Das ursprünglich theatralische Henne-Ei-Raten ist alt. Wie bei Komödie und Tragödie ist jedoch die Lösung so einfach wie langweilig. Interessanter ist, dass das eine mit dem anderen in einem Bedingungsgefüge sich befindet; beide können ohne einander nicht sein. Dieses Verhältnis war anfangs deutlicher als es nun scheint. Denn: τράγος/Ziegenbock und τρύγος/Weinlese unterscheidet nur ein Buchstabe. Den beiden jeweils eine ωδή/Ode angefügt (Bacchus und Dionysos stimmen den Chor an) – und eine Konjektur später (sehr folgenlos in den 1960er Jahre durch M. L. West) – wird klar, dass nicht bloß Tragödie und Komödie unmittelbar einander verwandt sind (wie seit Hegel-Marx sich sagen lässt, »daß alle großen weltgeschichtlichen Thatsachen und Personen sich so zu sagen zweimal ereignen[:] das eine Mal als große Tragödie, das andre Mal als lumpige Farce«), sondern überdies Aristoteles sehr wahrscheinlich gewitzter war als die gängige Überlieferung von De generatione et corruptione/περὶ γενέσεως καὶ φθορᾶς A1 315b 6f.:
Entsteht doch aus denselben Buchstaben Tragödie wie Komödie.
– so oder so ähnlich heißt es zumeist; in einem Abschnitt, der mit Leukipp/Demokrit zugange ist und den Atomismus durcharbeitet. Dass Aristoteles – sozusagen – aber möglicherweise von »Tragödie« und ›Trygödie‹ sprach, sich quasi den Jokus eines Tippfehlers avant la lettre gestattet hätte, lässt sich zumindest denken und würde jedenfalls die anzitierte typographische Weisheit um nichts ärmer, dafür die editorische Druckfehlerteufelwelt um einen Witz reicher gemacht haben. Eine Erscheinung wird zu etwas anderem, womöglich zum Gegenteil, wird auch nur ein Atom, nur ein Buchstabe geändert. Lesen ließe sich die Passage somit vielleicht:
Infolge der Wandlungen des Zusammengesetzten erscheint deshalb ein und dasselbe dem einen ganz anders als dem anderen, es gestaltet sich um, wenn ihm nur ein wenig beigemischt wird, und scheint überhaupt ein anderes zu sein, wenn nur eine [Form] ihren Platz verändert hat. Entsteht doch aus denselben Buchstaben tragōdía wie trygodía.
(Der Ursprung auch des deutschsprachigen Trauerspiels wäre dann tatsächlich auch in einem schon die Farce, die Komödie. Und Wien der Wein.)