Aus dem Hören und den richtigen Körperreflexen aufgrund einer (für den Verstand gar nicht schnell genug verarbeitbaren) akustischen Wahrnehmung, dem Schlagen der Amsel und der Präsenz der Mutter, dem Zusammenlesen von Büchern ganz für sich und dem zusammenfassenden Erzählen folgert in Musils Erzählung »Die Amsel« (1928) der Erzähler Azwei nach einer mehrteiligen Geschichte: »es hat sich eben alles so ereignet; und wenn ich den Sinn wüßte, so brauchte ich dir wohl nicht erst zu erzählen. Aber es ist, wie wenn du flüstern hörst oder bloß rauschen, ohne das unterscheiden zu können!« Ein unterschiedsloses, sozusagen weißes Rauschen, das für sich Sinn erzeugt.
Im Schloß funktioniert das Telefon offenbar ausgezeichnet; wie man mir erzählt hat, wird dort ununterbrochen telefoniert, was natürlich das Arbeiten sehr beschleunigt. Dieses ununterbrochene Telefonieren hören wir in den hiesigen Telefonen als Rauschen und Gesang, das haben Sie gewiß auch gehört. Nun ist aber dieses Rauschen und dieser Gesang das einzig Richtige und Vertrauenswerte, was uns die hiesigen Telefone übermitteln, alles andere ist trügerisch.
Franz Kafka, Das Schloss
Das kann ein Grundrauschen sein, die akustische Entsprechung der vielen Kleinen Textsorten und Zettel wie Formate, die in einem umfangreicheren Akt gesammelt sind und von verschiedensten Verfassern und Autorisierenden stammen, in ihrer Gesamtheit den Akt ausmachen. Diese ihre Gesamtheit ist »das einzig Richtige und Vertrauenswerte«, dem gegenüber »alles andere trügerisch« ist. Der Akt erscheint als Medienverbund: »Die glücklichen Maschinen sind folglich die rauschenden […] es läuft, und es läuft gut.« (Roland Barthes, Das Rauschen der Sprache) – schreibt Barthes in einem Zusammenhang von de Sades erotischen Maschinen zur Gewinnung von Lust und den japanischen Glücksspielhallen mit ihren Automaten, den Pachinkos:
Denn das Rauschen setzt […] eine Gemeinschaft der Leiber voraus: In den Geräuschen der Luft, die ›läuft‹, erhebt sich keine Stimme, übernimmt keine die Führung oder weicht ab, bildet sich keine Stimme heraus; das Rauschen ist das Geräusch der mehrfachen, aber keineswegs massenhaften Lust (die Masse hat, ganz im Gegenteil, nur eine, und zwar eine schrecklich laute Stimme). […] Kann die Sprache rauschen? […] das Rauschen der Sprache stellt eine Utopie dar. Welche Utopie? Die einer Musik des Sinns; darunter verstehe ich, daß die Sprache in ihrem utopischen Zustand erweitert, ja, ich würde sogar sagen, denaturiertwäre, bis sie ein immenses lautliches Geflecht bildet, in dem der semantische Apparat irrealisiert wäre; der lautliche, metrische, stimmliche Signifikant würde sich in seiner ganzen Pracht entfalten, […] ohne daß der Sinn brutal verabschiedet, dogmatisch verworfen, kurz, kastriert wird.
Roland Barthes, Das Rauschen der Sprache
Der Landvermesser Josef K. nimmt eine entsprechende Haltung ein:
Aus der Hörmuschel kam ein Summen, wie K. es sonst beim Telephonieren nie gehört hatte. Es war wie wenn sich aus dem Summen zahlloser kindlicher Stimmen – aber auch dieses Summen war keines, sondern war Gesang fernster, allerfernster Stimmen – wie wenn sich aus diesem Summen in einer geradezu unmöglichen Weise eine einzige hohe aber starke Stimme bilde, die an das Ohr schlug so wie wenn sie fordere tiefer einzudringen als nur in das armselige Gehör. K. horchte ohne zu telephonieren, den linken Arm hatte er auf das Telephonpult gestützt und horchte so.
Franz Kafka, Das Schloss
Der Grundton des bürokratischen Rauschens ist angestimmt, ein K. hört zu, mehr als das. Als hörte er den Sirenen zu. Und dabei wird er nur ein Gespräch mit Oswald führen, sich als Josef ausgeben, Gehilfe eines Landvermessers – und den Bescheid erhalten, dass dieser Landvermesser niemals ins Schloß würde kommen dürfen.