Die vom k.u.k. Kriegspressequartier und seinen Teilorganisationen wie Subsystemen (kurz: KPQ) orchestrierten Ensembles aus Technik, Praxis und Diskurs stellen sich heute als Verlassenschaften einer Zeit dar, in der zum ersten Mal demonstriert wurde, wie weitreichend und effizient Medien sich verschränken lassen. Unter der Fahne des Krieges und seiner Erfordernisse ging es nicht darum, auszureizen, was erlaubt war. Stattdessen war alles möglich, solange die Ergebnisse nur passten. Das KPQ war eine hochorganisierte Medienkrake, die bündelte, ordnete, kanalisierte und zensurierte; mit ihrer Monopolstellung prägte sie schließlich das Bild des Ersten Weltkriegs wesentlich bis in unsere Tage hinauf. Wenn Karl Kraus im Mai 1918 Das technoromantische Abenteuer [1] als Folge von Verblendungen und Fehleinschätzungen beschrieb, an dem die Menschheit zugrunde gehen würde, war dies wesentlich auch den Bemühungen des KPQ geschuldet; es hatte sich dieses mit zugeschrieben.
»Der Mensch hat sich 1914 als eine überraschend viel bildsamere Masse erwiesen, als man gemeinhin annahm.« [2] – Was Robert Musil 1922 im Essay Das Hilflose Europa oder Reise vom Hundertsten ins Tausendste konstatiert, lässt sich auch als Summe seiner Erfahrungen im Feld wie in der verwalteten Redaktionen lesen. [3] 1921 hält er in Die Nation als Ideal und als Wirklichkeit (die beiden Essays sind eng miteinander verknüpft) fest: »Ich glaube, daß das seit 1914 Erlebte die meisten gelehrt haben wird, daß der Mensch ethisch nahezu etwas Gestaltloses, unerwartet Plastisches, zu allem Fähiges ist«. [4] Die »Äußerungen eines Volkes« repräsentierten nicht nur es selbst, sondern seien
mitbestimmt von seinen Apparaten der Bureaukratie, der Gesetze, der Zeitungen, der wirtschaftlichen und ungezählter anderer Einrichtungen bis in die scheinbar individuellsten und doch teilweise abhängigen Leistungen der Literatur hinein. Ein Volk ist die Summe der Einzelnen plus ihrer Organisation, und da diese Organisation in vieler Hinsicht ein selbständiges Leben führt [5]
so ergeben sich sowohl Entlastungs- als auch Gestaltungsfunktionen; je nachdem, welche Organisation hier ihre Eigenheit entwickelt, genauer gesagt: welcher »Apparat« das zuvor noch Gestaltlose, Plastische seiner spezifischen Dynamik unterwirft. Aus Der Mann ohne Eigenschaften rührt der Satz:
So oft man in der Fremde an dieses Land dachte, schwebte vor den Augen die Erinnerung an die weißen, breiten, wohlhabenden Straßen aus der Zeit der Fußmärsche und Extraposten, die es nach allen Richtungen wie Flüsse der Ordnung, wie Bänder aus hellem Soldatenzwillich durchzogen und die Länder mit dem papierweißen Arm der Verwaltung umschlangen. [6]
Vorzuschlagen wäre, diese Sentenz des »Kakanien«-Kapitels zumindest auch dahingehend zu lesen, dass Musil über jahrelange einschlägige Erfahrungen mit militärischen Einsätzen, Bürokratien und Schreibstuben verfügte, als er dies schrieb; er wusste zum Zeitpunkt der Abfassung seines großen Romans ganz genau, wie eng sich die Verbindung von Verwaltung und Militärverband darstellen konnte, wenn es um die Verfertigung eines Gemeinsamen ging, wenn es sich sozusagen um die Parallelaktion zweier Systemstrukturen zum Zwecke der Beförderung eines großen Ereignisses handelte. Der umschlingende »papierweiße Arm« meint dann nicht nur die Administration, sondern auch das Zeitungspapier, auf dem das KPQ und seine Organisationsgrade wie Subsysteme sich zu drucken wussten.
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[1] Karl Kraus: Das technoromantische Abenteuer. In: Die Fackel H. 474-483 v. Mai 1918, p.41-45
[2] Robert Musil: Das hilflose Europa oder Reise vom Hundertsten ins Tausendste. In: Ders.: Gesammelte Werke Bd. 8: Essays und Reden. Hg. v. Adolf Frisé. Reinbek: Rowohlt 1978, S.1075–1094, hier S. 1080.
[3] Musil war nach seinem Fronteinsatz ab 1916 Schriftleiter der in Tirol erscheinenden »Soldaten-Zeitung«; am 18. März 1918 wurde er in den Stand des KPQ aufgenommen (KPQ-Akten im Österr. Staatsarchiv/Kriegsarchiv; Kommandobefehl Nr. 77 vom 18.03.1918) und als Redakteur der »Heimat« eingesetzt. Dieses Produkt sollte versuchen, das »allgemeine Vertrauen in die Kraft der Monarchie zu festigen«, die Auflage belief sich auf 31.000 Stück, es gab auch eine ungarische (»Üzenet«) und eine tschechische Ausgabe (»Domov«).
[4] Robert Musil: Die Nation als Ideal und als Wirklichkeit. In: Ders.: Gesammelte Werke Bd. 8: Essays und Reden. Hg. v. Adolf Frisé. Reinbek: Rowohlt 1978, S.1059–1075, hier S. 1072.
[5] Ebda., S. 1063.
[6] Robert Musil: Gesammelte Werke Bd. 1.: Der Mann ohne Eigenschaften. Roman. Hg. v. Adolf Frisé. Reinbek: Rowohlt 1978, p.32