Wenn es darum geht, eine Chronikmeldung ins Katastrophistische zu ziehen – wenn beispielsweise das Überfahren einer 50 km/h-Beschränkungstafel mit über 140 km/h (lt. NZZ 184 km/h) und die entsprechend wüsten Unfallfolgen zum »Weltuntergang« erklärt werden –, war man hierzulande traditionell kaum um Worte verlegen. Doch selten drängte sich so sehr der Verdacht auf, dass gezielt mit Doppeldeutigkeiten operiert wird (man ist aus dieser Ecke eine andere Klinge gewohnt). Dass sich etwa in Österreichs südlichem Bundesland »die Ereignisse überschlagen« hätten, ließ angesichts des Vorgefallenen somit aufhorchen. Doch noch weitaus stärker drängt sich ein Verdacht hinsichtlich intellektuell-semantischer Versiertheit auf, wenn der Unfallwagen ein »Phaeton« genannter (und von 360 Pferdestärken gezogener) PKW ist.
Da formuliert ein Landesrat: »In Kärnten ist die Sonne vom Himmel gefallen«. Das macht denn doch ein wenig erstaunen – wir sehen völlig von der Relevanz des Mythologems »Sonne« für bestimmte politische Interessensgemeinschaften ab – und bereits ein eilfertiger Klick zum diesbezüglich relevanten Wikipedia-Eintrag belehrt uns (inklusive einer Wiedergabe des entsprechenden Bildnisses von Rubens) hinsichtlich der mythologischen Tiefenstruktur, die hier eingewebt ist: Phaethon (Mythologie). Und wenn der Verdacht nun irgendwie begründet sein sollte, so muss gefragt werden: Wer war nun der Zeus, der den fatalen Blitz schleuderte, auf dass der verheerende Ritt im Po (Eridanus) endete? Die Verschwörungstheoretiker waren dem Vernehmen nach das Wochenende über bereits eifrig am Basteln. Angesichts des vielstimmigen Chors fragt man dann kaum noch, wie es sich mit dem in der Ovidschen Mythologie dafür erstzuständigen Kygnos/Cycnus (heute ein auffälliges Sternbild am Herbsthimmel, von dem ja nun die Sonne gefallen ist) verhält, der als Geliebter des Phaeton vom gerührten Apoll dann aus Mitleid in einen Schwan verwandelt wurde und anschließend den gleichnamigen Gesang anstimmte.
Ganz sicher blieb, all dies vorausgesetzt, dann nicht unbedacht der Umstand, dass Ovid zufolge (Metamorphosen) die Grabinschrift des Unglückslenkers lautete: »Hier ruht Phaethon, der Lenker des väterlichen Wagens. Zwar konnte er ihn nicht steuern, doch starb er als einer, der Großes gewagt hatte.« Welch feinsinnige Dialektik: Der Landesvater als Kind des Volkes (denn dieses hatte den Dienstwagen gezahlt), das Wagnis Großes zu wollen, das Unvermögen der Steuerung dessen, was man im Übermut ausgelöst hat. Und dies alles wird nun geerdet in den Nachrufen. Doch ist deren Gültigkeit noch nicht ausgemacht. Der karinthische Phaethon aus Oberösterreich hatte erst kürzlich, am 28. September des Jahres, in die Mikrofone (Quelle: Die Presse v. 13.10.2008) diktiert: »Nach jener von Lazarus ist meine Auferstehung die eklatanteste der Geschichte – glaube ich …«
Nachtrag 1: Abgesehen davon, dass der aktuell debattierte Unfalllenker mit letztgenanntem Ausspruch sich an die Stelle eines der Schrift zufolge ebenfalls und nach Lazarus auferstandenen Jesus von Nazareth stellt, ist aktuell und heute (15.10.) festzuhalten, dass vor dem Ritt mit dem Sonnenwagen lt. gerichtsmedizinischem Befund noch 1,77 Promille Alkoholanteil ins Blut aufgenommen wurden. Wie schnell das Geschoss durch die Nacht pilotiert ward, lässt sich daran ermessen, dass die Tachonadel bei 142 km/h und dem finalen Anprall stehen geblieben sein soll (cf. dazu NZZ-Bericht: 184 km/h sollens gewesen sein). Nachdem ganz gewiss nicht die Geschwindigkeit reduzierende Verkehrsschilder, Begrenzungspflöcke, Thujenhecken und ein vom Land Kärnten gegen die ortsüblichen Raser finanzierter schützender Betonsockel abrasiert worden waren.
Nachtrag 2 (23.10.): Hinzuweisen ist auf Elfriede Jelineks Text Von Ewigkeit zu Ewigkeit (via www.elfriedejelinek.com).