Buch || Totalität || et cetera

»Bücherwelt und Weltbuch« sind, um mit Hans Blumenberg über »Die Lesbarkeit der Welt« zu sprechen, aufeinander bezogen. Denn die materialiter abgesicherte Fähigkeit des Buches zur umfassenden Selbst- und Fremdreferenzialität gewährleistet eine »Herstellung von Totalität«: »Die Kraft, Disparates, weit Auseinanderliegendes, Widerstrebendes, Fremdes und Vertrautes am Ende als Einheit zu begreifen oder zumindest als einheitlich begriffen vorzugeben, ist dem Buch […] wesentlich.« Wenn Blumenberg hier richtig liegt, besteht die Provokation des Trägermediums Buch in sich wie auch äußerlich betrachtet in der je wechselseitigen Perfektionierung eines Begriffs von Totalität, die zum Zwecke der begrifflichen Rede aufzudröseln das Scheitern des Unternehmens oft genug gewährleistet. Das Buch genügt sich jedoch selbst und verweist überdies auch noch auf andere Bücher. 

Doch gibt es zwei besondere Tücken zu beachten: Denn nach dem bislang Festgestellten könnte man – das wäre die erste Falle – sagen: ›Hat man ein Buch gesehen (gar: gelesen – und wir lassen hier außer Acht, dass man viele Bücher gelesen haben muss, um eines tatsächlich gelesen zu haben), hat man alle gesehen.‹ Dann wäre wohl alles gesagt. Die derart vermittels bemüht getarnter Kulturnähe allzu gewollt witzige, jedenfalls ostentative Ausstellung einer Kulturferne erfährt ihr Problem jedoch recht unvermittelt aus Grundbedingungen des Buches für sich wie der Bücher an sich: die unveräußerlichen medialen Bedingtheiten der Serie und der Ordnung sowie die damit einhergehenden Änderungen der Grundbedingungen für die Reflexion zerlegen jedwede Hoffnung auf singuläre Definitionsgewalt qua Induktion. Die zweite Problematik ergibt sich ebenfalls aus der Totalität dieses Mediums, wenngleich dabei nicht Verweiskraft und Respondenznotwendigkeit im Vordergrund stehen: Jedes Buch zeugt tatsächlich ganz allein für sich bereits von einem zentralen Bestimmungsmerkmal – von der bewusst gesetzten Kulturleistung eines Anfangs, eines Fortgangs und eines Endes. 

Jedes Buch verabschiedet auf diese Weise ausgesprochen rüde die Idee vom unabgeschlossenen Text (und auch deshalb bedarf es der seriellen Merkmale!): Während die Rolle, vor wenigen Jahren noch das Endlospapier älterer Nadeldrucker und heute die Maschine mit Scroll-Funktion noch den Gedanken an den ewig fortlaufenden Text zu zitieren oder zumindest ein wenig zu unterstützen vermögen, macht ein Buch klar: Hier ist der Anfang, hier ist das Ende (welche Schwierigkeiten sich damit seit jeher auftun können, zeigt ein Video der norwegischen Show »Øystein og jeg« [2001]), dazwischen ist die von wem auch immer setzbare Totalität. (Gegen die Derrida in seiner »Grammatologie« vom Leder zu ziehen suchte, indem er dekretierte: »Die Idee des Buches, die immer auf eine natürliche Totalität verweist, ist dem Sinn der Schrift zutiefst fremd.«) Die Buchform sichert unhintergehbar eine Form der Überschaubarkeit, die daraus sich ergebende Möglichkeit einer Ordnung ist die Grundlage der Bibliothek und ähnlicher Wissensspeicher. Diese Bedingtheit des Buches durch seine Materialiät erfasst konsequenterweise auch den Text, dieser hat dem materialen Beziehungsgefüge seines Mediums lediglich seine eigene Gemachtheit – seine Komposition, seine innere Logik – entgegenzusetzen. 

So lässt sich resümieren: Das Buch steht zwingend für Grenzen, an denen sich abzuarbeiten Ausweis einer Kulturleistung ist. Zugleich steht das Buch bereits im Singular mittels serieller Gesetzlichkeiten für seinen Plural. Das Serielle wiederum bedarf seinerseits der Ordnung. Das Buch stellt diese sicher und seine Handhabung beruht zwingend darauf. Das Buch sagt ›Das ist alles‹. // Und der scheinbare Ausbruch aus diesem selbstreferenziellen System (es gilt das Prinzip der Systemerhaltung), zugleich dessen Bestätigung, sind die Fuß- oder Endnoten, die Anmerkung in der Marginalspalte – die Vorläufer des elektronischen Links; sie alle sagen, etwas geschwätzig und mit dem Gestus der Selbstbestätigung: ›Da schau auch her‹, ›Lies dort nach‹, ›Denk da weiter‹, letztlich sagen sie also: ›Und so weiter‹.