Bücherwahn

Dieser Mann sprach mit niemandem außer mit Antiquaren und Trödlern. Er war verschlossen, schweigsam, schien trübsinnig; ein Gedanke nur besaß ihn: Bücher! Sie waren seine Liebe und Leidenschaft, sie verbrannten ihn innerlich, machten seine Tage kaputt und fraßen sein Dasein auf. […] Diese fiebrigen, verzehrenden Nächte verbrachte er mit seinen Büchern. Er lief zwischen den Büchergestellen hin und her, eilte in grenzenloser Verzückung in die Galerien seiner Bibliothek hinauf. Hielt an, das wirre Haar hing in sein Gesicht, die stieren Augen funkelten. Die zittrigen Hände hielten sich am Holz der Gestelle fest; sie waren feucht und heiß. / Er nahm ein Buch, blätterte darin, griff das Papier, prüfte Vergoldung und Einband, fuhr über Buchstaben, über Druckerschwärze, dehnte den Bund, betrachtete die Zeichnungen beim Wort finis. / Später stellte er das Buch auf ein höheres Brett und verbrachte Stunden mit der Betrachtung des Titels und der Rückenprägung. / Dann ging er zu den Handschriften, das waren seine Lieblingskinder. Er öffnete eine, die älteste, verbrauchteste, die schmutzigste, und fuhr mit den Augen liebevoll, glücklich über das Pergament. Er roch den ehrwürdigen, ja heiligen Staub, seine Nasenflügel bebten vor Freude und Stolz, und ein Lächeln irrte über seine Lippen. / Oh! wie glücklich war dieser Mann, glücklich inmitten dieses Wissens, dessen Ideen und literarischen Wert er kaum verstand. Verzaubert saß er unter diesen Büchern, seine Augen glitten über goldene Buchstaben, über zerlesene Seiten, über fleckiges Pergament. Er liebte das Wissen wie ein Blinder das Licht. / Nein, nicht das Wissen liebte er, sondern seine äußere Gestalt und seine Form. Er liebte das Buch um des Buches willen, dessen Geruch, das Format, den Einband. An einer Handschrift fesselten ihn eine unleserliche, alte Jahreszahl, die fremden, gotischen Lettern, die schwer vergoldeten Verzierungen der Initialen. Mit Wonne atmete er den deliziösen Duft der staubigen Seiten ein. Hübsch und liebenswert fand er das Wort finis, das, von Amoretten umgeben, von Schleifen getragen, in einen Grabstein gemeißelt, ruhend in einem Korb voller Rosen, zwischen goldene Äpfel gebettet oder aus einem Bouquet blauer Blumen leuchtete. / Diese Leidenschaft sog ihn vollkommen auf. Oft aß er kaum, er schlief nicht mehr, aber er träumte Tag und Nacht seine fixe Idee: Die Bücher. / Er träumte davon, wieviel Göttliches, Erhabenes, wieviel Schönheit eine königliche Bibliothek haben mußte, er träumte davon, selber eine solch wunderbare Bibliothek aufzubauen. Wie würde er das genießen, wie stolz und mächtig fühlte er sich, während sein Blick in riesige Galerien tauchen und sich in Meeren von Büchern verlieren würde! Hob er den Kopf? Bücher! Senkte er den Blick? Bücher! Links, rechts, überall: Bücher! Bücher! / In Barcelona galt er als Sonderling, als teuflischer Kerl, oder gar als Weiser, als Zauberer. / Dabei hatte er Mühe zu – lesen.

Gustave Flaubert, Bibliomanie. Conte / Bücherwahn. Erzählung. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzung von Beat Brechbühl. Wald o.J.,S. 9-17