Jedes gedruckte, gebundene Buch verabschiedet rüde die Idee vom unabgeschlossenen Text: Während die Rolle, vor wenigen Jahren noch das Endlospapier älterer Nadeldrucker und heute die Maschine mit Scroll-Funktion, noch den Gedanken an den ewig fortlaufenden Text zu zitieren oder zumindest ein wenig zu unterstützen vermag, macht ein Buch klar: Hier ist der Anfang, hier ist das Ende, dazwischen ist die von wem auch immer gesetzte Totalität. (Gegen die Derrida in seiner »Grammatologie« vom Leder zu ziehen suchte, indem er dekretierte: »Die Idee des Buches, die immer auf eine natürliche Totalität verweist, ist dem Sinn der Schrift zutiefst fremd.« [*] ) Die Buchform sichert unhintergehbar eine Form der Überschaubarkeit, die daraus sich ergebende Möglichkeit einer Ordnung ist die Grundlage der Bibliothek und ähnlicher Wissensspeicher. Diese Bedingtheit des Buches durch seine Materialiät erfasst konsequenterweise auch den Text.
Ausgehend von Walter Benjamins Gedanken: »Geschichte schreiben heißt, Jahreszahlen ihre Physiognomie geben.« [**] ließe sich für die wesentlichste Serienschaltung der gerade noch laufenden Kulturgeschichte formulieren: Buch lesen heißt, Seitenzahlen ihre Physiognomie geben. Dies passiert durch Umblättern, durch aktive Volumen-Rezeption von Hand.
So lässt sich resümieren: Das Buch steht zwingend für mehrere Grenzziehungen, an denen sich abzuarbeiten Ausweis einer Kulturleistung ist. Zugleich steht das Buch bereits im Singular mittels serieller Gesetzlichkeiten für seinen Plural. Das Serielle wiederum bedarf seinerseits der Ordnung. Das Buch stellt diese sicher und seine Handhabung beruht zwingend darauf. Das gedruckte Buch sagt ›Das ist alles.‹ Aber es erlaubt, dass man einschreiben, Annotationen setzen, unterstreichen kann; dass Palimpseste entstehen.
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[*] Jacques Derrida: Grammatologie, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1992, S. 35.
[**] Walter Benjamin: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften Bd. V.1. Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt/Main: Suhrkamp 1991, S. 595.