Filet № 38

Moby-Dick, Filet № 38 – einige vorläufig erste Absätze zu Starbuck, dem Pequod-Theater und den Sirenen des Souveräns; allein: auf letztere wird erst späterhin einzugehen sein. Ho. wird lediglich ein Vorspiel angedeutet, ein Hinweis auf Theatersequenzen und Performanz.

Melville stellt die »Pequod« mitunter auf eine Bühne, so auch im Kapitel 38, längsseitig zum Publikum hin ausgerichtet, der Rumpf soweit aufgeschnitten, dass man alle Vorgänge an Bord sehen kann; präzise ausleuchtende Scheinwerfer erhellen nachts dann die je Laut oder Ton gebenden Mannschaftsteile. Mittschiffs am Großmast – eben jener, an dem Ahab wenige Kapitel zuvor seine Dublone annagelte, die derjenige Walfänger bekommt, der als erster Moby-Dick sieht und aussingt – sehen wir Starbuck, daran gelehnt, er deklamiert: »My soul is more than matched; she’s overmanned; and by a madman!« – unzweifelhaft wird eine Theaterszene gegeben und der elisabethanisch-shakespearehafte, metrische Auftakt gibt den Kammerton: es geht um ein auswegloses Verhängnis, das den Monologführenden erwartet. Dafür reicht die Sprachführung des Romans und des mehrheitlich erzählenden »Ismael« nicht hin, hatte dieser doch in Kapitel 26 bereits eingestanden: »Sollte jedoch die folgende Erzählung auch nur an einem Beispiel enthüllen, wie die Tapferkeit des armen Starbuck voll und ganz zernichtet würde, so brächte ich es wohl kaum übers Herz, das aufzuschreiben; es ist nämlich überaus betrüblich, nein, mehr noch, erschreckend, den Niedergang seelischer Stärke zu enthüllen.« 

Nun ist es soweit, und der Fortgang des Romans wird erweisen, dass die Tapferkeit und die Contenance Starbucks tatsächlich nachhaltig zu beeinträchtigen sind. Ismael aber ist von der befürchteten Berichtspflicht entbunden. Das Kapitel 38 wird Starbuck wesentlich alleine bestreiten, er wird in der Dämmerung, an den Großmast gelehnt, in einem Monolog seine inneren Schrecken enthüllen, u.a. das Verhängnis von Odysseus und den Sirenen ebenso streifend wie die Allegorie des Menschen als Uhr, die etwa La Mettries »Homme Machine« auszeichnet. 

Dieses Kapitel »Dämmerung« bzw. »Dusk« [1] ist wie alle von 36 bis 40 mit Versatzstücken eines Theatertextes versehen. Zwar fehlt hier eine Inquit-Formel wie »[Aside]«, doch ringt offensichtlich die Romanfigur mit gegensätzlichen Positionen, gibt es Ausrufezeichen (»Horch!«) und kippt überdies in der Mitte der zwei Druckseiten die Rede. Es wäre möglicherweise hilfreich, von einer auf die Romanbühne gebrachten Form des Inneren Monologs zu sprechen. Die Rede Starbucks (die man sich durchaus deklamiert vorstellen kann) nützt der Figur, sich zu sortieren und künftige Handlungsoptionen abzuleiten. [2] 

Theaterhaft anmutende Szenen kommen im »Moby Dick« mehrfach vor – mit einschlägigen Textelementen versehen sind etwa auch die Kapitel 119-122. [3] Die Kapitel 37, 38 und 39 – Soloauftritte von Ahab, Starbuck und Stubb – zeichnen sich dadurch aus, dass sie als Bühnenmonologe ausgeführt sind. Es geht um die Vereinzelung von Männern, die in ihren Untergang fahren und für sich die Unabwendbarkeit der folgenden Handlung besiegeln; der Gedanke an Passionsgeschichten liegt nahe. [4] Es wird ein Stück im Roman gegeben, sozusagen ein Vor- zum Endspiel – und die Dramolettformen einzuführen bedeutet auch, den späterhin (abgesehen vom Leviathan) einzigen Überlebenden, den Erzähler Ismael, vorübergehend suspendieren zu können. 

(Zu fragen wäre hier, inwieweit dadurch eine noch wirksamere Form der Polyphonie eingeführt wird.)

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[1] Herman Melville: Moby-Dick or The Whale. Ed. by Harrison Hayford, Hershel Parker and G. Thomas Tanselle. Evanston and Chicago: Northwestern University Press and The Newberry Library 1988 (The Writings of Herman Melville. The Northwestern-Newberry Edition Vol. 6), S. 171f. 

[2] Es kümmert an Bord dieses prekären Walfängers, wer mit wem unter welchen Voraussetzungen spricht; rasen und verzweifeln kann Starbuck deshalb nur auf einer Bühne, die er für sich hat und auf der er mit sich in einen Inneren Dialog treten kann. Niels Werbers humoralpathologischer Übersetzung der Figurenzeichnungen in den Kapiteln 26-28 zufolge lässt sich Starbuck als »sanguin-melancholisch« (Niels Werber: Kapitel 27: Knights and Squires. In: Neue Rundschau 126 (2015), H. 2, S. 68–79, hier: S. S. 78) veranlagt bezeichnen. Kapitel 38 würde dafür einen indirekten Beleg liefern insofern, als sowohl die begründete Widerrede als auch das sonstige Gebaren Starbucks mit diesem Kapitel 38 nicht zusammenpassen; da er jedoch während seiner Bühnenrede mit sich, der Verzweiflung, dem Zwiespalt und dem Leser alleine bleibt, bleibt auch die gewohnte Extraversion der Figur gewahrt. 

[3] »The Candles«, an dessen Beginn die Auseinandersetzung zwischen Starbuck und Stubb beinahe eskaliert, als Stubb zu singen beginnt; »The Deck Towards the End of the First Watch«, als Ahab Starbuck eine umsichtigere Weise zu segeln abschlägt; »The Forecastle Bulwarks«, wenn Stubb und Flask sich besprechen; »Midnight Aloft.- Thunder and Lightning«, als Tashtego einen ausgesprochen kurzen Solo-Auftritt bekommt. 

[4] Auch Jesus Christus wird sich im Garten Gethsemane nach anfänglichem Zaudern der Vorgabe seines Souveräns unterwerfen, sich für das Heil der Menschen kreuzigen zu lassen. Wie viele andere hat Markus Gasser diesen Nahebezug von Bibel und »Moby-Dick« herausgestrichen: »Es hätte Melville geschmeichelt, wäre ihm zu Ohren gekommen, daß viele Jahrzehnte später zum Kirchgang genötigte Generationen in den für ihr Meßbuch gedachten Lederhüllen seinen ›Moby-Dick‹ verbargen. Die Einbindung in das ganz große, das sehr eigentlich eine Schicksalstreiben formuliert ja auch Ahab, wenn er zu Starbuck zwar nicht mit dem Alten Testament, eher noch in der Tradition der Stoa spricht: »Was hier geschieht, ist unabänderlich bestimmt. Wir beide haben dieses Stück seit Tausenden Millionen Jahren schon geprobt, bevor die Wellen dieses Weltmeers wogten.« (Markus Gasser: Das Buch der Bücher für die Insel. München: Hanser 2014, S. 24. Das von Gasser angeführte Zitat findet sich in Kapitel 134; am 2. Tag der finalen Jagd.)