Wenn zu mustern (überblicken), schichten (relativieren), ordnen (vorentscheiden), scheiden (trennen), entscheiden (setzen), zu expedieren (verabschieden) sich als kulturtechnischer Bauchladen (Baukasten) administrativen Handelns (einst nach dem systemtheoretischen Zugang mit dem Beobachten – und Entscheiden – zweiter Ordnung definierbar als »second order techniques«, Macho 2007) fassen lässt, da Verwaltung – auch hinsichtlich der Beschaffenheit und Nutzung ihrer Werkzeuge (Medien) – wesentlich mit dem Herausarbeiten und Operationalisieren von Differenzen zu tun hat, nicht nur mit Trennung, sondern auch mit der Herstellung von Relationen und Verbindungen, (auch je neue oder zusätzliche:) Referenzierungen und Adressierungen wie Kopien und Durchschläge (CC!), erscheint es nicht nur angesichts der proto-systemtheoretischen These von den Publikum-Politik-Personal-Grenzen der Verwaltung vorteilhaft, die weitere Entwicklung all dessen, so man es nicht hörig der Predigt von der umfassenden Digitalisierung und den Segnungen des Dokumentenmanagementsystems radikal zu endigen beabsichtigt (was konsequenterweise einen Sturz und die Verabschiedung der bisherigen Systems respektive Standards an Rechtssicherheit nach sich ziehen muss), nicht einfach ✭ binarisiert auflösbar zu denken. Die Einträge in Schreibflächen und deren Verknüpfungen lassen sich unter Missachtung beobachtbarer Ablagesysteme algorithmisch volatil abgreifen, d.h. es werden das Verwaltungs-Tempus Futur II ins Jetzt und das siglierte Archiv in dessen ubiquitären Datenspeicher transponiert; was dann jedoch – wie entschieden oder unentschieden, jedenfalls effektiv – aufgegeben wird, ist die komplexe Kombination obgenannter Verfahren, die noch Optionen bieten wie jene, ob Entscheidungs-/Handlungsreihen oder -ketten die Prozessordnung bestimmen sollen.
Kafkas Process wäre somit unter den Bestimmungen der Amtsinstruction von 1855 oder der Reformversuche von 1906 (und selbst noch der nur noch für Österreich gegolten habenden Kanzleiordnung von 1923, aber da schreibt er ja schon den Bau) – denn wesentlich geht es um Registrierung und Protokollierung ✭✭ des Geschäftsstückes (eine Cancellierung die auch die Frage der jeweiligen Zuordnung zu bereits verakteten Geschäftsfällen bedeuten kann), Beamtshandlung und Aktenlauf, Prüfung vor der Approbation und dem Gesetz, Entscheidung und Expedierung bzw. Exekutierung derselben, Ablage –, als amtlicher Vorgang ebenso denk- wie nachvollziehbar, hinter der gerade undurchsichtig werdenden Oberfläche eines digitalen Operating System des 21. Jahrhunderts jedoch bald nicht mehr aus-lesbar. Während der Bau aus 1923 nicht ohne die Erzählungen von den Trichtern und Schützengräben, Fuchsbauten und Stollen, Minen und Konterminen des Ersten Weltkriegs gedacht und gelesen werden muss (hier übernahm die Bürokratie eines KPQ und seiner Narrative, sind Schützengraben-Ausstellungen und die Darstellung der Frontverläufe und Stellungskriege in Ost, Süd, West einzubinden), entstand der Process zwischen dem Sommer 1914 mit einer Kriegserklärung und dem Jänner 1915, als die k.u.k. Berufsarmee von der des Zaren derart in Fetzen geschossen war, dass die für tauglich und abkömmlich erkannten, mobil und einrückend gemachten Reservisten ran mussten, Stammakten werdend für die Kriegsarchive, von Bescheiden verständigt, durch Verordnungen an die Front expediert.
✭ »In dem Text über das Scheiden geht es vor allem um Schreiben (Texte und Fußnoten), Reden und bewegte Bilder (Film) sowie schließlich um Tafeln. Das Scheiden operationalisiert Differenz. Wegen der Begriffe der Unterscheidung, der Entscheidung oder auch der Verabschiedung assoziiere ich das Scheiden als Operationalisierung, die in binärer Codierung fassbar [ist]. Wenn man aber schon einerseits so abstrakt, anderseits aber ›nur‹ im Hinblick auf binärer Codierung ansetzt, [] dann müsste man ergänzen, dass es noch weitere Techniken gibt, wie zum Beispiel das Schichten oder das Mustern, die eine Trennung mit vielfältigen Verbindungen und Relationen, nicht notwendigerweise binarisiert, kombinieren. Alle diese Techniken operationalisieren Differenz, machen Differenz handhabbar, händelbar, bestreitbar und umgehbar.« (Steinhauer 2022)
✭✭ Es fällt auf, dass die Kanzlei bzw. Registratur in ihrer Charakteristik als Einlauf- wie Ausgangsstelle über die Jahrhunderte hinweg mit die größte Anziehungskraft auf Begehrlichkeiten der Reformierenden (Amtsinstructionen, Kanzlei- wie Büroordnungen) ausgeübt hat. Diese Flaschenhälse der Administration werden zusammengelegt oder hinter einem Sieb vervielfacht, glatter geschliffen, enger oder weiter geblasen; aber es bleiben stets Flaschenhälse, Kennzeichen eines analogen wie teilanalogen Umgangs mit Weltverhältnissen, wie sie auch noch die Rechner jener Personal Computer haben, die für unser aller Home Office wie geschaffen erscheinen. »Dieser regulatorischen Wirkung des Betriebssystems entsprach der Aufbau einer eigenständigen Rechnerverwaltung. Denn schließlich ist Herrschaft schon immer als Verwaltung in Erscheinung getreten: Das Betriebssystem produzierte Informationen, die es für die Beherrschung des Systems nutzen konnte.« (Gugerli 2018, 78) Zu beachten bleibt hier zwar die wesentliche Differenz zwischen Operating System und Kanzleiordnung, die im Wort »eigenständig« angedeutet ist und ein, zwei Mal gewendet bis in die Träume von KI hinein sich fortschreibt; zum anderen wird aber deutlich, dass hierbei mit Mitteln der Wissenschaft einem Prinzip von Systembeherrschung zugearbeitet wurde und wird. Sehr genau zeichnet auch Claus Pias (2003, 249ff.) die Übernahme von Büro-Ordnungen in die digitale und dann prägende Übersetzung nach, wenn er darauf verweist, dass die »Papierkörbe-, Ordner- und Festplatten-Icons« auf ›unseren‹ Bildschirmen einem experimentalpsychologischen Zugang der Marketing-Abteilung von XEROX geschuldet sind, die ihr »Star«-Programm (1981 vorgestellt) zielgruppenspezifisch zuschnitzten (was zu tun war, weil der militärtechnisch-industrielle Komplex schon verortet war und neue Zu- wie Abfahrtswege brauchte): »we felt that word processing tools, legal secretaries, and other clerical personnel represented the major marketing opportunity for Star.« (zit. ebd., 251) (Seitdem ist die dann digital gewordene Welt ein sehr großes Büro.) Die Bedeutung von Schnittstellen als gleichsam administrativen Relaiszonen – das SZ hierin wäre gerne ein Eszett ẞ mit oder ohne Barthes, allein das eskamotiert nicht mehr so einwandfrei; nehmen wir es als neu registrierte Sigle aus der Gutenbergschen Galaxie mit? – lässt sich auch von hier aus sehr klar benennen: »Interface ist somit (in Hard- wie Software) all das, was Datenverarbeitung in der Doppelbewegung zugleich unsichtbar macht und auf andere Weise wieder erscheinen lässt, oder umgekehrt: Interface ist das, was aus Eingaben Daten macht, und dabei bewirkt, dass die Eingaben. Nicht mehr die Daten sind. Benutzeroberflächen haben (wie das Wort ja nahe legt) eine kaum mehr auslotbare Tiefe und dienen der Herstellung von schwindelfreien Nieder-Entropie-Zonen, über die Zonen hoher Information gesteuert werden können.« (Pias 2003, 245) Die Büro-Simulation des Operating Systems, die Benutzeroberfläche eines Verwaltungs-Schreibtisches, machen somit deutlich, dass wenn tatsächlich gelten soll: »Aktenarbeit ist Kampf gegen die Entropie« (Siegert 2003, 73) – für den Begriff der »Entropie« an diesen Stellen lässt sich auf Shannon 2000 verweisen (insb. 7–100) –, diese Aktenzurichtung (die keine Arbeit mehr wäre, die wesentlich humanoid sich bestimmen ließe) hinkünftig unter der Schreibtischoberfläche (in der Cloud, am Server, in der Schublade, unter der roten bzw. grünen Filzauflage) stattfindet. Es gibt dann keinen Process mehr, es wird keinen gegeben haben, wir werden amtlich betrachtet immer schon nach diesem gewesen sein.