Wie übersetzt man transzendentale Gewissheiten der Rechtsprechung und Psychoanalyse?
In der Sache Anzengruber, dessen Denkmal von etwa 1905/06 (und ihm zu Füßen der Steinklopferhanns aus den Kreuzelschreibern) in Wien so passend am Schmerlingplatz schräg hinter dem Parlament und damit der Legislative steht, betr. v.a. Die Kreuzelschreiber (1872) und Der Sternsteinhof. Eine Dorfgeschichte (1884f.):
»Da stand sie hart an ihm. ›Schuft!‹ schrie sie und spuckte ihm in’s Gesicht.« (Sternsteinhof)
»Aber auf Dürfen und Können können und dürfen wir nichts geben.« (Sternsteinhof)
Ludwig Ganghofer, der Ludwig Anzengruber ins Grab den Steinklopferhanns-Satz nachrief: »Es kann dir nix g’schehn.« – diese »Erdenweisheit« (Herbert Eulenberg) – zwei Mal (s.u.!) benutzt Sigmund Freud diesen Anzengruber-Satz aus den Kreuzelschreibern im Wortsinn. (Literatur und Autor erweisen sich als als nutzbare Verschubmasse.)
»Du Narr, du, setz’ dir keine Dummheiten in’ Kopf, so fehlt dir gleich nix!« (Sternsteinhof)
»Mir mut’ wenigstens nit zu, weil dir d’ Weibernarrischkeit einschießt, daß ich dir die Narrin dazu abgäb’.« (Sternsteinhof)
»Und nun begannen beide eifrig zu schwätzen, zählten die Annehmlichkeiten des ›Nestes‹ auf, planten, […]« (Sternsteinhof)
»Es wär‘ auch gar nicht recht g’west, wo du’s mit einer g’halten hast, an die Hochzeit mit einer andern z’denken.« (Sternsteinhof)
»Der Leser hat eine Frage frei. Warum erzählt man solche Geschichten, die nur aufweisen, ›wie es im Leben zugeht‹?« (Sternsteinhof)
»… und da kommt’s über mich, wie wann eins zu ein’m andern red’t: Es kann dir nix g’schehn!« (Kreuzelschreiber, 3. Akt, 1. Szene)
»’s war recht, daß d’ red’st, was d’ weißt; aber ich weiß von nix, und da stünd mir’s Reden übel an.« (Sternsteinhof)
„Schad’, daß mer’s bered’t! G’schehen’s laßt sich nimmer ung’scheh’n machen.« »Aber doch vergessen.« (Sternsteinhof)
»Du raunzender Fetzenbankert! – Hör mich an! Wann d’ schon nit auf ’m Heubod’n willst […]« (Kreuzelschreiber)
»›Aerlauhben, woo aaber füntet sihch teer Getange?« fragte er, erregt und – hochdeutsch.« (Sternsteinhof)
„No, g’scheit sein! […] Ich bin überzeugt, er find’t sich wieder. Unkraut verdirbt nit.« (Sternsteinhof)
»Da is nit von Reden d’Red’, das hab’ ich schriftlich.« […] »Das mußt mir vorweisen, wann ich dir glauben soll!« (Sternsteinhof)
(Der junge, transzendental obdachlose Georg Lukács hatte wohl keinen Ludwig Anzengruber gelesen.)
Sigmund Freud:
Das Gefühl der Sicherheit, mit dem ich den Helden durch seine gefährlichen Schicksale begleite, ist das nämliche, mit dem ein wirklicher Held sich ins Wasser stürzt, um einen Ertrinkenden zu retten, oder sich dem feindlichen Feuer aussetzt, um eine Batterie zu stürmen, jenes eigentliche Heldengefühl, dem einer unserer besten Dichter den köstlichen Ausdruck geschenkt hat: „Es kann dir nix g’schehen“ (Anzengruber.) Ich meine aber, an diesem verräterischen Merkmal der Unverletzlichkeit erkennt man ohne Mühe – Seine Majestät das Ich, den Helden aller Tagträume wie aller Romane.
Freud: Der Dichter und das Phantasieren (1908)
Dem Todesglauben kommt also nichts Triebhaftes in uns entgegen. Vielleicht ist dies sogar das Geheimnis des Heldentums. Die rationelle Begründung des Heldentums ruht auf dem Urteile, daß das eigene Leben nicht so wertvoll sein kann wie gewisse abstrakte und allgemeine Güter. Aber ich meine, häufiger dürfte das instinktive und impulsive Heldentum sein, welches von solcher Motivierung absieht und einfach nach der Zusicherung des Anzengruberschen Steinklopferhanns: Es kann dir nix g’scheh’n, den Gefahren trotzt. Oder jene Motivierung dient nur dazu, die Bedenken wegzuräumen, welche die dem Unbewußten entsprechende heldenhafte Reaktion hintanhalten können.
Freud: Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915)