
Gottfried-Wilhelm Leibniz denkt sich die Monaden, die »Staats-Taffeln« und das 0/1-Prinzip aus; zu Diensten den irdischen und himmlischen Mächten. Dieser Barock wird beim (Ein- und Auf-) Falten seine eigene Meisterschaft entwickeln, die sich bis in die verwaltenden Dienste ziehen wird. Von der Aufklärung samt einer Öffnung der wissenschaftlichen Lehren profitiert natur- wie aktengemäß erneut die Verwaltung, die inzwischen zur Strafe für derart empfundene Überreglementierungen Vincent de Gournays Bezichtigung als »Bureaucratie« ad notam nahm und derart empfunden pflichtschuldig ablegte. Die räumlich-strukturell Ableitungen aus Versuchsreihen und Ergebnisse protokollierenden Aufklärungs-Labors zu Büros richten sich – worauf nicht vergessen werden muss: es geht um Reglements, die Anwendung von Kulturtechniken und je passend erscheinenden Mediennutzungen ist darauf bezogen – unter anderem an ersten gesamtstaatlichen Kanzleiordnungen (Amtsunterrichten, Leitfäden, Amtsinstructionen …) aus, deren gedanklich ableitbare, folgerichtige und im Sinne des Reglements gewollt zwingende Formierung – collegium formatum – zur Aktenfertigung, zur Handlungskette, künftig das Verwaltungshandeln, die Abarbeitung (administrativ-kulturtechnisch versierte Bearbeitung, Entscheidung und Sicherung) der eingehenden Geschäftsstücke quer durch alle Medienverschiebungen hin bestimmen wird. (Die Falte der Verwaltung mag sich manchen als Verfaltung erweisen, um doch Gültigkeit beanspruchen zu können: Die Inhalte – bedruckte Papiere – bilden das Bürogehäuse, nicht mehr der behauene Stein.) So wird man noch eine Weile Ministerien er- und Kontore einrichten, Prozessarchitekturen am Papier in den Backstein mauern, staatliche wie private Verwaltungsgebäude hochziehen, Häuser wie Hotels einschlägig requirieren und umwidmen, Konzepte hybrider Nutzung ins Recht und die Tat setzen, Heimarbeit zugunsten geographisch exakt lokalisierbarer Amtspräsenzen begrenzen, Verwaltungsgebäudeverwaltungen installieren und Amtsflure informell dem Austausch von Informalitäten übergeben – doch die machtorganisatorischen Zentralisierungen folgenden Anweisungen, Verordnungen, wie ein Akt zu bearbeiten und zu bewegen sei; sie sind für die stahlharten Gehäuse der Verwaltung entscheidend. Robert Musil – wie Franz Kafka ein vor allem Klartext formulierender Verwaltungsexperte – hat die Verhältnisse im 86. Kapitel seines Mannes ohne Eigenschaften einander gegenübergestellt und im Zwischentitel »Der Königskaufmann und die Interessenfusion Seele-Geschäft. Auch: Alle Wege zum Geist gehen von der Seele aus, aber keiner führt zurück«:
Die Fenster des schönen alten Palais am Ballhausplatz, wo Sektionschef Tuzzi waltete, warfen oft noch spät abends Licht in die kahlen Bäume des gegenüberliegenden Gartens, und gebildete Bummler, wenn sie nachts vorbeikamen, faßte Schauer an. Denn so wie der heilige Josef den gewöhnlichen Zimmermann Josef durchdringt, durchdrang der Name »der Ballhausplatz« den dort stehenden Palast mit dem Geheimnis, eine des halben Dutzends mysteriöser Küchen zu sein, wo hinter verhängten Fenstern das Geschick der Menschheit bereitet wurde. Dr. Arnheim war von diesen Vorgängen ziemlich gut unterrichtet. Er erhielt chiffrierte Depeschen und von Zeit zu Zeit den Besuch eines seiner Beamten, der mit persönlichen Informationen aus der Zentrale kam, die Fenster seiner Hotelwohnung waren auch oft in Front erleuchtet, und ein einbildungskräftiger Beobachter hätte glauben können, hier nächtige eine zweite, eine Gegenregierung, eine moderne, apokryphe Kampfanlage der wirtschaftlichen Diplomatie.
Paul ›Walther Rathenau‹ Arnheims privatwirtschaftlich genutzte, zu diesem Zwecke vollständig angemietete Etage eines Hotels wird dem Ministerium des kaiserlichen und des königlichen Hauses nebst dem Äußern am Ballhausplatz des Hans ›Rudolf Pogatscher‹ Tuzzi gegenübergestellt; man sitzt und arbeitet, sortiert, scheidet, entscheidet, verwaltet und expediert dort, wo der Platz dies zu tun einem angezeigt wurde. Das kann nun – die medientechnischen Neuerungen des 19. Jahrhunderts haben dies in Verbindung mit der Priorisierung von Beschleunigung und Verdichtung (in der Sachverhaltsdarstellung wie in der Kommunikation darüber bis in Vorstellungen einer Feuerleitung durch den je betsallten militärisch-industrielle Komplex) gezeigt – schlechterdings überall sein. Das nun seit Jahrhunderten instruierte Bureau ist eines der Vor-Schrift, das stahlharte Gehäuse der Verwaltung ver-ordnet eines der Hörigkeit (und vorbehaltlich des Umstands, dass dies in der Praxis so nicht funktionieren kann) und die Staats-Taffeln sind längst in Datenbanken eingespeist dienlich. Serverfarmen und ihre Atommeiler glühen in der Nacht, das Beamtengesicht ist untertags bereits im Sand verschwunden. Wenn es noch ein nicht papierenes und dennoch stahlhartes Gehäuse der Verwaltung gibt, so ist es nun aus Silizium errichtet und die Juristerey wird in der Sandburg verloren gegangen sein, von der sie gedacht haben wird, dass es ihre Tintenburg wäre.
(Mit Dank an Ferdinand und Isabella, Leibniz, Pombal, Kaunitz, Joseph, Kielmansegg, Schlieffen, Kafka, Weber, Mannlicher, Musil, Deleuze, Foucault, Kittler, Latour, Vismann, Siegert u.v.m.)