Wenig, man könnte mit ›guten Gründen‹ auch behaupten: nichts, prägt die moderne Gesellschaft so sehr wie die Verwaltung, von der Erfindung der Akte bis zum Social Media-Protokoll. Ihre kultur- und medienwissenschaftliche Erforschung ist überfällig. Die Buchreihe AdminiStudies. Formen und Medien der Verwaltung (Metzler Verlag) wird sich dazu einbringen. Denn die Ordnung sozialer Dinge ist eine Sache der Administration. Verwaltungen sind Arbeits- und Denkkollektive, die eigene ›Kulturen‹ ausbilden, nämlich teils lockere, teils rigidere Handlungs- und Beziehungsmuster. Informell agieren sie zumeist über persönliche Kontakte oder im Parteienverkehr, offiziell aber vor allem mittels paperwork. An den Schnittstellen von Gesetzesnorm und behördlicher Entscheidung, von Aktenlauf und Dienstablauf, von Öffentlichkeit und Behörde waltet hier die Schrift. In Gestalt bürokratischer Inskriptionen entstehen somit verbindliche Muster aus den losen Kopplungen der Verwaltungskultur. Die Reihe AdminiStudies schließt nicht nur an die Organisationstheorie und Verwaltungswissenschaft an, sondern mobilisiert auch Begriffe, Theorien und Methoden der Kulturtechnikforschung. Entwicklungen wie die von analogen zu digitalen Formaten, das Verhältnis von Verwaltungspraxis und Staatstheorie oder auch die Reflexion der administrativen Ordnungsleistungen und Entscheidungspotenziale durch die Literatur und Kunst versuchen die Bände der Reihe praxeologisch und interdisziplinär, in der kombinierten Perspektive von Politik-, Sozial-, Medien-, Kultur- und Literaturwissenschaft zu untersuchen. In der neuen Reihe versammeln die drei Herausgeber Peter Plener, Niels Werber und Burkhardt Wolf Bücher, die mit Blick auf die Digitalisierungsvorhaben in der öffentlichen Verwaltung wie in der privaten Plattform-Ökonomie systematisch auch auf die Geschichte der administrativen Kulturtechniken von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart zurückgreifen. Die Reihe stellt die interdisziplinäre Aufarbeitung des Themas in den Fokus und erschließt das Feld jenseits juristischer Normen und nutzungsoptimierter Beratung.
Der erste Band erschien 2021: Das Formular (hg. v. Peter Plener, Niels Werber & Burkhardt Wolf) – er ist mit Open Access (PDF/EPUB) über die Springer-Plattform zugänglich (auch die wohlfeile Druckfassung bei Metzler wird alsbald erschienen sein) und umfasst nebst Vorwort/Inhaltsverzeichnis und Angaben zu den Beiträger:innen [im .pdf] folgende Interventionen (jeweils als PDF oder EPUB oder in HTML abrufbar):
Dirk Baecker: Formular komplexer Form
Niels Werber: Zum Formular der Moderne
Maren Lehmann: Bürokratische Symbiose
Peter Plener: Facta sunt servanda. Zu Form/Formel/Format/Formular an Schnittstellen der Kontingenz
Stephan Strunz: Analytik des Dienstes. Die Formularisierung des Lebens in Personaltabellen (ca. 1780)
Therese Garstenauer: Jenseits einer »bloßen Formulariensammlung«. Das Disziplinarverfahren nach der Dienstpragmatik 1914 und seine Umsetzung
Peter Becker: Umstrittene Formulare. Der Reisepass in der internationalen Debatte der 1920er Jahre
Friedrich Balke: Ausfüllen/Überfüllen. Wie Ernst von Salomon den ›großen Fragebogen‹ beantwortet
Burkhardt Wolf: Die Lücke, die die Vorschrift lässt. Heimrad Bäckers nachschrift und die Formulare des Totalitarismus
Annika Hildebrandt: Mitmachmedien. Musenalmanache als literarische Formulare
Joachim Landkammer: »…daß der Bürger richtig reagiert«. Die Formularverweigerung der Poesie
Ursula Geitner: Formulare der Indiskretion: Interview und Literaturwissenschaft
Nicolas Pethes: »the form of forms«. Zur Poetik bürokratischen Schreibens in David Foster Wallace’ The Pale King
Heinz Drügh: Stahlhartes Gehäuse? Zur Ästhetik des Formulars
Konrad Hauber: Pour copie conforme. Formulare der optischen Telegraphie im frühen 19. Jahrhundert
Stephan Brändle: Telegraphie im Formularstil
Markus Krajewski: Schaubilder als Formulare der Organisation. Fritz Nordsieck und die graphische Analyse von Betriebsabläufen
Niels Penke: Form und Formular. Über eine Differenz der Formularisierung lyrischer Texte am Beispiel der Instapoetry
Johannes Paßmann, Lisa Gerzen, Anne Helmond & Robert Jansma: Formular und digitaler Paratext. Geschichte des Facebook-Accountnamens
Rezension des Bandes durch Wendelin Brühwiler: HTML / PDF (H-Soz-Kult, 23.09.2022)