Wundersäule Television (~1200)

Im frühen 13. Jhdt. verfasst Wolfram von Eschenbach seinen »Parzîval« und bringt wie en passant in Buch XII (s.u.: 592,1―20; zuvor bereits 589,27―590,16) eine leuchtende Wundersäule (die als solche in die Gruppe der wundersamen Steine ressortiert, deren es damals nicht wenige gibt und die durchaus erzählerisches Potenzial darstellen, da man diesen alles Mögliche zuschreiben konnte) unter, die für den Umkreis von sechs Meilen Liveübertragungen bietet, die sich, gespiegelt im Schutz der Festung Schastel marveile, gefahrlos betrachten lassen. The Future Was Already Televised:

Es gibt damals nur einen Kanal und das Gerät zeigt von sich aus an, was zu sehen sei (AI); Livetelevision, in bester Qualität; keine Werbeunterbrechung. Binge Watching (»dâ vander solch wunder grôz, / des in ze sehen niht verdrôz«); & natürlich Beutegut – wer würde je so einen Fernseher freiwillig abgeben?

Dô sprach si »hêrre, dirre stein
bî tage und alle nähte schein,
sît er mir êrste wart erkant,
alumbe sehs mîl in daz lant.
swaz in dem zil geschiht,
in dirre siule man daz siht,
in wazzer und ûf velde:
des ist er wâriu melde.
ez sî vogel oder tier,
der gast unt der forehtier,
die vremden unt die kunden,
die hât man drinne funden.
über sehs mîle gêt sîn glanz:
er ist sô veste und ouch sô ganz
daz in mit starken sinnen
kunde nie gewinnen
weder hamer noch der smit.
er wart verstolen ze Thabronit
der künegîn Secundillen,
ich wæn des, ân ir willen.«

Medium; not well done. (Anzeige in Television, 1934)

In der – nun ja: – gereimten Übersetzung von Karl Simrock (online einsehbar bei Zeno) soll es sich auf Neuhochdeutsch wie folgt ausnehmen:

Da sprach sie: »Herr, dieser Stein
Warf bei Tag und Nacht den Schein.
Seit er zuerst mir ward bekannt,
Sechs Meilen weit umher im Land,
So daß man drin gespiegelt sah
Was binnen diesem Raum geschah
Auf dem Waßer, auf dem Felde:
Von allem giebt er Melde.
Den Vogel wie das Säugethier,
Den Gast und den vom Waldrevier,
In seinem Spiegel schauet man
Den heimschen wie den fremden Mann.
Sein Schimmer reicht sechs Meilen weit;
Er hat auch solche Festigkeit,
Von seiner Stelle rückte,
Wie er Hau und Hammer zückte,
Ihn nicht der allerstärkste Schmied.
Er ward geraubt zu Thabronit
Der Königin Sekundille,
Denn gewiss wars nicht ihr Wille.«

Zu empfehlen ist Peter Knechts Übersetzung:

Da sprach sie: »Mein Herr, dieser Stein gibt einen Schein bei Tag und in den Nächten – das tut er schon, seit ich ihn zum erstmal sah –, der reicht sechs Meilen in der Runde ins Land hinaus. Alles, was in diesem Kreis geschieht, sieht man in der Säule erscheinen, ganz gleich ob im Wasser oder auf dem Feld: der Stein gibt davon wahre Kunde. Es sei Vogel oder Tier, ob einer von weither kommt oder Förster ist im Wald, die Fremden wie die Bekannten, alle sind sie da drinnen zu sehen. Über sechs Meilen geht sein Licht. Er ist so fest und solid, daß bei ihm mit dem stärksten Willen der Hammer nichts ausrichtet und der Schmied auch nicht. Er wurde der Königin Secundille in Thabronit gestohlen; ich denke doch, sie war nicht einverstanden.«

Wolfram von Eschenbach: Parzival. Mhd. Text nach der 6. Ausg. v. Karl Lachmann. Übers. v. Peter Knecht. Einf. zum Text v. Bernd Schirok. Berlin, New York: de Gruyter 1998, S. 596.

– Querverweis 1: Fernschule (1902)

– Querverweis 2: eine ausführlicher Darstellung zur Schuld und Absolution für »Parzîval« findet sich im Audio-Archive der Mobilen Akademie Berlin (die Aufzeichnung aus 2008) –