Buch

Die nachstehenden 33 Lemmata zu »Buch, das« bzw. »Bücher, die« sind einem Band entnommen, der 2010 sich vornahm, die Frage, was denn das sei – ein ›Buch‹ –, zu klären; wie in der Buchausgabe und deren beiden Neuauflagen bestimmt sich die Reihenfolge durch die Zeichenzahl der Einträge; cf. Seitenweise. Was das Buch ist. Hg. v. Thomas Eder, Samo Kobenter, Peter Plener. Wien: 2010, S. 466–478.


Originäres Kulturprodukt, bestehend aus einem mitunter sehr langen, theoretisch eindimensionalen Buchstabenstrom, der notwendigerweise gebändigt und umgelenkt in mehrere, umbrochene Zeilen auf den zwei Dimensionen einer Fläche angeordnet, idealerweise eine Flut von Gedanken anschwemmt. Robust im Format (mit ihm kann man fiktive Welten errichten), wenngleich anfällig für Zerstörung durch die Urelemente Feuer, Wasser (lässt die Fläche aufquellen zur Skulptur im Raum) sowie durch die Zeit, wobei das B. ein geeignetes Mittel für die verlorene Suche nach ihr darstellt, auch wenn es selbst mit ihr in allen vier Dimensionen zu Staub zerfällt. 

Markus Krajewski

Instrumentarium einer Ordnung, die sich über Parameter wie die Fixierung der Seiten (↑ Einband, ↑ Paginierung, Akt des ↑ Blätterns), deren Raum (↑ Weißraum, ↑ Typografie, ↑ Satzspiegel, ↑ Durchschuss, ↑ Format) sowie die notwendige Handhabung bestimmt; logistisches Beiwerk (externe ↑ Paratexte, ↑ Bücherlisten, ↑ Zettelkataloge, ↑ Datenbanken und ↑ Bibliografien) unterstützt die Möglichkeiten der Ökonomisierung und sorgt für eine Zurichtung spezifischer Kulturtechniken. Das B. trägt in sich den Plural und ist dem Gesetz der Serie verpflichtet. 

Peter Plener

Information speicherndes Objekt aus zusammengebundenen Blättern (genäht, geklebt), gemacht aus Pflanzen und Erde, auf denen menschliches Denken und Wissen aufgedruckt oder handgeschrieben, -gezeichnet ist, und das durch die Möglichkeit seiner Vervielfältigung dank der Erfindung des B.drucks im 15. Jahrhundert menschliches Denken und Wissen allen Menschen, die lesen (und schreiben) können, zugänglich macht. Bis dahin waren der Austausch und die Weitergabe so genannter Information auf geografische und soziale Faktoren beschränkt.

Gundi Feyrer

Meistens Pl., eigtl. Scheinsingular, da es aus anderen B.n verfertigt wird. ↑ Medium, das ↑ Text bzw. Abbildungen enthält. Aufgrund seiner langen ↑ Mediengeschichte hoch ideologisiert, da häufig Alleinstellungsmerkmal bestimmter soz. Gruppen (↑ B.religion, ↑ Gelehrte, ↑ Gebildete, ↑ B.halter). Zu Zeiten von ästhetischem Reiz, heute meist wertlos u. unansehnlich. Der Tauschwert eines B.es ist von vielen Faktoren abhängig (z.B. Umfang, Alter, Häufigkeit, Gestaltung), der Gebrauchswert meist vom ↑ Inhalt.

Werner Michler

Papiererzeugnis von verflixt hohem spezifischen Gewicht, das gleichwohl mitunter der leichten Unterhaltung dient, unter dem aber, worüber sich schon Lichtenberg wunderte, in einem »weitläufigen Verstand« auch »Compendia, Kompilationen, Wetterbeobachtungen und Zänkereien« subsumiert werden, ja sogar »Lotterielisten und Musterkarten«, das also zwischen seinen beiden Deckeln, welche das gedruckte Papier Halt gebend umfassen, einen Raum völliger Freiheit eröffnet.

Daniela Strigl

Nie geschichtslos, selten geruchsneutral, manchmal verführerisch, oft langweilig, meist Arbeit, immer nützlich – und sei es zur Stabilisierung kippliger Schränke; ein Senkblei in unbekannte Welten; von der Wiege (Korrekturfahnen) bis zur Bahre (Altpapier) tritt das B. überwiegend in Herden (respektive Regalmetern) auf; durch den atemberaubenden Erfolg der digitalen Innovationen hat es zwar an Territorien verloren, wird aber unersetzlich bleiben.

Stephanie Jacobs

In seiner 1.0. Variante (aus Papier) ist das B. eine nicht periodische Druckschrift, die dem Kunden im Regelfall zwischen zwei Einschlagdeckeln serviert wird. Tritt momentan in einen Beliebtheitswettbewerb mit seiner entmaterialisierten 2.0. Variante (Elektro-B.) ein – Ausgang des Duells offen, aber von großer Bedeutung für eine seit Jahrhunderten gewachsene B.- und Lesekultur.

Christoph Winder

Dient als Mittel zur Erinnerung an Gespräche, die einer Aufzeichnung wert erachtet werden. Sein Defizit ist, dass es auf Fragen immer nur dieselbe Antwort gibt und sein Autor ihm gegenüber Kritikern nicht zu Hilfe kommen kann. Erweist sich allerdings nützlich für eine »zweite Fahrt«, bei der man etwas gestützt auf die Schrift unternimmt.

Alfred Dunshirn

B. ist ein mehrdeutiger Ausdruck. Er meint im Sinne des lateinischen »codex« eine sich etwa ab dem 4. Jh. n. Chr. durchsetzende physische Form von Schriftträger, bei der etwa gleich große Seiten am B.rücken fix mit einander verbunden werden. Im Sinne des lateinischen »liber« meint das Wort einen zusammenhängenden Text.

Johanna Rachinger

Es lässt sich legen, stellen, in Händen halten, vorzeigen und verstecken. Als Kassiber kann es gefährliche Inhalte transportieren, als großformatiger Prachtband so tun, als ob alles in ihm enthalten wäre; was es enthält, ist jedenfalls mindestens so widersinnig wie es Sinn macht.

Benedikt Föger

Dreidimensionaler Gegenstand aus gebundenen Lagen von Flachware, an dem viele gearbeitet haben, damit andere und sie selbst daran und damit weiterarbeiten können, wobei Genuss nicht gänzlich ausgeschlossen ist. Vgl. auch ↑ Wortkonvolut, ↑ Buchstabenversammlung. 

Stephan Kurz

Historisch erstaunliche Ausstülpung der im Menschenkörper gespeicherten Erinnerungen durch Transformation der Stimme auf Papier. Enthält Wahres, aber auch viel Falsches. Volumen variabel, Sequenz linear, Übertragungsgeschwindigkeit individuell, Funktion unklar.

Ernst Strouhal

Eine der möglichen physischen Manifestation von ↑ Literatur; in seiner Effizienz im Bereich der Populär- und Trivialliteratur bislang unerreichtes Mittel zum Auslösen der Phänomene Transportiertwerden (↑ transportation) und Eintauchen (↑ immersion).

Thomas Eder

Orte, die in der Vergangenheit, der Gegenwart und auch der Zukunft liegen und an die sich zurückzuziehen sich immer wieder lohnt. Sie sind das Trägermedium für unser Wissen, unsere Ideen, unsere Gedanken und vor allem unsere Sehnsüchte.

Bernhard Fetz

Aktuell unter pathologischen Mindergefühlen leidendes analoges Kreativitätsformat von höchster systemischer Zuverlässigkeit, mit multitasking-, multiusing- und multitouching-Optionen samt 10 hoch unendlich Verlinkungsmöglichkeiten.

Evelyne Polt-Heinzl

Substitut tätowierter oder verwundeter menschlicher Haut, hergestellt aus mehreren übereinandergeschichteten Lagen speziell präparierter Tierhäute, vorzugsweise von ungeborenen Lämmern und Ziegen, keinesfalls von Kühen oder Eseln.

Lydia Miklautsch

Körperorientierter Behelf zur visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung von größeren Informationsmengen auf flächigen Strukturen, in der Organisation und Navigation seiner Zeichenketten ausgereiftes Emblem des analogen Zeitalters. 

Franz M. Eybl

»Ein Buch«, so sagt ein arabisches Sprichwort, »ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt«. Manchmal auch wie ein Kamel, das dich mitten in der Wüste abwirft. Und oft wie ein Feld, das niemand bestellt hat.

David Axmann

» […] im allgemeinen mehrere zu einem Ganzen verbundene Blätter oder Bogen Papier, Pergament etc., mögen diese beschrieben sein oder nicht.« (Meyers Konversations-Lexikon, 1874) Man beachte das lockere Satzende. 

Manfred Moser

Ein Buch ist etwas Schönes, für das Leben wichtig und in gedruckter, gebundener Form noch immer ein Begleiter für Mußestunden, die sich jeder Mensch trotz aller Hektik irgendwie bereithalten sollte.

Lorenz Mikoletzky

Ein Lustobjekt, das (im Unterschied zu vielen anderen Lustobjekten) schamfrei und schuldlos genossen wird, weil es zugleich – und zwar völlig zu Recht – auch als Kulturgut bezeichnet werden kann. 

Hermann Schlösser

Ein kinetisches Objekt, dessen Vernutzung und Verbrauch nicht primär Vernichtung bedeutet, sondern als sichtbares Zeichen der Aneignung und Transformation verstanden werden kann.

Mona Körte

Erst wenn das Gesetz der sinnvollen Nachbarschaft wirksam wird, entscheidet sich das Schicksal gebundener und zerlegter Druckwerke. (Mit Dank an Aby Warburg.)

Amália Kerekes/Katalin Teller

Ein mittels diverser Bindungstechniken irreversibel gebundenes Seitenkonvolut, mit einem Einband verbunden und durch diesen geschützt.

Walter Bohatsch

Eingefangen zwischen zwei rechteckige Papp- oder Leinendeckel findet sich das ganze Universum: erdacht, erlebt und geliebt.

Rotraud Schöberl

Gut allein durch seine bloße Existenz; am behaupteten »Ende des typografischen Zeitalters« mehr gelesen als je zuvor.

Michael Huter

Funktionieren ohne Ein- und Ausschaltknopf, sie brauchen nur jemanden, der bereit ist, mit ihnen mitzudenken.

Gerhard Russ

»Ist ein Spiegel, wenn ein Affe hineinguckt, so kann freilich kein Apostel heraus sehen.«

Samo Kobenter

Aus einem B. lesen wir das heraus, was uns im tiefsten Inneren berührt.

Eva Pfisterer

Mehrere gebundene (und womöglich beschriebene oder bemalte) Blätter.

Uwe Wirth

Entkörperter, in einer materiellen Konserve gespeicherter Geist.

Aleida Alsmann

… der zweitbeste Freund des Menschen – nach dem Fußball.

Wolfgang Pennwieser

ein Buch ist ein Buch ist ein Buch ist ein Buch.

Michael Rohrwasser

Vgl. dazu Jacob Grimm:

Dies wort führt unmittelbar in die heidnische zeit. wie den Griechen βύβλος, βίβλος bast, rinde und dann, weil sie bemahlt, beschrieben wurde, schrift, brief und buch, den Römern liber bast und buch bedeutete; so gieng unsern vorfahren, die ihre schrift auf steine und zum gewöhnlichen gebrauch auf büchene breter ritzten, die vorstellung des eingeritzten über auf buche, den namen des baums, aus dessen holz breter und tafeln am leichtesten geschnitten werden konnten; […]. nicht anders bezeichnete auch codex und tabula sowol das beschriebene holz als hernach das buch. […] da die bücher blätter haben, erscheint die verwandtschaft zwischen buch und buche begründet und höchst passend. schon Mathesius erreichte die richtige deutung, obwol er ohne noth die bretter des einbands statt der buchstaben selbst ins auge faszt.

Art. »Buch«, in: Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Bd. 2, Reprint Mün- chen 1984, Sp. 467