Sektionschefphilosophie

Sektionschef Tuzzi drehte sich dem unbequemen Frager zu; ein kleines Lächeln hob sein Bärtchen, seine glänzenden Augen blickten mit einem spöttisch nachgiebigen Ausdruck; er wünschte, diese Art von Gespräch zu beenden, sie war unsicher wie Glatteis und zwecklos kindisch, wie das Schlittern von Knaben auf Glatteis. »Schauen Sie, Sie werden das wahrscheinlich für eine Barbarei halten,« erwiderte er »aber ich werde es Ihnen erklären: Philosophieren sollten eigentlich nur Professoren dürfen! Ich nehme unsere anerkannten großen Philosophen davon natürlich aus, die schätze ich sehr hoch und habe sie sämtlich gelesen; aber die sind sozusagen nun einmal da. Und unsere Professoren sind angestellt dafür, da ist es ein Beruf und braucht weiter nichts auf sich zu haben; schließlich braucht man auch die Lehrer, damit die Sache nicht ausstirbt. Aber sonst hat die altösterreichische Maxime, daß der Staatsbürger nicht über alles nachdenken soll, schon recht gehabt. Es kommt selten etwas Gutes dabei heraus, und es hat leicht etwas von Anmaßung.«
Der Sektionschef drehte sich eine Papyros und schwieg; er hatte weiter kein Bedürfnis, seine »Barbarei« zu entschuldigen.

Robert Musil: Der Mann ohne Eigenschaften [Kapitel 91: Spekulation in Geist à la baisse und à la hausse]. Roman. Hg. v. Walter Fanta. Gesamtausg. Bd. 2. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2012, S. 152.