Geister in den Apparaten

Ein Zusammenhang von Geistern und Zeichensystemen, die verschieden interpretiert werden, ist evident. Gespenster erzählen etwas aus der Vergangenheit, stellen es damit in der Gegenwart nochmals als ungelöste Aufgabe. Eine wesentliche Funktion ist, ein aktiv verdrängtes oder vergessenes Zeichen zu reiterieren. Damit werden Irritationen generiert, entstehen Rätsel, die nur unter Rückgriff auf Vergangenes in der nunmehr gegenwärtigen Situation eine Möglichkeit auf Lösung haben. Mehr als die Möglichkeit ist es nicht, gerade wenn das vorgestellte Zeichensystem in einem zumindest ersten Schritt nicht als aus vergangenen (auch Schuld-) Zusammenhängen rührend erkannt wird. Gespenster, insbesondere wiederkehrende, machen somit zwei Dinge deutlich: erstens dass nicht geklärt wurde, wofür sie einstehen; zweitens dass keine Dechiffrierung erfolgte. Nimmt man das, was einem als Rätselkomplex vorgestellt wird, nicht unter Bezugnahme auf ein Früher an, sondern decodiert es einfach als eine rein heutige Erscheinung, präsentisch ohne ursächlichen Begründungszusammenhang, ist die Fehlinterpretation gewiss.

Bei den Geistern – und die existieren insofern, als Menschen davon erzählen, lesen, sie ins Kino mitnehmen oder auf Fotografien festzuhalten meinen – gibt es Analogien zu Oberflächenphänomenen und deren spezifischer Zurichtung für Zwecke der Interpretation zu beobachten. Die auf unterschiedlichen Medienkanälen einschlägig popularisierte ›Literatur‹ sieht für Gespenster und Geister zumeist eine Art Dematerialisierung der Körper vor. (Dieses Ungefähre, die twilight-zone – zwischen materiell Fassbarem und Unfassbarem –, einordnen; wodurch wird es herbeigeführt und wie ist es um ein Naheverhältnis zu Filmbildern bestellt?) Die Oberfläche ist eine angenommene, einen feststofflichen Kern gibt es eher nicht; das Phänomen ist wesentlich Träger von Botschaften. Die »Geister« sind akustisch (Klopfgeräusche) oder visuell wahrnehmbar, bevorzugt zwischen weiß und semi-transparent. Es sind durchaus viele Geister im 18. und 19. Jahrhundert unterwegs, die als präsente Begleiter aufgerufen werden (denken ließe sich u.a. an Marx’ »Achtzehntem Brumaire«); so ähnlich wie es heute die Vermittlungsinstanzen der elektronischen Medien sind, sintemal die als »social« apostrophierten bis perhorreszierten und als Geistererscheinungsbedürfnisanlagen zu bezeichnenden. Und dabei geht es noch einmal um Social Media alleine, wenn zu behaupten ist, dass sich von einer komitativen Sphäre um uns sprechen lässt. Bezug nehme ließe sich auf Rudolf Stumbergs Rede vom neuen Leviathan [http://www.heise.de/tp/artikel/35/35388/1.html – http://www.heise.de/tp/artikel/40/40616/1.html], auf Geistererscheinungen unterschiedlichen Zuschnitts und darauf, dass wir nicht allein sind. Das alte Wissen, dass es Geister gibt, Beobachter/Begleiter, hier wird es nun Realität: wir sind ebenso wenig allein wie die Mannschaft der Pequod. Immer ist da jemand: ein weißer Wal, geheimnisvolle asiatische Schatten, Blutsauger, Feen und Elfen, ein Vermisster … Der Leviathan (schon vor Moby Dick) hat ein Gesetz eingeführt und es war selten so sehr in Kraft gesetzt wie heute: dass wir nie wieder allein sein werden und dies auch noch öffentlich wurde. Wir ›wussten‹ es schon seit langem, auf unterirdischen Kanälen wurde uns das Wissen um Geister vermittelt. Da ist *etwas*/*jemand*. Der Faltenwurf ist eine Spur der Bewegung und die Geister der elfenbeinweißen Pequod hält man nun ohne mehr über sie zu wissen im Apparat in den eigenen Händen. (Wenn der Akku sich leert, ändert sich nichts, im Gegenteil: es ist schlimmer insofern als man sie dann nicht mehr verfolgen und auch nicht mehr Teil des gespenstischen Schwarms sein kann.)

Ökonomische und politische Gespenster haben wiederum die Angewohnheit, aus der Zukunft her zu kommen und von heute einzulösenden Handlungen zu berichten, um überhaupt schuldfrei in die Zukunft weiter gehen zu können. Erst wenn man sich ihren Oktroyierungen gefügt hat, geben sie, so das “Versprechen” aus der kommenden, einer dann neuen Zeit, Ruhe. Gespenster aus der Vergangenheit sind hingegen zumeist solche, die mit Handlungen im Wortsinn gekoppelt sind, mit schuldhaftem Verhalten, Verbrechen und Versäumnissen. Sie werden durch Taten ausgelöst und ihre Zeichensysteme bedürfen des Rückblicks. Die Trennlinie zwischen den Geistern und Gespenstern von Früher und denen von Morgen verläuft entlang des Grades der eigenen Handlung im Heute. Zukunftsgespenster haben ein anderes Regelsystem, dem man sich zu unterwerfen hat, als jene Vergangenheitsgespenster, die zunächst einmal die Feststellung ihrer präteritalen Verfasstheit einfordern. Davon ausgehend lässt sich eine interpretative Wiedergutmachung als präsentische Handlung ansetzen, die mitunter einfach darin bestehen kann, dass dem korrekt zuordnenden Erkennen ein Anerkennen an sich folgt.

Die Neuen Medien führen mit sich den Posthornton der scheinbar alten. Jedoch stellt sich ab nun nicht mehr die Frage nach kalten und heißen Medien, nach dem Arbeiten in der medialen Parataxe vor 1914, da die Medienverbundmaschinen (die nichts weniger und auch nichts mehr als Geistererscheinungsbedürfnisanlagen sind) in Erscheinungs- und Wirkweise, in Algorithmen und Penetrationsfähigkeit von Aufnahmeschranken, im Wechselspiel der Kanäle zu vielfältig sind und insgesamt den Dorfladen übernommen haben.