Beamtenhürdenlaufbahn

Grillparzer. Zitiert wird nach der Ausgabe: Franz Grillparzer: Selbstbiographie. Hg. u. mit einem Nachwort von Arno Dusini. Salzburg, Wien: Residenz 1994 (Eine österreichische Bibliothek). Die Selbstbiographie dürfte 1853 verfasst und zurückgehalten worden sein. Die Blätter fanden sich im Nachlass, die erzählten Ereignisse und hier nun Anmerkungen zu den ›Karriere‹verläufen reichen bis 1836.

Inzwischen beschäftigte ich mich, ich hätte bald gesagt: eifrig, in der Hofbibliothek. Von Eifer war damals in dieser Anstalt überhaupt nicht viel zu bemerken. Die Beamten, beinahe durchaus gutmüthige Leute, benahmen sich ungefähr wie die Invaliden in einem Zeughause, oder der Hund beim Heu, bewahrten das Vorhandene, wiesen die Seltenheiten den Besuchern vor, verwendeten die spärliche Dotazion zum Ankauf aller gedenkbaren Auflagen der Klassiker und hielten die verbothenen, das heißt alle neuern Bücher, nach Möglichkeit fern. Von bibliothekarischen Systemalarbeiten war gar nicht die Rede. 
Das war nun gerade mein Geschmack. Ich las und studierte was mich selber anzog.

FG: SB, S. 67

Da sollte ich nun ein vollendeter Kam̄eralist werden. Ich wurde der niederöstreichischen Zoll-Verwaltung zugetheilt, mußte in Expedit, Protokoll, Hauptzoll= und Verzehrungssteuer=Amt alle diese Fächer praktisch durchüben, bis man mir endlich, als Zeichen der höchsten Zufriedenheit ein eigenes Büreau in der Examinatur anvertraute, wo ich Schwärzer und Gefälls=Übertreter von minderm Belang selbstständig untersuchte.

FG: SB, S. 73f.

Ich hatte den Urlaub meiner vorgesetzten Behörde überschritten, die Verlängerung desselben durch S_ Majestät war entweder nicht eingelangt oder diente nur zur Bestättigung jedes Gerüchtes [Grillparzer »sey Sekretär der Kaiserin geworden«; Anm. PP], kurz, eine wirkliche Konzipistenstelle, die in demselben Departement in dem ich diente, in Erledigung kam, wurde, nicht ohne Mitwirken meines elenden Büreau=Chefs, verbunden mit der Vorliebe des Kanzlei-Direktors, einem Jüngerdienenden aus dem Büreau dieses Letztern verliehen. Man tröstete mich mit einem verzeihlichen Mißverständniß, die nächste Stelle jedoch könne mir nicht entgehen. Aber auch diese wurde einem im allgemeinen kürzer, aber speziell länger bei einer Hofbehörde Dienenden ertheilt. Die dritte erhielt der gänzlich unfähige Bruder eines allerdings sehr fähigen Hofrathes. Ich war empört und beschloß die Staatsdienste zu verlassen, glaubte jedoch meinem Gönner, dem Finanzminister Grafen Stadion davon die Anzeige machen zu müssen. Dieser erwiederte, wenn ich die Staatsdienste verlassen wollen, so könne ich es ohne seine Einwilligung thun, wenn ich aber diese begehre, so werde er sie mir nie ertheilen. Bei den obwaltenden Censur= und sonstigen Verhältnißen sey es in Östreich für Jemanden von meiner Richtung unmöglich von der Literatur zu leben. Ich solle ausharren, für meine Beförderung werde Er sorgen. Da ich mich aber durch die erfahrenen ämtlichen Mißhandlungen in jener Gemüts’ruhe gestört finde, die zur Vollendung eines poetischen Werkes erforderlich sey, so ertheile ihr mir hiermit einen unbeschränkten Urlaub, den ich benützen könne, so lange es meine Arbeit nöthig mache. Als ich ihn bat mir diesen Urlaub schriftlich zu ertheilen, überkam ihn der Ärger über das Benehmen der ihm untergeordneten Hofkam̄er gegen seinen Schützling und er trug mir auf zum Präsidial-Sekretär dieser Hofkam̄er zu gehen und ihm zu sagen, der Finanz=Minister habe mir Urlaub ertheilt, wenn er daran zweifle möge er kom̄en und sich anfragen, wo er den mündlichen Bescheid erhalten werde. Ich setzte das getreulich ins Werk, das Präsidium der Hofkam̄er fragte sich aber nicht an und behandelte mich fortwährend als einen unbefugt Abwesenden. Überhaupt ward ich jetzt das Opfer der Reibung zwischen zwei Behörden. Der Finanz Minister Graf Stadion hatte, um sich die lästigen Details vom Halse zu halten, der ihm untergeordneten, mit der Ausführung seiner Maßregeln betrauten Hofkam̄er völlige Freiheit über ihre innern Angelegenheiten zugestanden. So oft nun eine Stelle bei dieser Hofkam̄er in Erledigung kam, erließ Graf Stadion ein Ministerial-Schreiben in dem er mich für dieselbe in Erinnerung brachte. Die Hofkam̄er aber, um ihre Selbstständigkeit zu wahren, verlieh jedes Mal die Stelle einem Andern. Ja die Hofräthe die mir am meisten wohlwollten wurden vermöge dieses Gemeingeistes meine heftigsten Gegner. Erst nach ein paar Jahren, als eine Konzipisten=Stelle im Finanzministerium selbst erledigt wurde, verlieh mir sie Graf Stadion augenblicklich und zwar die beste und nächste um seine Person mit der damit verbundenen Gehalts=Zulage. Es waren aber inzwischen die Hälfte aller Kürzerdienenden Beamten meine Vormänner geworden, und ich wurde für im̄er in den mindern Bereichen des Dienstes festgehalten.

FG: SB, S. 113f.

Ein Vierter, viel später endlich, der mir seine Geneigtheit schriftlich und mündlich zu erkennen gegeben hatte, als ich in einer Stelle-Bewerbung mit dem Schützling eines anderen noch viel höhern Staatsmannes in Kompetenz trat, bestättigte, ämtlich über mich befragt, meine Brauchbarkeit und Verdienstlichkeit aufs wärmste, fügte aber – um dem Schützling des mächtigen Gönners den Weg frei zu halten – hinzu, dasß ich auf meiner dermaligen Stelle als Archivsdirektor der Hofkam̄er unentbehrlich sey. Ich als Archivsdirektor der Hofkam̄er unentbehrlich! Für einen Dritten mag das einen guten Spaß gegeben haben.

FG: SB, S. 115

Wer mich so viel von ämtlichen Aussichten oder Honoraren reden hört, dürfte wohl zu dem Schluße kom̄en, daß es mir an jenem hohen Sinne gefehlt habe, der den Künstler nur die Kunst im Auge halten und alles andere gering schätzen läßt. Villeicht hat er recht; ich will mich aber auch nicht beßer schildern als ich bin, sondern wie ich bin. Da ich aber einmal die Lust des Staatsdienstes auf mich genom̄en hatte, wollte ich doch aus der Reihe der Handarbeiter herauskom̄en und durch eine bessere Stellung mir die Möglichkeit verschaffen in ein anderes Fach überzutreten, das meinen Neigungen mehr zusagte als der Dienst bei den Finanzen. Zugleich hat die im̄erwährende Zurücksetzung und jene insolence of office, mit der erbärmliche Menschen nur gar zu gern ihre Amts=Autorität gegen mich geltend machten, mein Gemüth verbittert.

FG: SB, S. 126

Der Geschichtschreiber weiß wenig, der Dichter aber muß alles wissen.

FG: SB, S. 131

Jetzt erhielten auch meine ämtlichen Verhältniße eine günstige Wendung. Der sogenannte Ministerial=Konzipist des Finanz=Ministeriums, nämlich der Konzeptsbeamte, der in der unmittelbaren Nähe des Finanz Ministers, im eigenen Büreau desselben fungirte, wurde befördert und Graf Stadion verlieh mir augenblicklich diese Stelle, mit der außer dem gewöhnlichen Gehalte auch noch eine besondere Gratifikazion von einigen hundert Gulden des Jahres verbunden war. Diese Beförderung erfreute mich um so mehr, als ich nun auch dem Hoftheater meinen Kontrakt als bestallter dramatischer Dichter zurück geben konnte und von nun an freie Hand über meine Arbeiten hatte. Meine neuen Geschäfte waren höchst geringfügig, und erhielten erst einige Bedeutung in Verhinderungs= oder Krankheitsfällen des Ministerial=Sekretärs, weil man dann die eingelangten Geschäftsstücke dem Minister persönlich vorzulegen und von jedem den Inhalt in Kurzem anzugeben hatte, in Folge dessen er die wichtigern zur eigenen Lesung bei sich behielt, die andern aber zur Vertheilung an die Departements zurück stellte. Auch dieser Theil der Geschäftsführung wurde nur dadurch beschwerlich, daß sich Graf Stadion, noch von seiner diplomatischen Laufbahn her, an eine sonderbare Verkehrung der Tageszeiten gewöhnt hatte. Er legt sich erst gegen Morgen zu Bette und stand auf wenn die andern Leute sich zum Mittagsmahl setzten. Da galt es denn ihm nach Mitternacht, wenn er aus den Gesellschaften nach Hause kam, über Akten und Geschäfte Rechenschaft zu geben, was in halber Schlaftrunkenheit nicht im̄er fließend von Statten gieng. Glücklicherweise war der Ministerial=Sekretär auf seine Sonnennähe so eifersüchtig, daß er so selten als möglich krank wurde und eine andere Abwesenheit sich nicht leicht zu Schulden kom̄en ließ. Bei Reisen des Ministers aber, worunter besonders der Som̄er-Aufenthalt auf seinen Gütern gehörte, fiel die ganze Last auf den Konzipisten, der ihn alsdann zu begleiten hatte, eine Last die durch die peinliche Mittel=Stellung zwischen angenehmen Gesellschafter und untergeordnetem Beamten bedeutend erschwert wurde. Außer diesen Ausnahmsfällen bestand das Geschäft des Ministerial-Konzipisten nur in der Protokollierung der eingegangenen Stücke und ihrer Vertheilung an die Departements. Mein Vorgänger hatte auch über diesen Teil seiner Amtsführung ein mysteriöses Dunkel zu verbreiten gewußt. Er lief zehnmal des Tages ab und zu. Man sah ihm nie ohne ein versperrtes Akten-Portfeuille unterm Arme. Ein beredtes Stillschweigen deutete an, dass er weiß Gott was für Geheimniße wisse. Nun gab es allerdings im Finanz-Ministerium höchst wichtige und geheime Dinge, derlei kamen kamen aber unmittelbar unter eigener Addresse und zu eigener Eröffnung an den Minister selbst, der klug genug war, sie erst nach der Bearbeitung und Ausführung, wenn sie aufgehört hatten geheim zu seyn, an das Protokoll zur Einschaltung abzugeben. Da ich nun über diesen Umstand auf Befragen kein Hehl hatte, meine unbedeutenden Geschäfte so einfach und schnell als möglich abthat, so verschwand bald der Nimbus meines Amtes und alle, die meinen Vorgänger angestaunt und ob seine Geschäftslast bedauert hatten, sagten von mir: ich hätte nichts zu thun; worin sie der Wahrheit so ziemlich nahe kamen.

FG: SB, S. 134f.

Während ich auf allen Seiten nach Auswegen suchte, starb der Archivsdirektor der Finanzhofstelle. Sein Gehalt betrug genau so viel als mein bisheriger zusam̄en mit der Zulage. Ich ergriff dieses Auskunftsmittel und setzte mich um diese Stellung in Bewerbung, die ich auch erhielt, weil keiner meiner Kollegen sie mochte. Ihr Antritt war nämlich zugleich auch ein Ausscheiden aus jenem Geschäftsbereich, der zu höhern Beförderungen berechtigte, gewissermaßen ein Abschneiden jeder weitern Aussicht. Eben deßhalb bezog mein Vorgänger im Archiv außer jenen festen Gehalte noch eine Personal=Zulage, um, bei den eben berührten Verhältnißen einen Beamten, der die philosophischen und Rechtsstudien zurückgelegt hatte, zu vermögen mit dieser letzten Hofnung für das ganze Leben sich zu begnügen. Auch diese Zulage wurde mir zugesagt, mit dem Beisatze jedoch, daß erst nach drei oder viermonatlicher Dienstleistung man mit Berufung auf meine gezeigte Geschäftstüchtigkeit bei Seiner Majestät auf diese Gehaltsvermehrung antragen könne. So trat ich denn meine neues Amt an, das mir Anfangs durch die feindliche Gesinnung meine Untergebenen, von denen die Ältest=Dienenden sich selbst um die Direktorsstelle beworben hatten, sehr sauer gemacht wurde.

FG: SB, S. 180f.

Es ist in Östreich die Gewohnheit, daß diejenigen, für welche eine sogenannte Gnadensache Sr. Majestät zur Entschlußfaßung vorgelegt wird, sich persönlich dem Kaiser in besonderer Audienz vorstellen. Theils konnte ich nicht, theils wollte ich gerade in meinem Falle von diese Übung nicht abweichen. Man hatte mir den Kaiser als höchst erzürnt über mein Gedicht vorgestellt. Mir lag daran, wenn er sich etwa in diesem Sinne äußern sollte, seine falsche Ansicht nach Möglichkeit zu berichtigen. 
Ich meldete mich zur Audienz und wurde angenom̄en. Es war das einzigemal daß ich den Kaiser Franz sprach. Bei meinem Eintritt in den Vorsaal zischelten sich Mehrere heimlich in die Ohren; ein hochgestellter Geistlicher, sonst mein vertrauter Freund, that alles Mögliche meine Nähe zu vermeiden, ja Einer der beim Eingang in das Arbeitszim̄er des Kaisers aufgestellten Gardisten, sprach allerlei von der übeln Stim̄ung desselben und seiner strenge im Zorn was offenbar auf mich gemünzt war. Ich dachte mit Göthes Georg im Göz von Berlichingen: Guckt ihr – ! Endlich wurde ich, der Allerletzte oder einer der Letzten eingelassen. Der Kaiser empfieng mich sehr gütig. Als ich meinen Namen und den Gegenstand meiner Bitte nannte, fragte er – obschon er es wahrscheinlich so gut wußte als ich – “Sind Sie der Nämliche der der Autor ist?„ Ich bejahte und setzte meine Gründe und Ansprüche auf die mit der Archivdirektorsstelle verbundene Gehaltszulage auseinander. Der Kaiser hörte mich ruhig an und sagte: Ihr Gesuch ist ganz billig, da sie ganz in dem Falle ihres Vorgängers sind. Endlich entließ er mich mit den Worten: “Seyn Sie nur fleißig und halten Sie Ihre Leute zusam̄en„. Da der Kaiser meines Gedichts nicht erwähnte, fühlte ich mich auch meinerseits nicht berufen, darüber ein Wort zu verlieren und gieng. So mild aber seine Worte waren, so wenig waren es seine Handlungen. Er hatte schon damals den mich angehenden Vortrag der Finanzhofstelle unter diejenigen Aktenstücke gelegt, die er entschlossen war während seines ganzen Lebens nicht zu entscheiden. Erst länger als ein Jahr nach seinem Tode wurde es mit Mühe unter den Rückständen aufgefunden, die aus ähnlichen Ursachen sich angehäuft hatten. Aber auch als es sich jetzt fand, hatte bereits ein Staatsrath, auch Einer meiner Maul=Freunde und Gönner, sein Müthchen an mir, oder vielleicht nur an der Finanzhofstelle, die seinen Sohn nicht nach Wunsch beförderte, ämtlich gekühlt, indem er statt der Gehalts=Zulage auf eine Gehalts=Vermehrung einrieth, durch welche ich freilich aber 200 Gulden jährlich verlor; ein Verlust der mir erst später unter dem Ministerium des Baron Kübeck gutgemacht worden ist.

FG: SB, S. 183f.

Ungefähr um diese Zeit wurde der Dienstplatz eines Bibliothekars der Wiener Universitäts=Bibliothek erledigt. Mir war die Gelegenheit erwünscht von dem Aktenwesen los zu kom̄en und ich setzte mich dafür in Bewerbung. Eigentlich war es nur ein Dienst=Tausch, da mit beiden Stellen der nämliche Gehalt verbunden war. […] Die Stelle selbst aber erhielt nicht ich, sondern […] ein Schreibersknecht der Hofbibliothek, die er mir am Dienstjahren und Gehalt um die Hälfte nachstand, aber von einem dortigen Vorgesetzten empfohlen war, der selbst einer Empfehlung bedurft hätte um Jemanden Andern empfehlen zu können. […] Ich kehrte daher zu meinen Akten zurück, die mit täglich widerlicher wurden, indeß sie mich anfangs wenigstens historisch interessiert hatten.

FG: SB, S. 204f.

Grillparzers Amtseid vom 1. Februar 1832.