Sprachformeln

»Mit Rechtsgelehrten wie [Petrus de Vinea], welche nicht nur die abkürzend-notierende Schreibart (ars notarii), sondern auch die ars dictandi beherrschen, tritt Dichtung [im frühen 13. Jhdt.; Anm.] in den Dienst des Rechts.« (Vismann 2000, 151) In einer Fußnote (ibid., 195) merkt Vismann an, dass mit dem Formular eine Verbindung dieser beiden Künste vorläge. Tatsächlich heißt es (ohne derart genaue personelle und zeitliche Eingrenzung) beim von ihr zitierten Fotheringham 1980: »So enthielten die Formelsammlungen seit dem 11. Jahrhundert nicht nur Muster, sondern immer häufiger ausführliche theoretische Darstellungen der bei der Abfassung von Urkunden und Briefen zu beachtenden Regeln. Es entstand als selbständige Wissenschaft die ars dictandi, die in der ars notariae ihre juristische Ausprägung erhielt.« (ibid., 26f.) Und da »die Formelsammlungen häufig in unmittelbarem Zusammenhang mit der Kanzlei des Reichs, der Fürsten und der Päpste entstanden, haben sie nicht nur für die rechtliche Kontinuität ihre Bedeutung gehabt, sondern auch für die Entwicklung eines Kanzleistils, oder, wie wir heute sagen, der Verwaltungssprache.« Und um dies noch (je nach Auffassung: komplexer oder) problematischer zu gestalten heißt es weiter: »Das Formular hat im heutigen Verwaltungsverfahren seinen Platz vor allem dort, wo der Gegenstand der Kommunikation zwischen Bürger und Verwaltung in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen ganz oder teilweise gleich ist.«

Die Herleitung des Formulars als institutionellem Lückentext mit Serialisierungsanspruch und mehrfachen Übersetzungsleistungen, deren Endzweck standardisierte Daten sind, erfolgt also aus der allmählichen Verstetigung der Sprachformeln beim Niederschreiben. Mustersätze, Schablonen und Formalismen erlangen Gültigkeit. So, wie in Altägypten Urkunden standardisiert mit einem Datum begannen und mit dem Namen des Ausstellenden endeten (um durch Begrenzung und Schriftfluss sicherzustellen, dass keine Textabschnitte fehlten), was bis ins Zeitalter der E-Mail hinein sich als wesentliche Formelemente der Gattung »Brief« erhalten hat (ibid., 25) – d.h. mit dieser Textsorte werden eigentlich altägyptische Authentifizierungsbemühungen (erinnert sei an Lejeunes Formel vom »autobiographischen Pakt«, vgl. Lejeune 1994) tradiert –, so operieren (nach Vismann 2000 und Fotheringham 1980) Formulare auf der Basis einer bürographischen, d.h. institutionell festgeschriebenen und damit für gültig erkannten Sammlung an Formeln, schriftsprachlichen Vereinbarungen respektive Festlegungen. (Dabei gilt stets die Anforderung, dass was eingetragen wird, auch – für den Formulareigner – wahr sein muss.)

Eine solche Herleitung bzw. Bestimmung organisiert jedoch weder die Anordnung von Schreibflächen, noch deren Beschriftung; noch nicht einmal die Schaltfläche »Sonstiges« erfährt dadurch eine Präzisierung – wohl, weil es sie so nicht gab. Was man in Formeln/Formelbüchern/Formularbüchern zuließe, waren Namen, Zuweisungen und Zwecke, die von den Schreibern der Macht eingetragen wurden und Gültigkeit kontextspezifische Gültigkeit erlangten. Diese Erweiterung um Flächen, die seitens der Bürger:innen in sehr hohem Maße u.v.a. selbst zu beschriften waren, d.h. die in nicht behördenintern und durch geschulte Mitarbeitende regulierten Kontexten zum textuellen Aufmarschgebiet von Ansprüchen wurden, ist eine eher junge Erscheinung aus dem 19., v.a. 20. Jahrhundert.