In der Royal Navy ging Captain (später Admiral) Percy Scott daran, das Artilleriesubjekt annähernd auf den technischen Stand seiner Maschinenumwelt zu bringen. Das hieß zunächst, die Qualität der Mensch-Maschine-Schnittstelle zu optimieren. Diese – und damit die Dynamik der Zielverfolgung – hing ab von der Qualität der Zielerfassung, der menschlichen Reaktionszeit und der Sensitivität der Regler, kurz: von der Abstimmung zwischen Mensch und Maschine. Schon Philipp Broke ließ seine Geschützmannschaften keine Breitseiten mehr feuern, sondern ließ jeden Geschützführer individuell dann feuern, wenn er das Ziel im Visier hatte. Dieses sogenannte »gezielte Feuer« (»pointer fire«) verbesserte Percy Scott 1898, indem er die Sensitivität des Handrades des Kanoniers erhöhte, was es diesem ermöglichte, das Geschütz schneller zu bewegen, und dem Visier ein Zielfernrohr hinzufügte. Durch ein Trainingsprogramm an von ihm entwickelten Simulatoren übte Scott die Geschützführer darin, ein relativ zum rollenden Schiff sich auf und ab bewegendes Ziel kontinuierlich im Visier zu halten. Vor Scott warteten die Kanoniere einfach, bis das Ziel ins Visier einwanderte, nach Scott konnte kontinuierlich gezielt und gefeuert werden (»continuous aim firing«). Kontinuierliches Zielen konstruierte eine Mensch-Maschine-Einheit, die die wesentlichen Merkmale von Regelsystemen aufwies. Scotts Erfindung verwandelte den Kanonier in einen Regler: er integrierte ein Wahrnehmungsinstrument (das Zielfernrohr) und ein Artikulationsmittel (das Handrad).
Bernhard Siegert: Final Frontiers. Eine Medienarchäologie des Meeres. Paderborn: Brill Fink 2024, 328f.
[…] Hundert Jahre nach Trafalgar war das Kriegsschiff infolge der Sprenggranate, der Panzerung, der gezogenen Geschützläufe und der Geschütztürme, der Dampfmaschine und der Schiffsschraube eine Maschine geworden, deren Anwendung die menschliche Wahrnehmungs- und Datenverarbeitungskapazität bei weitem überstieg. Bei Reichweiten von über 16 Kilometern, auf Schlachtschiffen, die mit über 20 Knoten Geschwindigkeit durchs Wasser pflügten und dabei auf einer bewegten See stampften und rollten, stellten sich herkömmliche Kulturtechniken wie »Zielen« als komplexe Operationsketten heraus, die nach dem Vorbild der experimentellen Psychologie des 19. Jahrhunderts in ihre elementaren Bestandteile zerlegt werden mussten, um diese anschließend durch Medientechnologien zu optimieren bzw. zu ersetzen. Das selbstreflexive Subjekt, gleichermaßen Voraussetzung für romantische Literatur und Trafalgar, wird ab 1900 gnadenlos zerlegt in einzelne Subroutinen, die einzig und allein noch durch technische Medien synthetisiert werden können. Das hatte Konsequenzen für die klassische Hierarchie und Topografie der Befehlsgewalten an Bord. Eine erste wissenschaftliche Analyse der Operationskette »Wahrnehmen-Zielen-Richten-Feuern« hatte bereits das von Percy Scott für den Fernkampf eingeführte »director fire« durchgeführt. Die zentrale Feuerleitung spaltete die Subroutine Wahrnehmung von den Subroutinen des Richtens und Feuerns ab. Der Feuerleitoffizier (»director«) saß nun hoch über dem Deck in einem abgeschlossenen Raum, von wo aus er das Ziel mittels Zielfernrohren sichtete, die die Peilung des Ziels auf den Bruchteil eines Grades genau maßen, mittels optischen Entfernungsmessern die Entfernung zum Ziel bestimmte, die Richtdaten für jedes Geschütz berechnete und die Befehle an die Artilleristen übermittelte, um nach Möglichkeit die gesamte Breitseite des Schiffes auf einen Punkt zu konzentrieren. Der »director« konnte dann alle Geschütze durch einen elektrischen Auslöser gleichzeitig abfeuern; das bezeichnete man als »single key« oder »master key«-Schießen. Die Operationen Wahrnehmen, Zielen und Auslösen nahmen Abschied von den Seeleuten, die die Geschütze ausrichteten. Mit der Einführung der zentralen Feuerleitung wurde Feuerleitung ein System – Instrumente der Wahrnehmung und der Artikulation verteilten sich über das Schiff und wurden durch elektrische Leitungen zusammengeschaltet.
Wir erachten nun die Einführung einer derartigen Feuerleitung wie von Siegert skizziert als in engem Zusammenhang stehend mit Schlieffens Vorstellung von der Einrichtung und Funktionalität des Bureaus eines »modernen Alexander« (von Kittler Friedrich & Wolf, Vismann et al. intensiver besprochen). Überblick und die Gewährleistung von Subroutinen, Kommunikationstechniken/-medien, Abstand zu unmittelbaren Ereignissen und die Nutzung optimierter Schnittstellen werden für die Verwaltungstechnologien des Krieges wesentlich, Feldherrenhügel eingeebnet. Der Rest ist Panama.