Zur Funktion von Akten, Bibliotheken und Verzeichnissen für Musils »Mann ohne Eigenschaften« (2019)
Der im Folgenden mit dem ersten und letzten Abschnitt angerissene Aufsatz findet sich im Ganzen – mit Open Access – online [.pdf]. (Alternativ ho., ca. 200 KB.) Der von Károly Kókai 2019 herausgegebene Band Robert Musil und die modernen Wissenschaft ist Beitrag für Beitrag ebenfalls mittels OA online abruf-/einsehbar.
Ergänzend ist für das bürokratische Arrangement von Musils jahrzehntelangen Schreibakten zum MoE darauf hinzuweisen, was als Anmerkung 3.a) ho. betr. Kanzleiordnung (1923) – ›Einsichtsbemerkung v. 2.3.2020‹ – sich findet.
Es wäre etwas überzeichnet, würde man Robert Musil eine besondere Zuneigung für das Bibliotheks-, Archiv- und Amtswesen in deren Ausprägung durch den öffentlichen Dienst attestieren. Für ersteres ließ er sich mit ärztlichem Attest krankschreiben und sozusagen aus der Benutzerkartei austragen; ins Archiv wurde er gegen Ende der Tätigkeit im Kriegspressequartier und insbesondere knapp nach dem Krieg zur Unterstützung der liquidierenden Behörden geschickt; eine Art Beamtenlaufbahn hätte er einschlagen können, jedenfalls eine feste Stelle im Staatsdienst annehmen, doch zugunsten einer Existenz als freier Schriftsteller wurde auch daraus nichts. Dabei erwarb er jedoch Kulturtechniken, spezifisches Wissen um Verwaltungsverfahren, ein eingehendes Verständnis für funktionierende und dysfunktionale Prozessläufe sowie eine stupende Materialfülle, die er insbesondere im Mann ohne Eigenschaften einordnete. Die angeeigneten Verfahren nutzt er, so die These, systematisch für seine sehr eigene Umsetzung derartiger Ordnungs- und ›Prozesswissenschaften‹; so etwa wenn er eigenen Indexierungen vornimmt, Ablagesysteme entwickelt, Sammlungen anlegt, Siglen in seinen Konzeptarbeiten[1] systematisch nutzt.
In der Folge soll anhand einiger Kapitelverweisen zum Mann ohne Eigenschaften[2] skizziert werden, welche Bedeutung dieses in je unterschiedlichen Lebenslagen auf Musil gekommene und von ihm transponierte Wissen um die Funktionen von Bibliothek, Archiv und Bürokratie für seinem großen Roman hat – angesichts einer scheinbar »normativen Kraft des Faktischen« (Georg Jellinek), die den Ereignissen vor der Mobilmachung in die Katastrophe innewohnte und den und Taten der »Schlafwandler« (Christopher Clark) zueigen war –, welche je eigenen Textebenen es eröffnet, Wissensscharniere in Bewegung setzt und ex post Anwendung auf Vorzeiten und -spiele des Krieges erfährt.
Die leitende Annahme des vorliegenden Beitrags ist, dass die gewaltigen Mengen an wissenschaftlichen und philosophischen wie soziologischen Lehren, Postulaten und akademischen Arbeiten, die Musil über Jahrzehnte hinweg verarbeitete, in zweifacher Hinsicht mit Ordnung konfrontiert sind: Zum einen die Sortierung und mehreren Ordnungsschemata zuarbeitend gedachte Vernetzung eigener Arbeiten und Entwürfe, um druckreife Blätter zu gewinnen. Zum anderen haben wir es mit einem der ungeheuersten Romane über Möglichkeiten angewandter Kulturtechniken des Verwaltens (Praxeologie) und registrierten Bewahrens, ohne denen weder Administration noch Wissenschaft bestehen können, zu tun. In den Eigenheiten von Amt, Wissensspeicher und Erzählerposition sind wesentliche Dynamiken und Entwicklungspotentiale angelegt, die kaum Abgrenzungen und Rupturen in der Darstellung (umso bemerkenswerter, wie Musil solche in seinen Kapiteln setzt und diese im Ganzen entsprechend anordnet) provozieren. Wissensspeichersysteme durchzuarbeiten und Prozessläufe nebst Geschäftseinteilungen in Behörden zu verstehen, liefert ihm einschlägiges Material und unterstützt zugleich – im Sinne routinierter Nutzung einschlägiger Hilfswissenschaften – den Schreibakt an sich.
In der Mehrschichtigkeit dieses Romans geht es somit nicht unwesentlich auch darum, wie recht eigentlich aus hierarchischen (d.h. sehr eigentlich exkludierenden respektive selektierenden) Ansprüchen erwachsene, alte und über Jahrhunderte hinweg zu hochkomplexen Wissens- und Handlungsapparaten entwickelte Kulturtechniken des militärischen ebenso wie die neueren und als modern angesehenen Wissenschaften des industriellen Komplexes[3] zu für den erzählten Zeitraum 1913/14 erkennbaren Konsequenzen nicht nur Anschluss finden, sondern ihren Beitrag sowohl zur Auslösung des Großen Krieges als schließlich auch Auflösung der Ursachenfrage leisten. (Darauf wird zurückzukommen sein.)
An eine tatsächlich allen ›Sinn‹ aufschlüsselnde Lesart – und sei es mit der ganz ausgezeichneten Frage nach der Funktion der Wissenschaften als Material des Romans – lässt sich zwar nur unter Wahrung völliger Vermessenheit denken, aber soviel lässt sich doch feststellen, dass Musil in seiner gewaltigen Arbeit zu belegen versuchte, wie es zu jenem Weltkrieg kam. Historiker haben es da, würde man vermuten, etwas einfacher.
Christopher Clarks in zweistelligen Auflagen greifbares, mithin außerordentlich erfolgreich verkauftes Sachbuch Die Schlafwandler[4] kann für sich als nicht geringen Verdienst reklamieren, auf die außerordentliche Komplexität derartiger Erklärungsstränge hingewiesen zu haben. Mehr als 100 Jahre danach interessiert die ›Smoking Gun‹, die Frage des ›Who dunnit‹, vielleicht stärker als in den 1920er und 1930er Jahren, als andere Formen der Unmittelbarkeit und Betroffenheit gegeben waren. Wenn der Erste Weltkrieg als Vorbedingung für den Zweiten gewertet wird, der als noch monströser, industrieller und mörderischer sich einstufen lässt und chronologisch gesehen viel näherliegend gewaltige Schuldfragen aufwirft, ist es für einen Bucherfolg 100 Jahre danach und also Anfang des 21. Jahrhunderts kein Nachteil, wenn ganze Tätergruppen für die Auslösung des WK-Eins[5] namhaft gemacht werden können, mithin eh alle beteiligt waren.
Ein solcher Ansatz war eher nicht der Robert Musils. Vielmehr wird bei ihm recht deutlich, was in der Folge auch gezeigt werden soll, dass es zwar einerseits um gesellschaftliche Befindlichkeiten, eine Generationenfrage und geistige Verfasstheiten geht, dass aber andererseits das »k. und k. Ministeriums des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern« sowie dessen Führungsebenen und der sozusagen hervorragende Beitrag der bürokratischen Eliten dieser österreichisch-ungarischen Monarchie zur (nicht nur do. als notwendig und folgerichtig angesehenen) Auslösung des Krieges als geradezu extrapoliert sich einschätzen lässt.
1. Akt, Amtsschematismus und Ordnung; Kulturtechniken der Wissensverwaltung
Zahlreiche Korrespondenzen und Verbindungslinien zwischen unterschiedlichsten Punkten des Romans laufen über Wissensspeicher, die ebenso Eingriffe und Lenkungen erlauben,[6] wie sie Spezifika der Amtsschematismen[7] eröffnen, diverse für Externe nicht einsehbare Handlungsspielräume und Konterminen, sowohl zwischen als auch neben den Zeilen der Roman-Lektüre. Vom Wesen der Akten und ihren Verzeichnissen zu handeln bedeutet beispielsweise stets, mögliche Konsequenzen bei deren Handhabung im Auge zu behalten. Selbst bürokratisch abgesicherte Hierarchien lassen sich jedoch – das wird schnell deutlich –, etwa zum Zweck der Ablenkung oder Camouflage bellizistischer Umtriebigkeit, in eine karikaturenhafte Stillstellung hineintreiben.[8]
Das hier in der Folge angeführte Zitat aus Musils Nachlass vom »Weltgesetz der Bürokratie« (das bereits 1928 ausgearbeitete Kapitel ist mit »Hans Sepps Selbstmord« überschrieben[9]) lässt sich unter Berücksichtigung von Cornelia Vismanns Arbeiten über Akten[10] und deren Grammatologie der Rekursion, Referenzstrukturen und Verweisungsketten lesen, wodurch Musils ironische Rede und Vismanns Analyse der notwendigen Eigen- wie Rückbezüglichkeit von Akten in einen fruchtbaren Zusammenhang sich bringen lassen. Denn was Musil nicht explizit nüchtern formuliert (seine Arbeit an der Textkonstitution muss zumindest auch die Option einer ironischen Referenzierung offenhalten), jedoch stets aus dem erworbenen Wissen heraus mit meint, ist, was Vismann sehr bündig darlegt: »Die Akte enthält sich selbst als Ablauf«. Damit ist gemeint, dass das administrative Medium des Aktes aufgrund seines vorgeschriebenen Funktionsprogramms und bei Einhaltung aller Regeln eine eigene Rechtssicherheit und Handlungsbegründung generiert. Diese Absicherung des Aktenlaufs, eines (eben nicht strikt linear, sondern potentiell ebenso rekursiv, selbstreferentiell, zirkulär zu denkenden) Prozess-Algorithmus, ist gleichzeitig kompatibel mit enormen Speicherkapazitäten und grundsätzlicher Aufnahmebereitschaft von neuen Stücken, die in Summe ein stetes ›Jetzt‹ bedeuten: »Die unbegrenzte Aufnahme- und Zirkulationsfähigkeit von Akten macht sie zu einem Medium der Präsenz.« – Musils Ausführungen zur Kunstfertigkeit eines nie final ein- und damit abgelegten Aktes, die es von der durchaus vollständig ausgearbeiteten »Kapitelgruppe« des Zweiten Bandes (1928) nicht in den kanonischen – d.h. zu Lebzeiten gedruckten – Roman schafften, handeln nicht von einem ›Eigenleben‹ derartiger Schriftstücke – umfassend, genauer: Konvolute –, sondern im Grunde von der Kulturtechnik der Steuerung und Erhaltung der Zirkulationsfähigkeit, sozusagen von der Prozesse generierenden Wesenhaftigkeit dieses Intermediums (dass es bei derartigen Vorgängen, den Aktenläufen, u.a. um Rechtssicherheit und Transparenz geht, ist deshalb kaum aus den Augen zu verlieren, als gerade diese Vorgaben sehr bewusst gegen die Figur des Hans Sepp gewendet werden):
Ein unabgeschlossen begrabener Akt muß von Zeit zu Zeit aus dem Grab gehoben werden, um auf ihm zu bemerken, daß er noch immer nicht abgeschlossen werden könne und einen Tag darauf zu setzen, wo ihn der Archivbeamte wieder dem Konzeptsbeamten vorzulegen habe. Das ist ein Weltgesetz der Bürokratie, und wenn es sich dabei um einen Akt handelt, der unter dem Vorwand, daß seine Grundlagen nicht vollständig seien, nie abgeschlossen werden soll, so muß man sehr gut auf ihn achtgeben, denn es kann vorkommen, daß die Beamten vorrücken, versetzt werden und sterben, und ein Neuling, der den Akt erhält, in seinem Übereifer veranlaßt, daß zu einer der letzten Erhebungen, die vor Jahren stattgefunden haben, eine kleine ergänzende Erhebung gemacht werde, die den Akt einige Wochen am Leben erhält, bis sie als Beilage endet und mit ihm verschwindet.[11]
Es geht gewiss auch um Fragen des Wissensmanagements und der Verfügbarkeit (nebst – abgesicherter – Willkür), aber in erster Linie bedarf die angesprochene Präsenzfähigkeit der Akten – angesichts der Biografie Musils sind dann vor allem auch jene in den von ihm durchzuarbeitenden Archiven (Kriegsarchiv und andere liquidierender Behörden, Archiv des Außenministeriums) mit zu bedenken – einer funktionierenden Registratur und eines dadurch stets reproduzierbaren Zugriffs im Sinne der Fortschreibung des Prozesses.
Die in Kapitel 100 des Mannes ohne Eigenschaften mit dem Wort Stumms von Bordwehr als »Gehirnphosphor«[12]markierte Bibliografie der Bibliografien wiederum, der Katalog der Verzeichnisse, ist so ein scheint’s hochentzündlicher Inbegriff der Präsenzhaltung. Der angelernte Bibliothekar, Archivarbeiter, Aktenliquidator und Rechercheur Robert Musil gewichtet vor allem die präzise Nachweisbarkeit – aufgrund ebenso spezifischer wie nachvollziehbarer Ordnungskriterien – als zentrale Eigenschaft von Verwaltungsschriftstücken. Die stete Verfügbarkeit, die stillschweigende Drohung eines Nachweises, zeitigt durchaus eigentümliche Dynamiken, die letztlich bis auf die Ebene literarischer Texte durchschlagen. Aus dieser Faktenpräsenz heraus, versucht nun Musil derartige Systeme auch in die Gegenrichtung mobil zu machen, d.h. eine sozusagen inversive Beweisführung – mit den Mitteln des Systems gegen die Abläufe und Funktionalitäten desselben – vorzulegen.
Wenn einer grundlegenden Annahme des hier vorliegenden Bandes zufolge das Tilgen der Spuren und direkten Hinweise intensiver Beschäftigung mit Naturwissenschaften, Mathematik, Psychologie, Wiener Kreis etc. für Musil »ein zentrales schreibstrategisches Anliegen gewesen« ist, gilt dies jedenfalls auch für Musils Detail- um das insgesamt verwaltete Wissen, die hierbei angewandten Strategien, Komplexitäten und den stets rührigen »Gehirnphosphor« (zu diesem später mehr). Gerade wenn etwa, um ein erstes interpretatives Signalement zu setzen, mit den Kapiteln 10 und 11 den vorgestellten Natur- und jedenfalls Ingenieurswissenschaften nebst der Mathematik ein allseits geschulter Erzähler als tatsächlich Verstehen befördernd gegenübergestellt wird, lohnt jeder Blick auf die Bordmittel eines derartigen poeta doctus. Wie genau Musil hinsah und was alles durch die Schichten literarischer Textierung hindurch sich für die Kulturtechnik eines Präsenthaltens notwendig erweist, wird dadurch noch einmal interessanter. Ob es nun wie in Kapitel 52 und zahlreichen anderen von Verwaltung handelnden die historische Figur und Funktion des sogenannten »Sektionschefs Tuzzi« als systemischer pars pro toto ist, ob funktionierende Verweissysteme wie die der »Staatsbibliothek« als brandgefährlich von Geist vibrierend und zugleich Interventionsmöglichkeit eröffnend markiert sind (Kapitel 100) – es gilt je abwandelbar die Devise ›Quod non est in actis non est in mundo‹.
Bruno Latour wies auf eine wesentliche Differenz hin, die abzustecken das Missverständnis zwischen der Rede vom ordentlich geführten Verwaltungsapparat und seinen tatsächlichen Kulturtechniken wie Arbeitsmitteln zu beschreiben ermöglicht: »The ›rationalization‹ granted to bureaucracy since Hegel and Weber has been attributed by mistake to the ›mind‹ of […] bureaucrats. It’s all in the files themselves.«[13] – und eben diese von außen hartnäckig aufrecht erhaltene Synthese von allem und allen in der Bürokratie, die Verwechslung von Medium bzw. Intermedium und Akteur respektive Figur, macht der aktenkundige Musil fruchtbar. Er aktiviert, mit Vismann gesprochen, »die in den Akten versenkten Geisterbeamten, unsichtbare Hände aus Steuerzeichen und Aktenvermerke«,[14] denn ihn »interessiert […] das Gespenstische des Geschehens.«[15] Dieses stellt er, nunmehr literarisch betrachtet, vor das Gesetz seines Romans.
»Dieses Herumstören in alten Akten, dieser geschäftige Müßiggang des Beamtenlebens hat mir […] etwas Erquickliches«, notierte der ärarische Archivar Franz Grillparzer in seinen Tagebüchern (11. März 1832)[16] und benennt damit en passantauch so etwas wie ein amtliches Vorrecht, die Exklusion Normalsterblicher von diesen Speicher- und Prozessmedien. »Wie ich schon sagte, ich habe keine Amtsgeheimnisse vor ihnen; aber Sie selbst in den Akten suchen zu lassen, so weit kann ich denn doch nicht gehn«, kehrt Franz Kafka im Schloss dieses Zugriffsprivileg noch deutlicher hervor.[17] Hier kommt die Kulturtechnik einer spezifischen Medienkunde zum Tragen, die auch mit sehr unterschiedlichen Hierarchien, sowohl innerhalb des Systems als auch in seiner Umwelt, zu tun hat.
Im Falle Musils werden überdies genau geratende Nachzeichnungen real existiert habender Personen durch literarisch aufzufassende Figuren wie den »Dichter Feuermaul« oder den »Sektionschef Tuzzi« aufgenommen. Derart kakanische Phänotypen tragen ihre Vorbilder als beiläufigen Subtext mit sich, der dechiffriert und allein für sich aber noch nichts erklärt. (Sie bedürfen bei der Niederschrift, abseits des textuell aufgezogenen Apparats, keines zusätzlich angelegten Zettelkatalogs mit präzisen Querverweisen und Referenzbegriffen[18] und können doch Schlüsselrollen einnehmen. Der Krieg, seine Begleitumstände und handelnden Personen, die daraus ableitbaren Charaktere und Ensembles, sind Musil in allen Vorstufen und Nachlass-Entwürfen deutlich vor Augen und – auch im Zuge der Arbeit in höchst eigenen Verweissystemen – somit ähnlich präsent, als wären sie in Akten sauber registriert, mit Einsichtsbemerkungen und Geschäftszahlen versehen; er, dieser Autor, Rechercheur und zugleich Präsidialchef des eigenen Werks und dessen vieler Stücke, muss ›nur noch‹ die Zusammenhänge wirksam setzen.
Jeder, der Krieg betreibt, braucht auch Erzählungen, Lieder und Bilder; er benötigt unterschiedliche mediale Formate, um die eigenen Narrative gegenüber jenen des Gegners in Stellung zu bringen. Und so wie ›der Krieg‹ derart vermittelnde Darstellungsformen erfuhr, bedurfte er neben Anlass gebenden Bezugssystemen, Vermögenswerten, Kriegern, Waffen, Bereitschaft zum Mord, Nachschub, Befehls- und Verständigungsketten als Parallelstruktur stets auch einer Form der Verwaltung, die Güter, Ersatztruppen und Informationskanäle sicherstellte.
Im Ersten Weltkrieg erfahren diese Anstrengungen und Erfahrungswerte, die über Jahrhunderte gesammelt und sowohl logistisch als auch kulturtechnisch verfeinert wurden, eine bis dahin nicht gekannte Akkumulation an Kräften; es entsteht – teils kontingent aus scheinbarer Notwendigkeit, aus Zufall und mitunter weniger aus strukturierter Planung heraus – eine völlig neue Form der Verschaltung der genannten Handlungsfelder und Subsysteme. Dabei konnte – von der Auslösung des Krieges, über dessen Fortgang und Erzählungen bis hin zu deren Distribution – auf einer Verwaltung mit gut 150 Jahren Tradition und zugleich Entwicklung aufgesetzt werden: einem System der Bürokratie und des spezifischen Interessensausgleichs, das längst auch sämtliche militärische Strukturen einschließlich ihrer Truppenkörper vereinnahmt hatte; da wie dort geht es wesentlich, hierarchisch reguliert, auch um Erregung, Impulskontrolle und Übertragung.
Bei der amtlich-militärischen Medienmaschinerie dieser Jahre – Musil ist als Chefredakteur einer Tiroler Truppenzeitung und später im Wiener Hauptsitz des Kriegspressequartiers ein nicht ganz unbedeutendes Rad in derselben – hat man es wesentlich mit einem Abschnitt der Kulturgeschichte der Verwaltung zu tun (die damit verbundene Organisation stellte abseits moralischer Zuschreibungen[19] zweifelsfrei Kulturtechniken wie -leistungen von Amts wegen zur Verfügung). In medienhistorischer wie -theoretischer Hinsicht geht es um den ersten (mit militär-bürokratischen Mitteln) systematisierten Medienverbund hinsichtlich Personal, Organisation, Aufgabengebiete und Verzahnung sämtlicher verfügbarer Medienkanäle der Zeit; die Verbindung von Technik, Krieg, Medien und Propagandaabsicht erreichte in diesen paar Jahren eine qualitativ und quantitativ neue Dimension.
Es geht jedoch nicht allein um Militärs und Kriegspropaganda. Vielmehr war es eine im Grunde zivile Organisationseinheit, die den Verlauf des Krieges wesentlich mittrug und beeinflusste, v.a. auch: diesen mit auslöste. Denn Eliten der österreichisch-ungarischen Bürokratie waren wesentlich und willentlich an der Auslösung des Ersten Weltkriegs beteiligt, weshalb Medien, Verwaltung sowie deren Schaltkreise schon umfassend zur Stelle waren, als der Krieg mit der Übertragung eines Telegramms aus dem »k. u. k. Hoftelegraphenamt«, auf Veranlassung des »k. und k. Ministeriums des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern«, ein- und mehr als bloß die Monarchie unter Strom setzte.[20]
Die Musil durch unterschiedliche Lebenslagen beigekommenen Kenntnisstände und hierarchischen Schematismen kommen auf je unterschiedliche Weise im Mann ohne Eigenschaften wie in anderen Schriften zum Tragen und bemerkenswerterweise geht daraus etwas hervor: dass Ordnung an sich in all dem eine wesentliche Rolle spielt:
Ich bin sogar, wenn Exzellenz gestatten, überzeugt, daß die meisten Menschen glauben, täglich einen Fortschritt der allgemeinen Ordnung zu erleben. Sie sehen alles voll von Ordnung; die Fabriken, die Büros, die Eisenbahnfahrpläne und Unterrichtsanstalten, – ich darf da wohl auch mit Stolz unsere Kasernen erwähnen, die mit bescheidenen Mitteln geradezu an die Disziplin eines guten Musikorchesters erinnern –, und man kann hinschaun, wo man will, so sieht man eine Ordnung, eine Geh-, Fahr-, Steuer-, Kirchen-, Geschäfts-, Rang-, Ball-, Sittenordnung und so weiter. Also ich bin überzeugt, daß fast jeder Mensch heute unser Zeitalter für das geordnetste hält, was es je gegeben hat. Haben Exzellenz nicht auch, so im Innersten, dieses Gefühl? Ich wenigstens hab’ es. Also ich, wenn ich nicht sehr aufpasse, habe ich sofort das Gefühl, daß der Geist der Neuzeit eben in dieser größeren Ordnung liegt und daß die Reiche von Ninive und Rom an irgendeiner Schlamperei zugrunde gegangen sein müssen.[21]
Angesichts von soviel Ordnung könnte man wie der Generalstäbler Stumm in Weiterführung einer Sentenz Ulrichs (»Geist ist Ordnung, und wo gibt es mehr Ordnung als beim Militär?«[22]) versucht sein deutlich zu machen, dass hier stets ein gewisses Risiko mitschwingt: »Irgendwie geht Ordnung in das Bedürfnis nach Totschlag über.«[23]
Die Recherche historischer Referenzen hinsichtlich Verweis- und Stratifizierungsketten, Verfahren der Rekursion im Rahmen von Ordnungsschemata der Verwaltung, hat in Verbindung mit ›Krieg‹ und ›ministerieller Bürokratie‹ viel Grundsätzliches an sich. Tatsächlich müsste zu zeigen sein, dass gerade Musils Präzision in der Darstellung ministerieller Verhältnisse, Befehlsketten und bürokratischer Usancen wie Interdependenzen in der Schnittstelle von Fiktion und Aktenlage zur Geltung kommt und auf der Ebene des Textes Auswirkungen zeitigt. Ein auch nur in Ansätzen mit der Monarchie und ihrer Bürokratie vertrauter Leser wird den entsprechenden Passagen der Fiktion noch in den 1930er Jahre unweigerlich einen enorm hohen Entsprechungsgrad zugebilligt haben. Der Grund ist simpel: Musil unterlaufen im Rahmen seines bürokratischen Verweissystems keine nennenswerten ›Fehler‹, sämtliche Verwaltungsvorgänge und -anspielungen im Mann ohne Eigenschaften weisen einen enorm hohen Deckungsgrad mit den damaligen Amtsschematismen – Geschäftseinteilungen, hierarchische Ebenen (auch den informellen und nur mehr in Korrespondenzstücken und Weisungen in Archiven nachvollziehbaren) und Organisationseinheiten – auf. Er schreibt sehr konzentriert am Rande dessen entlang, was sich tatsächlich als verwaltete und also veraktete Realität 1913, während des Krieges und im Zuge der Abwicklung wie Liquidierung des alten Regimes sowie Aufbau des neuen, ausnehmen ließ – daraus entstehen Erkennungseffekte, eine nachvollziehbare Systemlogik und einschlägige Dynamisierungseffekte für Handlungsfortschreibungen. Anders formuliert zieht Musil zur verwalteten Realität 1913/14 seine textuelle Parallele: die Umsetzung und dabei literarische Fruchtbarmachung des kakanischen Apparats für den Mann ohne Eigenschaften und die Parallelaktion in diesem, die in allen möglichen Varianten zum Einsatz gelangt (eben auch der einer Schattenbürokratie zur offiziellen, die dabei mehrheitlich von denselben Personen und Ämtern getragen wird – die Parallelaktion käme sonst nicht einmal scheinbar in Gang).
Zumindest kursorisch sei hier an einige von Musils nachschulischen Ausbildungsetappen vor dem Krieg erinnert: Ingenieurswesen, Philosophie, Naturwissenschaften, Mathematik, Militär, Bibliothek,[24] … Ab März 1918 versah er dann im Kriegspressequartier Dienst, arbeitete nach dem Umbruch liquidierenden Behörden zu,[25] zernierte u.a. im Kriegsministerium dessen Archive,[26] arbeitete auch im Archiv des Außenministeriums (und wird mitverfolgt haben, wie sich das Ministerium des Sektionschefs Tuzzi in der Realität der Nachkriegszeit neu-alt wie alt-neu aufstellte) respektive dessen Medienstelle und konzipierte als Spezialist für »Psychotechnik« Entwürfe für die psychologische Betreuung von Soldaten und Schulung von Offizieren.[27] Der Schriftsteller (und 1914 als Kriegsgegner eine Zeitlang inhaftierte) Karl Otten berichtet, dass Musil damals auf die Frage, was er noch im Kriegsministerium mache (das Kriegspressequartier, dem er bis dahin angehört hatte, wurde erst am 15. Dezember 1918 aufgelöst), lapidar geantwortet hätte: »Ich löse auf.« Otten bemerkt dazu:
Die »Auflösung« vollzog er in seiner Geschichte Kakaniens weit gründlicher, als er es je in den Akten des Kriegsministeriums hätte tun können. Wobei allerdings nicht übersehen werden darf, daß ihm aus diesen Akten eine genaue Einsicht in die Hintergründe des Krieges, der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verflechtung und Verfilzung aller Beziehungen in diesem Reiche, das nun hinter ihm lag und zugleich das Objekt seiner stetigen, sorgenden Analyse blieb, zuströmte.[28]
Die notwendige Arbeit mit den Akten und Kenntnis von Hintergründen sonder Zahl unterlegt Musils Bekundung doppeldeutig. »Auflösen« bzw. Liquidieren ist sowohl ein Verwaltungsterminus als auch die Antwort auf eine Fragestellung oder die Auflösung eines für Verfahrensfremde unentwirrbar erscheinenden Knotens. Einerseits war die Abwicklung auch dieses Hauses und damit auch der KPQ-Akten zu betreiben; andererseits aber wird Musil vermittels der administrativen Einsichtnahmen Rätsel gelöst haben und die Bürokratie vor dem und zum Krieg hin, die Netze der Abhängigkeiten und der Verwaltungsusancen in sehr präziser Weise in seinen Mann ohne Eigenschaften aufnehmen. Die damit verbundene Absicht, mit den Mitteln der Recherche und Literatur auch von den Vorbedingungen des Krieges zu erzählen, greift er 1926 in einem Gespräch mit Oskar Maurus Fontana (für die Literarische Welt) erneut auf: »Daß Krieg wurde, werden mußte, ist die Summe all der widerstrebenden Strömungen und Einflüsse und Bewegungen, die ich zeige.«[29] SeinRoman sei als »Versuch einer Auflösung und Andeutung einer Synthese« zu verstehen.
Der Aufsatz in toto – und somit auch die hier nur mit ihren Überschriften angeführten vier Abschnitte – online (i.e. »Open Access«) unter Das verwaltete Wissen [.pdf]
2. Wenn Kavallerie, Ingenieurswesen und Mathematik nicht hinreichen; der Erzähler – Kapitel 9, 10 und 11
3. Die Amtsführung des Sektionschefs Tuzzi am Ballhausplatz – Kapitel 52
4. Die institutionelle Sedierung der Parallelaktion im Dienste der Camouflage – Kapitel 44
5. Die höhere Ordnung der Bibliothek; Registratur und Gehirnphosphor – Kapitel 100
6. Der Ordnung halber; zum Schluss
Bibliothek, Archiv, Zettelkasten und Aktenverwaltung sind Systeme der Ordnung, weisen die notwendigen Eigenschaften der Rekursion und Durchsuchbarkeit, Reproduzierbarkeit von Wissen sowie die Möglichkeit für den raschen und informierten Zugriff auf. Hier werden die alten wie die modernen Wissenschaften – die es somit nicht anders geben kann – eingetragen. Diese Systeme (bis hin zu den mittels Ordnungsversuchen eingezogenen roten Verknüpfungsfäden in Musils Notizheften) sind Aggregate – d.h. es geht nicht einfach um eine Wissensspeicherung im Sinne des Ablegens; die besondere Eigenschaft für einen Wissensverwalter, -verknüpfer und -nutzer wie Musil besteht in den Möglichkeiten der produktiv nutzbaren Schnittstellen. Die alten Ordnungssysteme der alten Wissenschaften Bibliothek und Katalog sind die Relais für die modernen.
Das andere mächtige Bezugssystem stellen die Aktenläufe und verwaltungsinternen Entscheidungsprozesse sowie Hierarchieebenen der Monarchie dar, die so wie Bücher oder Wissenssammlungen eigene Gesetzlichkeiten aufweisen, die zu verstehen und zu nutzen es zunächst spezielle Kenntnisse – scheinbar Arkanwissen – und Zugriffsberechtigungen braucht.
Es ist eine der wichtigsten kulturellen Organisationsfragen, die Reichtümer unserer großen Büchereien umfassender und durchdringender zu erschließen. Die üblichen Band- und Zettelkataloge genügen mit ihrer alphabetischen Ordnung der Verfasser zwar für den Bibliothekar, aber nicht für den Benützer, und die sogenannten Sachkataloge mit ihrer Zusammenfassung nach Materien, Stichwortkatalogen und dergleichen erlauben – abgesehen davon, daß sie gerade den größten Bibliotheken oft fehlen – die Orientierung eigentlich auch nur dem, der sie auf dem durchsuchten Gebiet halbwegs schon besitzt. Der gelehrten, im Gebiet sich gewöhnlich beschränkenden Forschung wird dieser Nachteil weniger fühlbar, als dem sogenannten freien Schriftsteller, welchen menschliche und gesellschaftliche Fragen häufig zu Querbezügen durch verschiedene Wissensgebiete zwingen. Die Unmöglichkeit, sich rasch und richtig zu orientieren, liegt auf der Hand, und Oberflächlichkeit ist ihre Folge. […] In dieser, meiner Meinung nach über die Zukunft der Demokratie mitentscheidenden Frage, bildet der Bibliotheksdienst natürlich nur einen Ausschnitt; immerhin sind entsprechende Erkenntnisse auf dem Gebiet der Volksbüchereien schon zu verwirklichen gesucht worden, und auch im Bereich des gelehrten Buchdienstes scheint sich allmählich eine andere Auffassung von den Aufgaben des Bibliothekars, als es die eines registrierenden Kammerdieners des Wissenschaft war, anzubahnen.[30]
Aus dem, was in medientheoretischer Hinsicht – wesentlich auch: wissenschaftliche – Apparate sind, werden unter Musils Zugriff, über eine Vielzahl von Schnittstellen anschlussfähig, nervöse Aggregate; ein Roman.
[1] Ein Beispiel aus dem Nachlass: Wenn Musil in seinen »Notizen zur Reinschrift« die Parallelaktion und das Staatswesen (die Maschine ist der Apparat ist die Verwaltung) engführt, was nicht nur einmal der Fall ist und sehr deutlich einem Konzept folgt – »Schlußsitzung der // L 64 ➝ L 66 [/] Die Staatsmaschine geht durch L 64 ➝ L 16.« (Mappe II/2 »NR 23-« Notizen zur Reinschrift 23-26, Blatt II/2/15 NR 33 2 Studie zum Problemaufbau 2; cf. Klagenfurter Ausgabe) –, geht es nicht allein um die mit der Parallelaktion auszubauenden Darstellungsmöglichkeiten von Dynamiken, mithin um eine nicht unwesentliche Absichtserklärung, sondern auch um die Anwendung eines alphanumerisch codierten Verweissystems. Hier sitzt ein Autor an – recht eigentlich: in – seinem eigenen Verwaltungsapparat, seinem Ordnungssystem. Dieses ist in der Setzung seiner Steuerzeichen kein anderes als das in den Wissenschaften und ihren Hilfswissenschaften, in den Ämtern und Bürokratien, den staatlichen Speichersystemen seit Jahrhunderten erprobte, das die systematische Anwendung einer Reihe von Kulturtechniken zwingend mit sich bringt. (Cf. u.a. Krajewski, Marcus: Zettelwirtschaft. Die Geburt der Kartei aus dem Geiste der Bibliothek. Berlin: Kadmos 2002; ders.: Restlosigkeit. Weltprojekte um 1900. Frankfurt/M.: Fischer 2006) Dass davon auch die Textarbeit und letztlich der Roman mit betroffen sind, ist evident.
[2] Zitate aus und Verweise auf den Mann ohne Eigenschaften beziehen sich in der Folge v.a. auf die von Walter Fanta bei Jung und Jung in laufender Herausgabe befindliche Gesamtausgabe in 12 Bände. Sieben davon sind zum Zeitpunkt der Einreichung des vorliegenden Aufsatzes erschienen, so etwa die sechs zum Mann ohne Eigenschaften sowie von Arbeiten aus dem Nachlass dazu: Musil, Robert: Gesamtausgabe Bd. 1–6: Der Mann ohne Eigenschaften. Hg. v. Walter Fanta. Salzburg, Wien: Jung und Jung 2016–2018. (Diese Ausgabe wird in der Folge mit der Sigle GA sowie der Band- und anschließend Seitenzahl ausgewiesen.)
[3] Vgl. die Kapitel 9 (»Erster von drei Versuchen, ein bedeutender Mann zu werden«, GA 1, S. 52–54), 10 (»Der zweite Versuch. Ansätze zu einer Moral des Mannes ohne Eigenschaften«, GA 1, S. 54–57) und 11 (»Der wichtigste Versuch«, GA 1, S. 57–61).
[4] Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Übers. v. Norbert Juraschitz. München: DVA 2013.
[5] Vom »WK-Zwo-Stil« und von den »Enden der Parabel« zu berichten, blieb Thomas Pynchon vorbehalten: Die Enden der Parabel. Roman. Übers. v. Elfriede Jelinek u. Thomas Piltz. Reinbek: Rowohlt 1981, S. 197.
[6] Vgl. beispielhaft Kapitel 100 (»General Stumm dringt in die Staatsbibliothek ein und sammelt Erfahrungen über Bibliothekare, Bibliotheksdiener und geistige Ordnung«, GA 2, S. 232–242).
[7] Vgl. beispielhaft Kapitel 52 (»Sektionschef Tuzzi entdeckt eine Lücke im Betrieb seines Ministeriums«, GA 1, S. 332–336).
[8] Vgl. beispielhaft Kapitel 44 (»Fortgang und Schluß der großen Sitzung. Ulrich findet an Rachel Wohlgefallen. Rachel an Soliman. Die Parallelaktion erhält eine feste Organisation«, GA 1, S. 282–290).
[9] GA 6, S. 652–674.
[10] Vismann, Cornelia: Akten. Medientechnik und Recht. Frankfurt/Main: Fischer 2000. (Die beiden folgenden Zitate finden sich auf den Seiten 23 und 25.)
[11] GA 6, S. 653f.
[12] GA 2, S. 236. (Bereits in Kapitel 80 gibt ihm der Erzähler diese Signatur mit: »Man stelle sich die himmelblaue Weltkugel vor, ein wenig ins Vergißmeinnichtblau des Stummschen Waffenrocks aufgehellt und ganz und gar bestehend aus Glück, aus Bedeutsamkeit, aus dem geheimnisvollen Gehirnphosphor innerer Erleuchtung […]«, GA 2, S. 44.)
[13] Und Latour fährt hinsichtlich der Verschränkung von Wissenssystemen und -ansprüchen fort: »A bureau is, in many ways, and more and more every year, a small laboratory in which many elements can be connected together just because their scale and nature has been averaged out: legal texts, specifications, standards, payrolls, maps, surveys […]. Economics, politics, sociology, hard sciences, do not come into contact through the grandiose entrance of ›interdisciplinarity‹ but through the back door of the file.« (Latour, Bruno: Visualization and Cognition. Drawing things together. In: Knowledge and Society. Studies in the Sociology of Culture Past and Present. Jai Press Vol 6 (1986), S. 1–40, hier S. 26.)
[14] Vismann, Cornelia: Akten. Medientechnik und Recht. Frankfurt/Main: Fischer 2000, S. 25.
[15] Fontana, Oskar Maurus: Erinnerungen an Robert Musil. In: Robert Musil. Leben, Werk, Wirkung. Hg. v. Karl Dinklage. Zürich, Wien: Amalthea 1960, S. 325–344, hier S. 338.
[16] Grillparzer, Franz: Briefe und Tagebücher. Eine Ergänzung zu seinen Werken, 2 Bde. Hg. v. Carl Glossy u. August Sauer. Bd. 2. Hildesheim: Olms 2003, S. 105.
[17] Kafka, Franz: Das Schloß. Roman. Gesammelte Werke in 12 Bänden, Bd. 4. Hg. v. Hans-Gerd Koch. Frankfurt/M.: Fischer 1994, S. 77.
[18] Sucht man solche und findet sie nicht, ist nicht auszuschließen, dass entsprechende Notizen und Vorübungen bei Musils Weg ins Exil in Wien verblieben waren und in weiterer Folge verloren gingen.
[19] »Wie immer, es spricht viel dafür, dass die Moral vom Teufel ist.« (Luhmann, Niklas: Wirtschaftsethik – als Ethik? In: Ders.: Die Moral der Gesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2008, S. 196–208, hier S. 207.)
[20] Der Kurznachrichtenverkehr im Juli 1914, die Depeschen und Telegramme die über den Ballhausplatz 2 (das Ministerium) und den Ballhausplatz 1 (das Telegraphenamt) gingen, zwischen Belgrad, Wien, Berlin und Bad Ischl schwirrten und wer hier über all dies wachte – diese Geschichte ist noch zu schreiben.
[21] GA 1, S. 515.
[22] GA 2, S. 97.
[23] GA 2, S. 241f.
[24] »Ich bin am 12. 1. 1911 als Praktikant in die Bibliothek der Technischen Hochschule in Wien eingetreten und am 16. XI. des gleichen Jahres zum Bibliothekar II. Klasse dort ernannt worden. Ich war im Jahre 1913 genötigt, aus Gesundheitsrücksichten um eine Beurlaubung anzusuchen, die mir auch bewilligt wurde, […]« (Robert Musil am 21.11.1936 an Kurt Schuschnigg, Bundeskanzler: »Eure Exzellenz! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! […]« – es geht um ein Pensions-Ansuchen.)
[25] Ende 1918 wurden die zentralen Ministerien in liquidierende umgewandelt, die besonders die Personalagenden, Evidenzhaltung, Amtsinventar etc. zu betreuen hatten. Musil war zunächst als liquidierender (d.h. auflösender) Beamter des Kriegsarchives im Kriegsministerium tätig.
[26] Anzumerken ist, dass Musils eigener Militär-Stammakt, der im Österreichischen Kriegsarchiv aufbewahrt wird, insbesondere für die Jahre ab 1916 bemerkenswert ›ausgedünnt‹ erscheint, als sei er mit Musils Austritt aus der kämpfenden Truppe nicht mehr gepflegt – dafür womöglich frisiert – worden.
[27] Vgl. Fontana, Oskar Maurus: Erinnerungen an Robert Musil. In: Robert Musil. Leben, Werk, Wirkung. Hg. v. Karl Dinklage. Zürich, Wien: Amalthea 1960, S. 325–344, hier S. 334f.: »Er gewährte mir des öfteren Einblick in seine Aktenvermerke, um mir zu zeigen, wie er auch in diesem Wettlauf von amtlicher Bürokratie und politischer Parteienpropaganda dem Geist zu seinem Recht zu verhelfen suche. Im Kreise der Sektions- und Abteilungsleiter, sowie höheren Offiziere hielt er auch einen Vortrag über Psychotechnik und ihre neuen psychologischen Methoden zur Testung von Eigenschaften, Auffassungsgabe und Reaktionsfähigkeit von Individuen […]. Viel gewann Musil für den ›Mann ohne Eigenschaften‹ aus dieser ministeriellen Tätigkeit, sei es für das bürokratische Gefüge der Parallelaktion, sei es für Figuren, für Situationen oder für innere Zusammenhänge.«
[28] Otten, Karl: Eindrücke von Robert Musil. In: Robert Musil. Leben, Werk, Wirkung. Hg. v. Karl Dinklage. Zürich, Wien: Amalthea 1960, S. 357–363, hier S. 361.
[29] Cf. Musil, Robert: Was arbeiten Sie? Gespräch mit Robert Musil. In: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. II. Hg. v. Adolf Frisé. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1978, S. 939–942, hier S. 941.
[30] Musil, Robert: »Komödie«. Theaterausstellung der Wiener Nationalbibliothek. In: Ders.: Gesammelte Werke, Bd. II. Hg. v. Adolf Frisé. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt 1978, S. 1588f., hier S. 1588.