Objekttücke – Fehlleistung – Wunderblock

a reminder that things seem to be changing

Marshall McLuhan, Understanding Media

Die Tücken der Objekte:

A. E., der inzwischen die Eßlust gestillt, schien zum Abmarsch keine besondere Eile zu haben, steckte sich gemächlich eine Cigarre an und begann zu mir: „Sie geben also zu, daß die Physik eigentlich Metaphysik ist, Lehre vom Geisterreich. Das heißt, ich vermuthe, daß Sie es zugeben, wiewohl ich es Ihnen philosophisch eigentlich noch nicht begründet habe, denn was Sie sicherlich bereits erkannt haben, das ist die allgemeine Tendenziosität, ja Animosität des Objekts, des sogenannten Körpers, was die bisherige Physik geistlos mit Namen wie: Gesetz der Schwere, Statik und dergleichen bezeichnet hat, während es vielmehr aus Einwohnung böser Geister herzuleiten ist.“ […]
„Animos,“ fuhr er fort, — „haben Sie denn auch nur schon beobachtet, wie das fallende Papierblatt uns verhöhnt? Sind sie nicht wahrhaft graziös, die Spottbewegungen, womit es hin und her flattert? Sagt nicht jeder Zug mit blasirt eleganter Frivolität: doch noch gewonnen!? O, das Objekt lauert. Ich setze mich nach dem Frühstück frisch, wohlgemuth an die Arbeit, ahne den Feind nicht. Ich tunke ein, zu schreiben, schreibe: ein Härchen in der Feder, damit beginnt es. Der Teufel will nicht heraus, ich beflecke die Finger mit Tinte, ein Flecken kommt auf’s Papier, — dann muß ich ein Blatt suchen, dann ein Buch und so weiter, und so weiter, kurz, der schöne Morgen ist hin. Von Tagesanbruch bis in die späte Nacht, so lang irgend ein Mensch um den Weg ist, denkt das Objekt auf Unarten, auf Tücke. Man muß mit ihm umgehen wie der Thierbändiger mit der Bestie, wenn er sich in ihren Käfig gewagt hat; er läßt keinen Blick von ihrem Blick und die Bestie keinen von seinem; was man da von der moralischen Gewalt des Menschenblickes vorbringt, ist nichts, ist Märchen; nein, der starre Blick sagt dem Vieh nur, daß der Mensch wacht, auf seiner Hut ist, und Blick gegen Blick, gleich fix gespannt, lauert es denn, ob er sich einen Augenblick vergesse. So lauert alles Objekt, Bleistift, Feder, Tintenfaß, Papier, Cigarre, Glas, Lampe — Alles, Alles auf den Augenblick, wo man nicht Acht gibt. Aber um Gottes willen, wer kann’s durchführen? Wer hat Zeit? Und wie der Tiger im ersten Moment, wo er sich unbeobachtet sieht, mit Wuthsprung auf den Unglücklichen stürzt, so das verfluchte Objekt: plumper oder feiner, wie es kommt, diabolisch fein zum Beispiel das Eisenfeilstäubchen, das mir in’s Auge flog am Morgen, als ich eine Fußreise antreten wollte, auf die ich mich lange gefreut, und das mich um’s Auge zu bringen drohte — o, überhaupt: glauben Sie, wenn ein ordentlicher Mensch reisen will, halten die Teufel ein ökumenisches Konzil, — Vorschläge — Anträge — Amendements — zum Exempel: Antrag: Hühnerauge, Amendement: unter dem Nagel; oder Antrag: Grimmen auf der Eisenbahn, Amendement: in Gesellschaft einer Dame; Antrag: schlecht Wetter, Amendement: zerrissene Schuhe und die neuen zu eng. Doch nicht immer waltet aggressive Form. Das Objekt liebt in seinem Teufelshumor namentlich das Verschlupfspiel. Wie die gute, sorgende, schützende Natur einige Thiere dem Boden gleich färbt, bildet, auf dem sie leben, sich nähren, damit sie der Feind schwerer entdecke — Raupe, Schmetterling der Baumrinde, dem Baumblatt, Hase der Erde gleich —, so verfahren auch gern die Dämonen: zum Beispiel rothbraunes Brillenfutteral versteckt sich auf rothbraunem Möbel; doch Haupttücke des Objekts ist, an den Rand kriechen und sich da von der Höhe fallen lassen, aus der Hand gleiten, — du vergißest dich kaum einen Augenblick und ratsch —“
Wir hörten in diesem Augenblick ein kleines Geräusch von der Seite des dritten Gastes her, sahen ihn hastig unter den Tisch fahren und mit einem Körper in der Hand wieder auftauchen, den er mit großem Schrecken und darauf folgender tiefer Wehmuth betrachtete. Es war sein zuerst mit Butter, dann mit Honig ebenso korrekt gestrichenes, als korrekt geschnittenes Brod, und dasselbe war — „natürlich“ würde A. E. sagen — auf die gestrichene Seite gefallen.
Ich unterdrückte nur nothdürftig einen mächtigen Lachreiz, denn es war doch auch gerade, als ob das „Ratsch“ und das Fallen des Brodes in einem geisterhaften Kausalitätsverhältniß gestanden wären. A. E. sah ganz ernst hinüber und nickte sanft mit dem Kopfe, ohne einen Zug des Spottes, ja eher mit einem Zug der Theilnahme, als wollte er sagen: das kennen wir armen Sterblichen. Der Fremde schoß jetzt nicht nur einen, sondern eine Batterie von Blicken, grimmigen, auf uns herüber und machte sich höchst verdrießlich an das Geschäft, dem unheilbaren Schnitten einen entsprechenden Nachfolger hervorzubringen.
A. E. fuhr ruhig fort: „Dann ist es überhaupt so eine Sache mit dem Ding da, den zwei Dingern, was Kant die reinen apriorischen Anschauungsformen nannte.“
„Raum und Zeit?“
„Eben. Was ist der Raum denn Anderes, als die unverschämte Einrichtung, vermöge deren ich, um den Körper a hieherzusetzen (— er zeigte es an Tassen, Kannen, Körbchen, Flaschen, Gläsern, die etwas dicht auf dem Tische standen —), vorher b dort weg, um Platz für b zu bekommen, wieder c da hinweg stellen muß und so mit Grazie in infinitum —? Und die Zeit? Das ist dasjenige, was man dazu doch nicht hat. Denn Donnerwetter und alle tausend Teufel, leben wir dazu, um zehn Griffe nöthig zu haben zu dem, was kaum Eines Griffs werth ist!“ […]
A. E. war nun gut im Zuge. „Ein andermal,“ fuhr er fort, „sind die Nickel unverschämt in entgegengesetzter Richtung. Jetzt will zusammen, was nicht zusammengehört. Kennen Sie eine der verfluchtesten Formen: das Mitgehen? Wenn so ein liebenswürdiges Blatt, das zum Aktenstoß Y gehört, beim Ordnen, Aufbewahren zu unterst an Fascikel Z hinkriecht und mit hinein in das Schubfach schlüpft und sich über Tag, Woche oder Jahr nicht finden, sich suchen läßt unter Verzweiflung, Wuth, Rennen bis zum Wahnsinn? Dagegen ist so was, wie das bekannte, ewige Unterschlüpfen der Damenkleider unter den Stuhlfuß des Nachbars nur ein kleiner, zierlich pikanter Spaß des teufelbesessenen Objekts, doch interessant als allein schon hinreichend, unsere dumme Physik zu stürzen, denn wer könnte so etwas mechanisch erklären?“

Friedrich Theodor von Vischer: Auch Einer. Eine Reisebekanntschaft. Bd. 1. Stuttgart u. a., 1879, hier S. 30–36.

Vom Vergreifen und den Fehlleistungen:

Es kommt sehr selten vor, dass ich etwas zerschlage. Ich bin nicht besonders geschickt, aber infolge der anatomischen Integrität meiner Nervmuskelapparate sind Gründe für so ungeschickte Bewegungen mit unerwünschtem Erfolg bei mir offenbar nicht gegeben. Ich weiss also kein Objekt in meinem Hause zu erinnern, dessengleichen ich je zerschlagen hätte. Ich bin durch die Enge in meinem Studierzimmer oft genötigt, in den unbequemsten Stellungen mit einer Anzahl von antiken Ton- und Steinsachen, von denen ich eine kleine Sammlung habe, zu hantieren, so dass Zuschauer die Besorgnis ausdrücken, ich würde etwas herunterschleudern und zerschlagen. Es ist aber niemals geschehen. Warum habe ich also unlängst den marmornen Deckel meines einfachen Tintengefässes zu Boden geworfen, so dass er zerbrach?
Mein Tintenzeug besteht aus einer Platte von Untersberger Marmor, die für die Aufnahme des gläsernen Tintenfässchens ausgehöhlt ist; das Tintenfass trägt einen Deckel mit Knopf aus demselben Stein. Ein Kranz von Bronzestatuetten und Terrakotta-Figürchen ist hinter diesem Tintenzeug aufgestellt. Ich setze mich an den Tisch, um zu schreiben, mache mit der Hand, welche den Federstiel hält, eine merkwürdig ungeschickte, ausfahrende Bewegung und werfe so den Deckel des Tintenfasses, der bereits auf dem Tische lag, zu Boden. Die Erklärung ist nicht schwer zu finden. Einige Stunden vorher war meine Schwester im Zimmer gewesen, um sich einige neue Erwerbungen anzusehen. Sie fand sie sehr schön und äusserte dann: ›Jetzt sieht Dein Schreibtisch wirklich hübsch aus, nur das Tintenzeug passt nicht dazu. Du musst ein schöneres haben.‹ Ich begleitete die Schwester hinaus und kam erst nach Stunden zurück. Dann aber habe ich, wie es scheint, an dem verurteilten Tintenzeug die Exekution vollzogen. Schloss ich etwa aus den Worten der Schwester, dass sie sich vorgenommen habe, mich zur nächsten festlichen Gelegenheit mit einem schöneren Tintenzeug zu beschenken, und zerschlug das unschöne alte, um sie zur Verwirklichung ihrer angedeuteten Absicht zu nötigen? Wenn dem so ist, so war meine schleudernde Bewegung nur scheinbar ungeschickt; in Wirklichkeit war sie höchst geschickt und zielbewusst und verstand es, allen wertvolleren in der Nähe befindlichen Objekten schonend auszuweichen.
Ich glaube wirklich, dass man diese Beurteilung für eine ganze Reihe von anscheinend zufällig ungeschickten Bewegungen annehmen muss. Es ist richtig, dass diese etwas Gewaltsames, Schleuderndes, wie Spastisch-ataktisches zur Schau tragen, aber sie erweisen sich als von einer Intention beherrscht und treffen ihr Ziel mit einer Sicherheit, die man den bewusst willkürlichen Bewegungen nicht allgemein nachrühmen kann. Beide Charaktere, die Gewaltsamkeit wie die Treffsicherheit, haben sie übrigens mit den motorischen Äusserungen der hysterischen Neurose und zum Teil auch mit den motorischen Leistungen des Somnambulismus gemeinsam, was wohl hier wie dort auf die nämliche unbekannte Modifikation des Innervationsvorganges hinweist.Das Fallenlassen von Objekten, Umwerfen, Zerschlagen derselben scheint sehr häufig zum Ausdruck unbewusster Gedankengänge verwendet zu werden, wie man gelegentlich durch Analyse beweisen kann, häufiger aber aus den abergläubisch oder scherzhaft daran geknüpften Deutungen im Volksmunde erraten möchte. Es ist bekannt, welche Deutungen sich an das Ausschütten von Salz, Umwerfen eines Weinglases, Steckenbleiben eines zu Boden gefallenen Messers u. dgl. knüpfen.

Sigmund Freud: Zur Psychopathologie des Alltagslebens (Über Vergessen, Versprechen, Vergreifen, Aberglaube und Irrtum). In: Monatsschrift für Psychiatrie und Neurologie, Bd. 10 (1901), H. 1, S. 1–32 und H. 2, 95–143.


Von den Hilfsapparaten, dem »Wunderblock«, dem Speicher:

Wenn ich meinem Gedächtnis mißtraue – der Neurotiker tut dies bekanntlich in auffälligem Ausmaße, aber auch der Normale hat allen Grund dazu –, so kann ich dessen Funktion ergänzen und versichern, indem ich mir eine schriftliche Aufzeichnung mache. Die Fläche, welche diese Aufzeichnung bewahrt, die Schreibtafel oder das Blatt Papier, ist dann gleichsam ein materialisiertes Stück des Erinnerungsapparates, den ich sonst unsichtbar in mir trage. Wenn ich mir nur den Ort merke, an dem die so fixierte »Erinnerung« untergebracht ist, so kann ich sie jederzeit nach Belieben »reproduzieren« und bin sicher, daß sie unverändert geblieben, also den Entstellungen entgangen ist, die sie vielleicht in meinem Gedächtnis erfahren hätte.
Wenn ich mich dieser Technik zur Verbesserung meiner Gedächtnisfunktion in ausgiebiger Weise bedienen will, bemerke ich, daß mir zwei verschiedene Verfahren zu Gebote stehen. Ich kann erstens eine Schreibfläche wählen, welche die ihr anvertraute Notiz unbestimmt lange unversehrt bewahrt, also ein Blatt Papier, das ich mit Tinte beschreibe. Ich erhalte dann eine »dauerhafte Erinnerungsspur«. Der Nachteil dieses Verfahrens besteht darin, daß die Aufnahmsfähigkeit der Schreibfläche sich bald erschöpft. Das Blatt ist vollgeschrieben, hat keinen Raum für neue Aufzeichnungen, und ich sehe mich genötigt, ein anderes, noch unbeschriebenes Blatt in Verwendung zu nehmen. Auch kann der Vorzug dieses Verfahrens, das eine »Dauerspur« liefert, seinen Wert für mich verlieren, nämlich wenn mein Interesse an der Notiz nach einiger Zeit erloschen ist und ich sie nicht mehr »im Gedächtnis behalten« will. Das andere Verfahren ist von beiden Mängeln frei. Wenn ich zum Beispiel mit Kreide auf eine Schiefertafel schreibe, so habe ich eine Aufnahmsfläche, die unbegrenzt lange aufnahmsfähig bleibt und deren Aufzeichnungen ich zerstören kann, sobald sie mich nicht mehr interessieren, ohne die Schreibfläche selbst verwerfen zu müssen. Der Nachteil ist hier, daß ich eine Dauerspur nicht erhalten kann. Will ich neue Notizen auf die Tafel bringen, so muß ich die, mit denen sie bereits bedeckt ist, wegwischen. Unbegrenzte Aufnahmsfähigkeit und Erhaltung von Dauerspuren scheinen sich also für die Vorrichtungen, mit denen wir unser Gedächtnis substituieren, auszuschließen, es muß entweder die aufnehmende Fläche erneut oder die Aufzeichnung vernichtet werden.
Die Hilfsapparate, welche wir zur Verbesserung oder Verstärkung unserer Sinnesfunktionen erfunden haben, sind alle so gebaut wie das Sinnesorgan selbst oder Teile desselben (Brille, photographische Kamera, Hörrohr usw.). An diesem Maß gemessen, scheinen die Hilfsvorrichtungen für unser Gedächtnis besonders mangelhaft zu sein, denn unser seelischer Apparat leistet gerade das, was diese nicht können; er ist in unbegrenzter Weise aufnahmsfähig für immer neue Wahrnehmungen und schafft doch dauerhafte – wenn auch nicht unveränderliche – Erinnerungsspuren von ihnen. Ich habe schon in der Traumdeutung 1900 die Vermutung ausgesprochen, daß diese ungewöhnliche Fähigkeit auf die Leistung zweier verschiedener Systeme (Organe des seelischen Apparates) aufzuteilen sei. Wir besäßen ein System W-Bw, welches die Wahrnehmungen aufnimmt, aber keine Dauerspur von ihnen bewahrt, so daß es sich gegen jede neue Wahrnehmung wie ein unbeschriebenes Blatt verhalten kann. Die Dauerspuren der auf genommenen Erregungen kämen in dahinter gelegenen »Erinnerungssystemen« zustande. Später ( Jenseits des Lustprinzips) habe ich die Bemerkung hinzugefügt, das unerklärliche Phänomen des Bewußtseins entstehe im Wahrnehmungssystem an Stelle der Dauerspuren.
Vor einiger Zeit ist nun unter dem Namen Wunderblock ein kleines Gerät in den Handel gekommen, das mehr zu leisten verspricht als das Blatt Papier oder die Schiefertafel. Es will nicht mehr sein als eine Schreibtafel, von der man die Aufzeichnungen mit einer bequemen Hantierung entfernen kann. Untersucht man es aber näher, so findet man in seiner Konstruktion eine bemerkenswerte Übereinstimmung mit dem von mir supponierten Bau unseres Wahrnehmungsapparats und überzeugt sich, daß es wirklich beides liefern kann, eine immer bereite Aufnahmsfläche und Dauerspuren der aufgenommenen Aufzeichnungen.
[…] Denkt man sich, daß während eine Hand die Oberfläche des Wunderblocks beschreibt, eine andere periodisch das Deckblatt desselben von der Wachstafel abhebt, so wäre das eine Versinnlichung der Art, wie ich mir die Funktion unseres seelischen Wahrnehmungsapparats vorstellen wollte.

Sigmund Freud: Notiz über den »Wunderblock«. In: Internationale Zeitschrift für Psychoanalyse, Bd. 11, H. 1 (1925), S. 1–5.