Im Zusammenhang mit einem Georg Bollenbeck Stipendium und dem einen oder anderen Aufenthalt an der Universität Siegen, nebst der Arbeit vor Ort, kam es im Sommersemester 2019 zu einem Gespräch mit Corina Rütten (Öffentlichkeitsarbeit der Philosophischen Fakultät), das im August 2020 online gestellt wurde. Was mache ich eigentlich?; darum ging es. (Die Parenthesen sind der notwendigen Bündelung allzu ausufernder Sentenzen geschuldet.)
Corina Rütten: Sie sind Fachexperte für Mediengeschichte und Kulturtechnik der Verwaltung, einschließlich digitaler Transformation (u.a. Projekt: »Schnittstellen der Verwaltung«), im Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport, in der Sektion III: Öffentlicher Dienst und Verwaltungsinnovation. Was bedeutet es für Sie Geisteswissenschaftler zu sein? Besonders in diesem Zusammenhang?
Peter Plener: Über die Definitionen dessen, was Geisteswissenschaften waren, sind und sein sollten, wurden ein paar Bibliotheksregale vollgeschrieben (nicht unbedingt zu deren Nachteil); aber im Grunde geht es für mich darum, feststellen zu können, wie ein Text funktioniert, mit welchen Medien und deren Verbünden wir es zu tun haben, was ein Buch und ein Bleistift sind, welche medialen Erscheinungsformen welche Effekte zeitigen – und welche weshalb und wie nicht funktionieren. Die selbstverständliche Lust an Büchern, Textarbeit und Zeichenkunde vernachlässige ich hier einmal gänzlich.
Welche Herausforderungen stellt die Arbeit in einem Bundesministerium dar und nimmt das politische Geschehen direkten Einfluss auf Ihre Arbeit?
Keine Verwaltung ist gänzlich unabhängig vom jeweiligen politischen Regime. Ein weitgehend gemeinsames Interesse nahezu aller Parteien lässt sich jedoch schon dahingehend feststellen, dass die Verwaltung im besten Sinne ein öffentlicher Dienst zu sein hat, der professionell aufgesetzt ist und auch laufend so funktioniert. Gleichzeitig ist gerade die Verwaltung jener Bereich der staatlichen Sektoren, in dem mit den Haushaltsmitteln sehr genügsam und sorgfältig umzugehen ist. Das zieht mitunter einen höheren Aufwand bei Anträgen und Berichten nach sich, auch funktioniert ein Ministerium weitgehend anders als z.B. eine Universität (was abgesehen von der Wesenhaftigkeit solcher Institutionen, ihren Ausrichtungen, den unterschiedlichen Laufzeiten von Verträgen und den jeweils gegebenen Grundausbildungen abgesehen u.a. auch durch einen ganz anderen Umgang mit Gremien, Akten, Aktenläufen und Zuständigkeiten zu tun hat). Einen direkten Einfluss der Politik auf meine Arbeit konnte ich bislang jedoch nicht feststellen.
Haben Sie einen anderen Blick auf Verwaltungsprozesse und -vorgänge als beispielsweise Jurist*innen oder Verwaltungswissenschaftler*innen? Und wenn ja, welchen?
JuristInnen und VerwaltungswissenschafterInnen müssen einen anderen Zugang haben; das ist deren Job. Umgekehrt würde ich nicht so tun, als könnte ich in deren Gebieten mich lizenzfrei bewegen. Der Vorteil, den Geistes- und MedienwissenschaftlerInnen gegenüber den genannten Ausbildungszweigen haben können, gerade auch beim Blick auf Verwaltung und Bürokratie, ist bei allem Respekt – auch, weil wir noch nicht so lange auf der Party sind – ein mehrfacher: Zum einen können wir über die in Verwendung stehenden Medien, deren Geschichte und Effekte sprechen. Zum anderen lassen sich mit unserem methodischen Bauchladen auch die anscheinend zunehmend notwendig scheinenden, gegenstandsbezogenen Fragen im Zusammenhang etwa mit dem Cultural und dem Iconic Turn doch leichter – jedenfalls neu – beantworten. Das bedeutet auch andere Sichtweisen und Umgangsformen für den Digital Turn. Zum dritten weiß man in unseren Professionen, wie man mit Geschichtskonstruktionen umgehen kann; da ist der kundige Zugriff auf unsere Methodenrepertoires schon ganz nützlich. Schließlich könnte man auch noch annehmen, dass Beobachtung und Analyse in diversen Teilbereichen sicher etwas leichter fallen, wenn man die Systeme nicht selbst hochgefahren und in allen Bereichen ausgestaltet hat. Ein einfaches Beispiel: das Formular. Auf die Frage, was dieses sei, werden JuristInnen eine ganz andere Auskunft geben (müssen) als VerwaltungswissenschafterInnen. Geistes- und MedienwissenschafterInnen werden danach fragen, was es sei, ob es eine spezifische Grammatologie dieser seriellen Standardisierungen gibt, welche Spuren es diachron durch die Geschichte zog und wie es mit seinen Revenants, den Social Media – deren Oberflächen nichts anderes sind –, aussieht. Hier ist es präsenter denn je, aber es nennt sich anders, sieht anders aus; und deshalb füllen Milliarden Menschen begeistert diese Text- und Bildfelder aus. Dafür gibt es Gründe – auch danach fragen wir.
Welche Erwartungshaltung verbinden Sie mit dem Begriff »Verwaltungsinnovation«? Schließen sich Verwaltung und Innovation nicht aus? Sehen Sie Innovationspotenzial eher in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit?
Ohne Verwaltungen würden Innovationen schlechterdings kaum möglich sein; jedenfalls nicht in diesem Ausmaß. Als Distributionsfaktor bzw. Transmissionsriemen sind Verwaltungseinrichtungen nahezu unübertroffen. Das betrifft nicht nur die Förderung und Betreuung von wissenschaftlichen Projekten, sondern auch die Annahme und Durchsetzung innovativer Technologien im Dienst der Allgemeinheit. Ob sich das im Digitalisisierungsindex niederschlägt, im Sozialsystem, in komplexen Bildungsangeboten und öffentlichen Bibliotheken, in der Ermöglichung von Partizipation und Wahrung von Rechtssicherheit, in der Forschung zu Organisationsmodellen von Arbeitsgruppen oder ganzen gesellschaftlichen Systemen. Komplexe staatliche Verwaltungssysteme haben jedenfalls im Gegensatz zu zahlreichen Formen von Privatwirtschaften (die ihrerseits ohne Verwaltungen nicht bestehen könnten) eine jahrhundertelange Erfolgsgeschichte, einschließlich aller stattgehabten Anpassungsnotwendigkeiten, Staatskrisen, Bankrotte von Gesellschafts- und Politiksystemen. Da geht’s nicht nur um Zähigkeit und versteckte Hierarchien, sondern oft ganz banal um strukturelle Notwendigkeiten und leistungsfähige Organisations- wie Medientechniken, bis hin zu Kleinen Formen der täglichen Anwendung. Nun haben wir fortgesetzt sich ändernde Gesellschaften und Staatsbegriffen, sind alle mit massiven technologischen Änderungen unserer Lebenswelten befasst – und Verwaltungssysteme sind weiterhin gefordert, dass sie darauf nicht nur reagieren, sondern hier über partizipative Modelle und die Ermöglichung von Schnittstellen, wechselseitiger Kommunikation und insgesamt Anschlussfähigkeiten die ausreichenden Unterstützungen bieten. (Zumindest jene, die bleiben wollen und werden; es geht also auch um kontinuierliche Verbesserungen.) Wir auf den unterschiedlichsten Ebenen von Verwaltung könnten dabei gewiss enorm kreativ sein und ganz herrliche bis wundersame Ideen haben: wenn wir es nicht schaffen, das auch zu legitimieren und praktisch auf den Boden zu bekommen – so, dass es sich bewährt und rechnet –, haben wir mit Recht sehr bald ein gewaltiges Rechtfertigungsproblem.
Können Sie Ihr aktuelles Projekt als Georg Bollenbeck Stipendiat kurz erläutern? Steht das Projekt im Zusammenhang mit Ihrer Tätigkeit beim Bundesministerium? Ist es von dieser inspiriert? Und wenn ja: Werden Sie Ihre Forschungsergebnisse praktisch im Bundesministerium um- und einsetzen? Überwinden Sie mit Ihrer Forschung Grenzen in den Köpfen oder können Sie bestehende Strukturen verändern? Was reizt Sie an Ihrem Forschungsthema?
Mit »wissenschaftlicher Fachexperte in der Sektion öffentlicher Dienst und Verwaltungsinnovation, zuständig für Kulturwissenschaften/-techniken, Mediengeschichte & -theorie hinsichtlich der Themenfelder Verwaltung/Staat/Bürokratie/Öffentlichkeit« ist mein Interesse an der aktuellen Kooperation, den ausgezeichneten Möglichkeiten dieses Stipendiums, eigentlich schon ebenso langatmig wie zulässig formuliert umrissen – und doch hole ich hier etwas weiter aus: es geht bei uns im Haus nicht darum, bisherige Betrachtungsweisen abzulösen, sondern diese zu ergänzen; wenn man so will, handelt es sich um einen fachlichen Wettstreit der Fakultäten, um bestmögliche Ergebnisse zu liefern. In diesen auf mich gekommenen Zusammenhängen – so lange gibt es das noch nicht – bestehen nun erste Kooperationen mit mehreren Universitäten im deutschsprachigen Raum. Diese enger zu knüpfen, etwa einen gemeinsamen Workshop an der Universität Siegen über »Das Formular« mit zu organisieren, oder auch an einer Monografie über »Schnittstellen der Verwaltung« und anderen Publikationen zu arbeiten, dazu Vorträge zu halten und Kooperationen zu ventilieren, die thematisch naheliegen, zu lernen, ist das Ziel des Fellowships. Daraus lässt sich also im Idealfall für beide Seiten etwas ableiten – und so ist neben dem Austausch etwa geplant, den genannten Workshop mit einem zweiten Teil zu versehen und dann in Wien abzuhalten. Das entscheidet sich alles über die Personen, die Fakultäten und Institute – über die ganz ausgezeichneten Fähigkeiten der Leute hier.
Bei uns in Wien gibt es tatsächlich Veränderungen insofern, als wir seit diesem Jahr dabei sind, in der Grundausbildung für den öffentlichen Dienst zusätzliche Elemente einzuführen, so etwa den Fachbereich »Medien und Kulturgeschichte der Verwaltung«. Das wird in den nächsten Jahren auszubauen sein. So viele Grenzen in den Köpfen waren und sind nicht zu überwinden, sonst würde es meine Arbeitsplatzbeschreibung ebenso wenig wie die einschlägigen Arbeitsaufträge geben.
Zum Reiz des Ganzen: zum einen berührt das alles sehr sehr viel von dem, worüber ich schon die letzten Jahrzehnte immer wieder gearbeitet habe (und dafür gibt’s gute Gründe), zum anderen muss sich das natürlich auch bewähren – und einspielen. Das ist spannend und soll es auch bleiben.
Wo sehen Sie Schnittstellen oder Anknüpfungspunkte zu Ihrer Forschungstätigkeit an der Philosophischen Fakultät? Was erwarten Sie oder wünschen Sie sich von Ihrem Aufenthalt an der Philosophischen Fakultät der Universität Siegen? Was bietet Ihnen Siegen?
Die Universität Siegen hat allein in den Fachbereichen der Philologien und Medienwissenschaften nicht nur viele kluge Leute sitzen, sondern auch eine Vielzahl an Themenstellungen, die – wie aus dem zuvor schon Festgestellten sich andeuten könnte – zusätzliche Anstiftungen, wenn man so will: Schwungräder, einbauen lassen. Da denke ich etwa an den Schwerpunkt zu den Pop-Kulturen, wenn sehr spannend der Zusammenhang von Gesellschaften und medialen Erscheinungsformen zum Thema gemacht wird. Die Idee etwa, etwas über »Das Formular« zu machen, entstand in Gesprächen seit über einem Jahr und belegt exemplarisch ganz gut, welche Möglichkeiten es gibt, wenn reflektierte Neugier und methodische Präsenz so weitgehend und qualitativ herausragend in einer Philosophischen Fakultät gegeben sind.