Nicht weniger als bei dem modernen Kriege zeigt sich der Niedergang in den Instinkten der primitiven Männlichkeit bei der modernen Jagd. Zum mindesten die Treibjagd hat unter dem Gesichtspunkte der Gefahr, deren Überwindung neben dem Gewinn der Beute für den Mann früherer Zeiten den Wert der Jagd ausmachte, etwas Verkehrtes und Lächerliches; wenn es dabei noch Gefahr und Strapazen gibt, so fallen sie ganz in die Beschäftigung des Treibers und nicht des Jägers. Für den intakten Mannesinstinkt müßte es eher etwas Abstoßendes, ja Verächtliches haben, so aus sicherer Ferne wehrlos-unschädliche Geschöpfe, die da in Massen vorübergetrieben werden, niederzupfeffern; das Vergnügen an der eigenen Treffsicherheit könnte einen in diesem Punkte noch nicht abgestumpften Mann über das Unmännliche dieses Verfahrens nicht hinwegtäuschen. Aber ganz als ob es sich noch um Bären oder Wölfe, um die mannhaftunerschrockene Bekämpfung wilder und gemeingefährlicher Bestien handelte, gilt die Jagd als eine ausgezeichnet männliche Beschäftigung und wird immerzu das »edle Weidwerk« genannt.
Rosa Mayreder: Zur Kritik der Weiblichkeit. Essays; 1905 (hier zitiert nach der Ausgabe 6.–8. Tausend, Jena: Diederichs 1922, S. 116–118)
Nicht viel besser in Ansehung der männlichen Qualität ist es um alle Arten von Sport bestellt, die durch heftige Leibesbewegungen und physische Anstrengungen als Remeduren der primitiven Männlichkeit gelten können. Als Remeduren wohl, sofern sie Abhärtung, Anspannung der Muskel- wie der Willenskraft bedingen – als Taten nicht. Der Sport ist stets nur ein Spiel; deshalb werden selbst die äußersten Leistungen auf seinem Gebiete – wenn sie auch in mancher anderen Hinsicht hoch anzuschlagen sind – nie einen heroischen Charakter haben, wie ihn die Tapferkeit gegenüber ernsten Gefahren verleiht. Was dabei herauskommt, ist im besten Fall eine Männlichkeit der Bravourstücke.
Als eine völlige Karikatur, in ihrer widersinnigsten und lächerlichsten Gestalt, erscheint die primitive Männlichkeit bei dem studentischen Kommentwesen. Denn hier tritt sie nur mehr als ein atavistischer Auswuchs im Leben solcher Individuen auf, die durch ihre Berufswahl Repräsentanten der differenzierten Männlichkeit werden sollen. Das Mißverständnis, das hier obwaltet, könnte als eine Jugendeselei hingehen, wenn es sich bloß in den Paukereien äußerte, die der »unbändigen Mannesnatur« durch kleine unschädliche Aderlässe Luft machen; da es aber gleichzeitig einen unwürdigen Zwang zum Alkoholmißbrauch mit sich bringt, der oft die depravierendsten Folgen hat, stellt das ganze Kommentwesen in seiner heutigen Gestalt eines der schlimmsten Verfallssymptome der Männlichkeit dar.
Niedergang, unaufhaltsamer Niedergang! Verträgt sich denn die Lebensweise, welche die Männer der geistigen Berufe führen, überhaupt noch mit irgend einem der Instinkte, durch die sich die primitive Männlichkeit auszeichnet? Das Bureau, das Kontor, die Kanzlei, das Atelier – lauter Särge der Männlichkeit. Ihre monumentale Grabstätte aber ist die Großstadt selbst. Hier sind die Gefahren des Lebens – das Element und die hohe Schule der Männlichkeit – ganz aus dem Wege geräumt; hingegen wirken alle Einflüsse des Großstadtlebens dahin, jenes Gebrechen zu fördern, das sich am wenigsten mit dem Charakter der Männlichkeit verträgt, die Nervenschwäche.