Man kann doch nicht wissen

Zensur & Grillparzer. Zitiert wird nach der Ausgabe: Franz Grillparzer: Selbstbiographie. Hg. u. mit einem Nachwort von Arno Dusini. Salzburg, Wien: Residenz 1994 (Eine österreichische Bibliothek). Die Selbstbiographie dürfte 1853 verfasst und zurückgehalten worden sein. Die Blätter fanden sich im Nachlass, die erzählten Ereignisse und hier nun Anmerkungen zu den ›Karriere‹verläufen reichen bis 1836.

Ich habe hier scheinbar einen langen Zwischenraum seit Überreichung meines Ottokar übersprungen, der aber eigentlich keiner ist, denn zwei Jahre waren verflossen und ich stand mit meinem Stücke noch auf demselben Punkte. Es war bei der Censur eingereicht worden, dort aber verschwunden. Es wußte Niemand wo es hingekom̄en sey. Anfangs hieß es, es sey der Staatskanzlei mitgetheilt worden und befinde sich in den Händen des Hofrathes Gentz. Ich gieng denn zu Gentz. 
Noch erinnere ich mich des widerlichen Eindrucks, den die Wohnung des Mannes auf mich machte. Der Fußboden des Wart=Salons war mit gefütterten Teppichen belegt, so daß man bei jedem Schritte wie in einem Sumpf einsank und eine Art Seekrankheit bekam. Auf allen Tischen und Kom̄oden standen Glasglocken mit eingemachten Früchten zum augenblicklichen Naschen für den sybaritischen Hausherrn, im Schlafzim̄er endlich lag er selbst auf einem schneeweißen Bette im grauseidenen Schlafrocke. Rings herum Invenzionen und Bequemlichkeiten. Da waren bewegliche Arme, die Dinte und Feder beim Bedarf näher brachten, ein Schreibpult das sich von selbst hin und her schob, ich glaube daß selbst der Nachttopf allenfalls durch den Druck einer Feder sich zum Gebrauch darreichte. Gentz empfieng mich kalt aber höflich. Er hatte mein Stück allerdings empfangen und gelesen aber bereits wieder abgegeben. Ich gieng. Neuer Kreislauf, neue Ungewißheit, zuletzt Verschwinden aller weitern Spur.

FG: SB, S. 138f.

Ich muß noch eine Anekdote als hierher gehörig anführen, und zwar eine Censur-Anekdote. Ein paar Jahre später fuhr ich mit dem Hitzinger Gesellschaftswagen von Hitzing nach Wien. Ich kam neben einem Hofrath der Censurshofstelle zu sitzen, der mir schon früher als Polizeidirektor in Venedig während meines dortigen Aufenthaltes alle Freundlichkeiten erwiesen hatte und mir bis auf diesen Augenblick im̄er zugethan geblieben ist. Er begann das Gespräch mit der damals in Wien stereotypen Frage: warum ich den gar so wenig schriebe? Ich erwiederte ihm: er als Beamter der Censur müße den Grund wohl am besten wissen. Ja, versetzte er, so seyd ihr Herren! Ihr denkt euch im̄er die Censur als gegen euch verschworen. Als Ihr Ottokar zwei Jahre liegen blieb, glaubten sie wahrscheinlich ein erbitterter Feind verhindere die Aufführung. Wissen Sie, wer es zurückgehalten hat? Ich, der ich, weiß Gott, Ihr Feind nicht bin. Aber, Herr Hofrath, versetzte ich, was haben Sie denn an dem Stücke Gefährliches gefunden? Gar nichts sagte er, aber ich dachte mir: man kann doch nicht wissen – ! Und das sprach der Mann im Tone der wohlwollendsten Guthmütigkeit, so daß man wohl sah, der mit den Angelegenheiten der Literatur betraute Beamte habe nicht die geringste Vorstellung von literarischem Eigenthum, sowie daß die Arbeit des Dichters wenigstens eben so viel Anspruch auf Geltung und Vergeltung habe, als die des Beamten oder des Handwerkers.

FG: SB, S. 145f.

Zu Grillparzers »Selbstbiographie« siehe auch:

Franz – Josef K. – Grillparzer
Beamtenhürdenlaufbahn