Rechenmaschine

Lange bevor Type-Rider F. Kittler die »Denk-, Schreib- und Redemaschinen« F. Nietzsches als »Denk-, Schreib- und Rechenmaschinen« zitierte (cf. hier), war es zur Sache gegangen. 1897 erschien in der Zeitschrift für Vermessungswesen. Organ des Deutschen Geometervereins, H. 10 (15. Mai 1897) – hg. v. W. Jordan [Professor in Hannover] u. O. Stepper [Steuer-Rath in München] – ein ausführlicher Beitrag mit zahlreichen Abbildungen über die Leibniz’sche Rechenmaschine. Den Jordan wesentlich erscheinenden Faszikel aus dem Nachlass (in der Königlichen Bibliothek Hannover) durfte der Filius abschreiben und aus dem Latein übersetzen. Die folgenden Passagen sind zum einen die sachdienlichen Hinweise Jordan des Älteren dazu, sodann die lateinische Abschrift und dazu die deutschsprachige Übersetzung durch Jordan den Jüngeren.

Kurzum: Es geht um die Arbeit der zweibeinigen Rechner, für die mit Hilfe einer Abschrift aus Leibniz’ Manuskripten 1897, am Ende des 19. Jahrhunderts, mit Blick auf das 20. und Gedanken des 17. (ca. 1680), Erleichterungen versprochen werden. Shannon und Turing lassen grüßen, die Universalmaschine rattert.


Alle diese Schriftstücke zusammen sind 284 Blätter oder nahezu 568 Seiten, meist lateinisch oder altfranzösisch von Leibniz’ Hand geschrieben, zum Theil mit vielen Correcturen, Aenderungen und Einschaltungen, und in solchen Fällen sehr schwer zu lesen. 
Auf unsere Veranlassung hat nun Herr Richard Jordan, stud. phil. einen ersten Versuch mit dem ersten der oben unter Nummer 23) [»Ausserdem noch ein Fascikel von 69 Blättern 2º.«; Anm.] aufgeführten Manuscripte gemacht, dasselbe zunächst abgeschrieben (unter theilweiser Unterstützung von Herrn Bibliotheksbeamten Dr. Meyer) und dann übersetzt, wie folgt: 

W. Jordan, Zeitschrift für Vermessungswesen. Organ des Deutschen Geometervereins, H. 10 (15. Mai 1897)

Machina arithmetica in qua non additio tantum et subtractio sed et multiplicatio nullo, divisio vero paene nullo animi labore peragantur. 

[…]

Porro quanti nans haec machina futura sit, satis patet, nam errorem molestiamque omnem ant paene omnem a calculo numerorum ademisse magnae est in Re publica pariter et litteraria utilitatis. Constat quanto cum applausu baculi Neperiani sint excepti, at horum tamen usus communi calculandi ratione neque celerior multo neque facilior neque tutior. 

Nam in multiplicatione eius perpetuis additionibus opus est, divisio autem nihilo vulgari expeditior. Unde et in desnetudinem baculi paene abiere. At in nostra multiplicandi labor nullus, dividendi exiguus. 

Pascaliana Machina, felicissimi ingenii specimen, sed cum additiones tantum ac subtractiones sublevet, quarum difficultas per se tanta non est, multiplicationem ac divisionem priori calculo relinquat, elegantia potius apud curiosos quam fructu apud homines negotiis implicatos se commendavit.

Sed ut nunc Machinae Arithmeticae ultima manus imposita est, ita eam credibile est gratam omnibus fore, qui rationibus subducendis occupantur quales esse rerum fiscalium procuratores, rerum alienarum administratores, mercatores, mensores, geographos, nautas, astronomos, et quicquid artificum Mathematicis artibus indiget, apud omnes constat. 

Sed ut intra literarios usus nos contineamus, poterunt iam non magno labore Tabulae tum Geometricae tum Astronomicae veteres emendari, novaeque construi, quibus linearum omnium figurarumque utcunque compositarum, aut decompositarum atque innominatarum genera non minore certitudine metiamur quam nunc Angulos post Regiomontani, Circulum post Ludolphi de Colonia labores, ad linearum rectarum instar tractare possumus. Quod ubi in potissimis saltem, ac crebriore usu se commendantibus, lineis figurisve fiet, constitutis Canonibus non Sinunm tantum et Polygonorum, sed et Ellipsium et Parabolarum Hyperbolarumque et caeterarum figurarum nobiliorum, aut per motum aut per puncta describendarum, tum demum Geometriam ad usum vitae perfectam fore putandum est. 

Sed etsi aut demonstratio optica aut observatio Astronomica, aut motuum compositio varia novas nobis figuras offerant, facile cuique erit sibi e vestigio tabulam concinnare ad contemplationes suas leviore negotio, et maiore certitudine transigendas. Constat enim ex eorum lapsibus, qui circulum quadrare conati sunt, Arithmeticam esse fidissimum serveritatis Geometricae custodem. Quare tabulas quoque Arithmeticas, ut Pythagoricam maiorem, ut quadratorum, cuborum, aliarumque potestatum, ut tabulas combinationum, variationum, progressionumque omnis generis, quam longissime continuari publicumque laborem sublevari opera pretium erit. 

Astronomorum quoque diligentiam certum est nulla magis molestia exerceri quam quae a computo creatur. Hoc eos a condendis emendandisque tabulis, a construendis Ephemeridibus, a perficiendis Hypothesibus, conferendisque inter se observationibus deterret. Indignum enim est excellentium virorum horas servili calculandi labore perire, qui Machina adhibita vilissimo cuique secure transcribi posset. 

Sed haec de constructione atque usu rei futurae dixisse suffecerit, quae credibile est fore in praesenti absolutaque clariora.

Rechenmaschine, in der nicht nur die Addition und Subtraction, sondern auch die Multiplication ohne, — die Division aber fast ohne alle geistige Arbeit ausgeführt wird. 

[…]

Welch ausgedehnte Anwendung fernerhin diese Maschine finden wird, ist hinlänglich klar, denn die Beseitigung jeglichen Fehlers und aller oder doch fast aller Mühe aus der Zahlenrechnung ist von grossem Nutzen sowohl im Staate, wie in der Wissenschaft. Es ist bekannt, mit welchem Beifall die Néper’schen Rechenstäbe aufgenommen wurden, und doch ist ihr Gebrauch weder viel schneller noch sicherer als die gewöhnliche Rechenmethode. Denn in Néper’s Multiplication sind fortwährende Additionen erforderlich, die Division aber geht um nichts leichter von statten als die gewöhnliche. Daher kamen denn auch die Rechenstäbe fast ganz ausser Gebrauch. Dagegen in unserer Methode erfordert das Multipliciren gar keine, das Dividiren nur geringe Mühe. 

Die Pascal’sche Maschine ist immerhin ein Probestück des glücklichsten Genies, aber da sie nur die Addition und Subtraction erleichtert, deren Schwierigkeit ohnehin nicht so gross ist, aber die Multiplication und Division der früheren Rechnung überlässt, so hat sie sich mehr durch ihre Feinheit bei neugierigen als durch praktischen Nutzen bei ernst beschäftigten Leuten empfohlen. 

Aber da jetzt an die Rechenmaschine die letzte Hand angelegt ist, so darf man annehmen, dass sie allen erwünscht sein wird, die mit Berechnungen zu thun haben, wozu bekanntlich die Verwalter des Fiscus, die Verwalter fremder Gelder, Kaufleute, Feldmesser, Geographen, Seeleute, Astronomen gehören, und was von Fachleuten sonst der Mathematik bedarf. 

Aber um mich auf den rein wissenschaftlichen Gebrauch zu beschränken, so können nun ohne grosse Mühe die alten geometrischen und astronomischen Tafeln verbessert und neue aufgestellt werden, mit Hülfe deren man alle Arten von Linien und Figuren, die beliebig zusammengesetzt oder unzusammenhängend und unbenannt sind, ebenso sicher messen kann, wie wir jetzt nach den Arbeiten des Regiomontanus Winkel und nach denen Ludolphs von Köln den Kreis wie gerade Linien behandeln können. Wenn das wenigstens bei den hauptsächlichsten und öfter vorkommenden Linien und Figuren der Fall sein wird nach Aufstellung von Tafeln nicht nur der Sinus und Polygone, sondern auch der Ellipsen und Hyperbeln und übrigen wichtigeren Figuren, die durch Bewegung oder durch Punkte zu beschreiben sind, dann erst darf man annehmen, dass die Geometrie zum praktischen Gebrauch vollkommen sein wird. 

Aber wenn auch die optische Darstellung oder die astronomische Beobachtung oder die mannigfaltige Zusammensetzung von Bewegungen uns neue Figuren bringen, so wird es doch Jedem leicht sein, sich sogleich eine Tafel herzustellen, um seine Betrachtungen mit grösster Leichtigkeit und Sicherheit durchzuführen. Denn es ist bekannt aus dem Scheitern der Versuche, den Kreis zu quadriren, dass die Arithmetik die sicherste Gewähr für die geometrische Richtigkeit bietet. Daher wird es sich auch der Mühe verlohnen, arithmetische Tafeln, wie die grössere pythagorische, Tafeln der Quadrate, Cuben und anderer Potenzen, Tafeln der Combinationen, Variationen und Progressionen aller Art so weit wie möglich auszudehnen und dadurch die allgemeine Arbeit zu erleichtern. 

Auch der Fleiss der Astronomen wird sicherlich durch keine Beschwerde mehr auf die Probe gestellt, als die des Rechnens. Dies schreckt sie ab von der Aufstellung und Verbesserung von Tafeln, von der Anlage von Ephemeriden, der Ausführung von Hypothesen und den Beobachtungen unter einander. Denn es ist ausgezeichneter Männer unwürdig, ihre Zeit mit sklavischer Rechenarbeit zu verlieren, die mit Anwendung der Maschine jedem Beliebigen mit Sicherheit übertragen werden könnte. 

Aber diese Ausführungen über die Construction und die Anwendung des geplanten Werkes dürften genügen; gewiss werden sie nach Vollendung desselben den Augen des Beschauers noch deutlicher werden.


Nachtrag: Der Hinweis auf diese Übertragungsweisen ergab sich aus einem Thread von Kathrin Passig: