieso nicht mehr sprechen.]

Die Genannten legten und legen tatsächlich vor, was literarisch und dann ästhetisch mediatisiert aus all dem oben angedeuteten als ideale Konklusion sich ergibt: historisches Erzählen neuen (und teils rauschhaften) Stils, extrem reflektiert, Krieg und Medien klar im Blick behaltend, die historischen Stoffe im Großen wie Kleinen aufsammelnd, die sonst wie Lumpen am Wegrand liegen blieben, sie verwendend dass es selbst einem Walter Benjamin selig erzählenden Angedenkens die Tränen in die Augen triebe vor Glück.

Kittlers Position, die vorzutragen er in Vorlesungen vorgeblich gerne damit beschloss, dass er auf die Uhr blickte und meinte, dass er nun seinen Freund Pynchon anrufen müsse, ist klar von Einflüssen gekennzeichnet, die er zusammenführte und weiterdachte (Freud, Foucault, Derrida, Heidegger, …). Besonders prägend dürfte die Lektüre McLuhans gewesen sein. Die Medien bestimmen demnach entscheidend, was und wie geschrieben/gesprochen/gedacht wird – so dass auch der Mensch nicht etwa spricht, sondern die Sprache es tut und damit den Menschen erst generiert. Und der Mensch ist bei ihm nicht ingeniöser Erfinder und Beherrscher der Medien, sondern umgekehrt Arbeiter an den Informationsmaschinen (cf. Aufschreibesysteme 1800 1900Grammophon, Film, Typewriter).

Lässt sich daraus weiter folgern, dass ein Historisches Erzählen bei Kittler, angesichts der im übrigen keineswegs unmilitärisch aufzufassenden Mediendominanz, nicht als Erzählen von einer Historie sich verstehen lässt, sondern als medial determinierte Erzählung von einer vergangenen Medienrealität? Wenn Menschen und mit ihnen Geschehen und Geschichte auf Basis einer spezifischen Medienrelation zustande kommen und Mediensubjekte wie -objekte sein sollen, ist es nahe liegend, dass im Zuge eines je gegenwärtigen Mediums von einem vergangenen erzählt wird. Wenn dem so ist, ließe sich eine weitere Vermutung nachziehen, wonach eine klare mediale Situierung Vorbedingung für ein ›abgesichertes‹ Erzählen von Vergangenem ist. Und daraus ließe sich weiterhin schließen, dass das jeweils als aktuellstes anheischig gemachte Medium nur eine Erzählung über sich selbst zu liefern vermag, wohingegen das jeweilige Primärmedium noch dominiert und alleine als solches vom Vergangenen zu erzählen imstande ist. Denn wiederum mit McLuhan gedacht ist es ja so, dass die Medien jeweils von sich selbst erzählen (zuerst wie auch zuletzt), dass sie mithin auch von ihren Vorgängermedien Kunde zu bringen vermögen. Wenn der Computer und die mit ihm zusammenhängenden Leitsysteme den momentan perfektesten Medienverbund mit streng hierarchisierender Struktur darstellen, so kann dann ein Erzählen aus diesem Medium heraus für uns deswegen so gut funktionieren, weil es als Medienverbundsystem all die Vorgängererscheinungen in sich versammelt hat. So wie im 19. Jahrhundert, als Film und Fotografie Richtung Siegesstraße unterwegs waren, das Buch das eingesessene Medium mit breitflächiger Streuungswirkung war (Rede und wieder reden und Widerreden, Erzählerpositionen, Restposten vom alten medialen Ansehen) und sich unter diesen Umständen eineinhalb bis ein Jahrhundert vor seiner angesagten Wachablöse ein Historisches Erzählen sui generis ergeben musste (!), so geben nun Codes, Computer und Chaosforschung jene Linien vor, an denen entlang Historisches Erzählen abgewickelt wird. Seit jeher geht es beim Erzählen – über welchen Gegenstand auch immer – um eine Kulturtechnik in sozialem Zusammenhang, so sehr dies auch mit Aufkommen des Buchdrucks und weitgehenden Alphabetisierungsmaßnahmen auf den ersten Blick solipsistischer zu werden schien. Aber unzweifelhaft ist es auch dann ein Akt kulturell nachvollziehbaren Codierens und Decodierens, des Verstehens. Nur erschien es McLuhan, Friedrich Kittler und all den anderen Mitgliedern der medienhistorisch versierten Bande eben so, dass »Medien« an sich überhaupt kein eigener Gegenstand seien, sondern eine – und zwar die entscheidende! – Dimension jeglicher Kultur.