Als Cornelia Vismann statuiert: »Die Akte enthält sich selbst als Ablauf« (Vismann 2000, 22f.; zit. hier), formuliert sie dies aus Überlegungen zu Listen heraus, Vorschriften, die Prozesse steuern. Akten sind als prozessgeneriert zu verstehen, die »listenförmigen Steuerzeichen« bzw. die Wenn-Dann-Befehle sollen – so die Vorschrift – die Frage nach der Befindlichkeit von Verfasser:innen durch eine Programmierbarkeit auf Entscheidung hin ersetzen. Indem ein Schritt vollzogen wird, kommt es zum nächsten und zugleich zur Dokumentation des stattgehabten. (Weshalb das Plusquamperfekt, beide Ausrichtungen beinhaltend, die Tempusform von regelgesteuerter Verwaltung gewesen sein wird; cf. Plener, passim.) Die Akte enthält sich selbst als Ablauf, sie dokumentiert die korrekte Ausführung, legt die Operationskette ihrer Entstehung offen. Erhard Schüttpelz hat späterhin noch deutlicher Aufmerksamkeit auf diese »Koordination von Tätigkeiten« zu verwenden gefordert, dass man sich »erst einmal an der Handlungsverknüpfung orientieren sollte und nicht an den Werkzeugen, am Resultat oder an einem einzelnen Schritt« (Schüttpelz 2010, 111), will man über Kulturtechniken nachdenken. (Und das erscheint als eine der minimalen Voraussetzungen, um über das Prozessieren der Akte/n nachzudenken.) Die Akte enthält sich selbst insofern, als sie das damit dokumentierte Resultat einer Handlungsverknüpfung darstellt und eine solche sowohl ermöglicht als auch auslöst. Damit dies stets aufs neue gelingt, bedarf es mehrerer ›Wegleitsysteme‹: der bereits erwähnten Listen bzw. listenförmiger Steuerzeichen, der einzuziehenden (materiell festmachbaren oder digitalen) Grenzen der ›Aktendeckel‹, der vorgeschriebenen Verknüpfung als geeignet erachteter (d.h. sowohl vorgeschriebener als auch trainierter) techné/mēchanḗ/epistéme – ohne diesen ist das Verarbeitungs- und Entscheidungssystem Verwaltung nicht zu haben – und der der äußeren Vorschrift, wie ein Akt anzulegen und zu befördern ist: Amtsinstructionen (19. Jahrhunderte), Kanzleiordnungen (20. Jahrhundert), ELAK-Handbuch (21. Jahrhundert; NB: die medien- und kulturtechnische Hilflosigkeit der Verwaltungsvorschreibenden des 21. Jahrhunderts liefert sich – und damit uns – samt ihrer »Büroordnung« in schmerzhaft tumber Weise den Eigendynamiken und Emergenzen tatsächlicher Blackboxes aus).
Akten werden zu Entscheidungs- und Bedeutungserscheinungsapparaten aufgrund ihrer Vor-Schriften und Steuersysteme (Aktenalgorithmus). Beachtet man diese sowie die notwendig eingebundenen Techniken, Abfolgen und Verknüpfungslogiken nicht, wird die allmähliche Verfertigung der Akte/n (einschließlich des Ruhens, Latour 2016), bis hin zur Entscheidung und deren Expedierung, als schwebendes Urteil empfunden werden, möglicherweise an einem nicht zu bestimmenden Tag einer Blackbox Bureaucracy (s. dagegen und für eine tauglichere Begrifflichkeit Luhmann) entspringend. Diese Sicht würde Jenseits von Gut und Böse annehmen, dass ›wer mit Akten kämpft, zusehn mag, daß er nicht dabei zur Akte wird. Und wenn du lange in einen Akt blickst, blickt der Akt auch in dich hinein.‹ So verstanden kann man die Akte/n mit einem Mise en abyme (bzw. abîme) vergleichen, dass der Akt in den Akt gesetzt sei, quasi in den Abgrund unendlicher Selbstreferenzierungen. Nur stimmt das nicht (wenngleich die Masochismen der Bürokratiekritik durchaus lustvolle Seiten haben mögen). Die Akte enthält sich insofern als Ablauf, als sie diesen ausweist, das Verfahren der Herstellung von zur Entscheidungsfindung (sintemal dieselbe) beitragenden Ausschnitten offenlegt, die stattgehabten und die stattzufindenden Schritte dokumentiert (als juridisches Instrument: anordnet). Im Lateinischen – actum – ist das klar genug ausgewiesen: es gibt kein Dossier en abyme. (Wer die Provokation von Schüttpelz – »Eine Akte ist ein Akt ist die Akte des Akts und der Akt der Akte« – diesen missverstehend nicht aushält, sollte ihn nochmals genauer nachlesen; bitte hier entlang …)
(Querverweis zu obiger Abyss-Anspielung: Fritz Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, Viertes Hauptstück: Sprüche und Zwischenspiele, 146: »Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, daß er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.« (Man ersetze Ungeheuer und Abgrund allesamt durch ›Akt‹.)