Bureau–cracy

The connective quality of written traces is still more visible in the most despised of all ethnographic objects: the file or the record. The “rationalization” granted to bureaucracy since Hegel and Weber has been attributed by mistake to the “mind” of (Prussian) bureaucrats. It is all in the files themselves. A bureau is, in many ways, and more and more every year, a small laboratory in which many elements can be connected together just because their scale and nature has been averaged out: legal texts, specifications, standards, payrolls, maps, surveys (ever since the Norman conquiest, as shown by Clanchy, 1979). Economics, politics, sociology, hard sciences, do not come into contact through the grandiose entrance of “interdisciplinarity” but through the back door of the file. The “cracy” of bureaucracy is mysterious and hard to study, but the “bureau” is something that can be empirically studied, and which explains, because of its structure, why some power is given to an average mind just by looking at files : domains which are far apart become literally inches apart ; domains which are convoluted and hidden, become flat ; thousands of occurrences can be looked at synoptically. More importantly, once files start being gathered everywhere to insure some two-way circulation of immutable mobiles, they can be arrayed in cascade : files of files can be generated and this process can be continued until a few men consider millions as if they were in the palms of their hands. Common sense ironically makes fun of these “gratte papiers” and “paper shufflers”, and often wonders what all this “red tape” is for ; but the same question should be asked of the rest of science and technology. In our cultures “paper shuffling” is the source of an essential power, that constantly escapes attention since its materiality is ignored.

Bruno Latour: Visualisation and Cognition. Drawing Things Together. In: H. Kuklick (editor): Knowledge and Society Studies in the Sociology of Culture Past and Present. Jai Press Vol. 6, pp. 1-40, here p. 26 [.pdf]

Die verbindende Qualität geschriebener Spuren ist sogar noch sichtba­rer im meistverachteten aller ethnographischen Objekte: in der Akte oder der Aufzeichnung. Die der Bürokratie seit Hegel und Weber gewährte »Rationalisierung« wurde versehentlich dem »Geist« (preußischer) Bürokraten zugeschrieben: Es liegt alles in den Akten selbst. Ein Büro ist – in vielen Hinsichten und mit jedem Jahr zunehmend – ein kleines Laborato­rium, in dem viele Elemente miteinander verbunden werden können, weil ihr Maßstab und ihre Natur angeglichen wurden: juristische Texte, Spezifikationen, Standards, Gehaltslisten, Landkarten, Untersuchungen (seit der Eroberung durch die Normannen, wie aufgezeigt bei Clanchy 1979). Öko­nomie, Politik, Soziologie und harte Wissenschaften kommen nicht durch den grandiosen Zugang der »Interdisziplinarität« in Kontakt, sondern durch die Hintertür der Akte. Das »Kratie« im Wort »Bürokratie« ist myste­riös und schwer zu erforschen, aber das »Büro« ist etwas, das empirisch untersucht werden kann und das aufgrund seiner Struktur erklärt, weshalb etwas Macht an einen durchschnittlichen Geist abgegeben wird, einfach indem man Akten durchsieht: Weit entfernte Domänen rücken in unmit­telbare Nähe, verschlungene und versteckte Domänen werden flach, Tau­sende von Vorkommnissen können synoptisch betrachtet werden. Noch wichtiger ist, dass, wenn Akten einmal überall zusammengetragen werden, um eine Hin- und Rückzirkulation unveränderlich mobiler Elemente sicherzustellen, sie in einer Kaskade aufgestellt werden können: Akten über Akten können erzeugt werden und man kann diesen Prozess fortset­zen, bis einige Menschen Millionen betrachten, als wären sie in ihrer Handfläche. Ironischerweise macht sich der gesunde Menschenverstand über diese »gratte-papiers« oder »Papiertiger« lustig und fragt sich, wozu dieser »Papierkrieg« notwendig ist; dieselbe Frage sollte jedoch bezüglich aller Themen von Wissenschaft und Technik gestellt werden. In unserer Kultur ist der Umgang mit Akten und Papier der Ursprung aller essentiel­len Macht, was konstant der Aufmerksamkeit entgeht, da man deren Mate­rialität ignoriert.

Bruno Latour: Drawing Things Together: Die Macht der unveränderlich mobilen Elemente. [1986] Übers. v. Andréa Belliger u. David J. Krieger. In: ANThology. Ein einführendes Handbuch zur Akteur-Netzwerk-Theorie. Hg. v. Andréa Belliger u. David J. Krieger. Bielfeld: Transcript 2006, S. 259–307, hier S. 295f.