Zwischen der Amtsinstruction der Regierung Bach (1855; dazu gehört auch Stubenrauchs zweibändig umfängliches Handbuch der österreichischen Verwaltungs-Gesetzkunde) und der Kanzleiordnung der Regierung Seipel (1923) liegen die Reformen Erich Kielmanseggs (1906/07, für Niederösterreich und die Kronländer) und ein Weltkrieg (1914–1918). Mehr passiert in diesen siebzig Jahren kaum und auch die fünfzig Jahre zwischen der von Mannlicher (Abteilung für Verfassungsreform und Verwaltungsinnovation) verfassten KO und der 1974 erlassenen – auch hier wurde ein Weltkrieg in die Zeitläufte platziert – erscheinen angemessen solide. Danach wird es kurzatmiger.
Kielmansegg also (zumindest den und die Amtsinstruction von 1855 braucht es, um Kafka – nicht nur Poseidon; alles – und Musil – nicht nur im Nachlass; alles ab ca. 1910 – lesen zu können). Dieser einstige Ministerpräsident und nachmalige Landeshauptmann von Niederösterreich (seine Reform do. wird bis 1979 in Kraft bleiben) machte sich Anfang des 20. Jahrhunderts ans Werk. Dieses zu vermitteln, hielt er sechs Vorträge. Zitiert wird aus der Einleitung des ersten:
Unser Beruf als Beamte bringt es ja bekanntlich mit sich, daß wir konservativ sind oder es werden. Das Beharrungsvermögen ist eine ganz natürliche Erscheinung und keine Krankheit, die etwa durch einen Bazillus hervorgerufen wird. Eine pathologische Veränderung zeigt nur jener alte Bureaumann, welcher an der horror novi genannten Krankheit leidet, die neueren Forschungen zufolge, durch Bazillen hervorgerufen wird, die sich im Aktenstaube zu entwickeln pflegen. Andere Forscher behaupten, der fragliche Bazillus entwickle sich am rapidesten in der Tinte. Ich bin nicht Bakteriologe genug, um diesen Streit der Gelehrten entscheiden zu können, aber berufsmäßig verpflichtet, die Hygiene zu pflegen und prophylaktische Maßregeln gegen die Verbreitung von jeder Art Krankheit und von Krankheitserregern ergreifen zu lassen und erbitte mir dazu Ihre gütige Unterstützung. Lassen Sie uns also gemeinsam den Aktenstaub und die Tinte so viel als möglich bekämpfen oder unschädlich machen!
Kielmansegg, Erich Graf (1906): Geschäftsvereinfachung und Kanzleireform bei öffentlichen Ämtern und Behörden. Ein Informationskurs in sechs Vorträgen. Wien: Manzsche k.u.k. Hof-Verlags- und Universitäts-Buchhandlung, S. 5–7.
Die Vielschreiberei und die zu vielen Akten sind der Fluch des modernen Beamten; sie lähmen seine Tatkraft und setzen ihn in seinem Ansehen bei der Bevölkerung herab.
Es ist daher hoch an der Zeit, diese Vielschreiberei nach Möglichkeit einzudämmen: im Interesse der Beamten, der Staatsfinanzen und des Publikums, denn wir leben von den Steuergeldern und sind der Bevölkerung wegen da. Den Wünschen und Bedürfnissen der Bevölkerung haben wir entgegenzukommen, deren Allgemeines Verlangen aber ist seit Jahren: größere Koulanz der Behörden und eine Schnelligkeit ihres Verfahrens, wie sie sonst im wirtschaftlichen Verkehr überall üblich ist. Dahin abzielende Forderungen werden in den parlamentarischen Körperschaften immer wieder und wieder erhoben, ebenso auch in den Zeitungen, die fortwährend über den Amtsschimmel spotten. Haben die Zeitungen ein Recht dazu, existiert dieser so oft zitierte Amtsschimmel in Wirklichkeit? Ich sage ja, er wird trotz alles Gespöttes fleißiger geritten denn je. Das Simile, der »Schimmel«, wird fort und fort abgeschrieben, unbekümmert um die Änderung der Zeiten; es wird geschrieben und »manipuliert« wie ehedem, ohne auch nur darüber nachzudenken, ob und wie eine Vereinfachung des administrativen Verfahrens möglich sei. Und doch sind Anregungen hiezu noch fast von jedem Regierungschef ergangen. Erst jüngst wieder hat der Herr Ministerpräsident Freiherr v. Beck in dem an alle Herren Ressortminister gerichteten Erlasse vom 25. Juli, Z. 2281/M.P., eine Reihe von Grundsätzen bezüglich der Haltung und Amtsführung der Beamten sowie hinsichtlich der Geschäftsgebarung, speziell der Verwaltungsbehörden, entwickelt, auf welche er unter anderem auch im Sinne der »Anpassung des amtlichen Organismus an die Bedürfnisse des Lebens« besonderes Gewicht legt.
Der Herr Ministerpräsident spricht von den Verwaltungsbehörden; die Gerichtsbehörden haben ja anläßlich der neuen Zivilprozeßordnung und der Einführung des mündlichen Verfahrens ihre gesamte Amtsgebarung bereits gründlich reformiert und modernisiert.
Sie erfreuen sich schon längst einfacher Verhandlungsformen, wie so ziemlich alle Verwaltungsbehörden des Auslandes, besonders Deutschlands. Wurde die Anwendung des mündlichen Verfahrens auch unseren Verwaltungsbehörden von Kaiser Josefs II. Zeiten her immer wieder und wieder anempfohlen und zur Pflicht gemacht […], so ging es doch mit diesem mündlichen Verfahren bei uns niemals so recht von statten. Ohne eine völlige Reform der politischen Verwaltung, zu der der Gesetzgebungsweg beschritten werden muß, wird auch ein eigentliches, mündliches Verfahren bei unseren Verwaltungsämtern niemals Platz greifen. Dafür hat schon der Verwaltungsgerichtshof gesorgt, der bekanntlich eine jede Entscheidung wegen mangelhaften Verfahrens aufhebt, wenn das letztere nicht in allem und jedem schriftlich durchgeführt wurde. Zudem kommt, daß unsere Bevölkerung förmlich die Sucht zu rekurrieren hat, daß die Advokaten ihr immer mehr und mehr auch auf den verschiedenen Gebieten der öffentlichen Verwaltung Beistand leistet, so daß es völlig ausgeschlossen ist, etwa in erster Instanz eine mündliche Entscheidung geben zu wollen. Auch ein jeder behördliche Auftrag an eine Gemeinde wird immer schriftlich ausgefertigt und gehörig begründet werden müssen. In Preußen z. B. Ist die mündliche Form hiefür die fast ausnahmslose Regel. Der Landrat, dessen Hauptverpflichtung es ist, sich eigene Equipage zu halten, fährt so und so oft im Jahre die einzelnen Gemeinden seines Kreises ab, wohnt den Ausschusssitzungen bei, führt das große Wort in diesen und entscheidet schließlich mündlich, was zu geschehen hat. Bei uns ist der politische Amtschef fast ausschließlich an den Tisch gebannt, seine große Aktenfabrik erfordert es.
[Meine Vorträge] sollen sich […] auf die Frage [beschränken], ob und wie ganz ohne eigentliche Reform der politischen Verwaltung unsere Administrativbehörden im allgemeinen ihre Normen für den Korrespondenzdienst und das Kanzleiwesen ändern könnten, um eine wesentliche Vereinfachung und die allgemein gewünschte Beschleunigung des Verfahrens herbeizuführen.
Der Plan meiner Vorträge ist folgender:
Geschäftsvereinfachung und Kanzleireform.
15. Oktober 1906: [/] Bestehende Vorschriften für den Korrespondenzdienst in den Verwaltungsbehörden und bisherige Maßregeln zur Abänderung derselben in den einzelnen Ressorts.
17. Oktober 1906: [/] Kritische Schilderung des Dienstganges nach den bisher bestehenden Normen und der verschiedenen Übung (usus fori).
19. Oktober 1906: [/] Historische Entwickelung des österreichischen Bureau- und Kanzleidienstes im allgemeinen.
22. Oktober 1906: [/] Historische Daten über die Formen des Kanzleidienstes im einzelnen.
24. Oktober 1906: [/] Prinzipien einer Kanzleireform nach modernem Muster nebst praktischen Demonstrationen.
26. Oktober 1906: [/] Vereinfachung und Beschleunigung des Konzepts- und Korrespondenzdienstes. Resumé und Diskussion.