Synthetische Menschen, 1963, zufolge Thomas Pynchons »V.« (Kapitel 10):
Am darauffolgenden Abend saß Profane im Dienstzimer der Anthropologischen Instituts, die Füße an den Gasofen gelehnt, und las einen avantgardistischen Western, »Existentialist Sheriff« […]. Am Ende eines Laboratoriumsraumes saß, von einer schwachen Lampe à la Frankenstein beleuchtet […] STRAMO: synthetischer Mensch zur Erforschung von Strahlungsschäden auf den menschlichenOrganismus.
Seine Haut war aus Acetatbutyrat, einer Plastikmasse, die nicht nur Licht, sondern auch Röntgenstrahlen, Gammastrahlen und Neutronen gegenüber durchlässig war. Sein Skelett war einst das eines lebenden Menschen gewesen; nun waren die Knochen gereinigt, die längeren wie auch die Wirbelsäule waren ausgehöhlt und mit Strahlendosimetern versehen worden. STRAMO war 1,79 Meter groß, das entsprach dem Air Force-Durchschnitt. Lunge, Geschlechtsorgane, Nieren, Schilddrüse, Leber, Milz und die anderen inneren Organe waren hohl und bestanden aus derselben klaren Plastikmasse wie die Haut. Sie konnten mit wäßrigen Lösungen gefüllt werden, die dieselbe Strahlendosis absorbierten wie die Gewebe, die sie darstellten.
Das Anthropologische Institut […] erforschte im Auftrag der Regierung die Wirkungen des Aufenthalts in großen Höhen und des Raumflugs; für den National Safety Council die Folgen von Verkehrsunfällen; im Auftrag der Civil Defense stellte es Untersuchungen über Strahlungsschäden an (wozu STRAMO benötigt wurde). Im achtzehnten Jahrhundert neigte man oft dazu, den Menschen als einen wie ein Uhrwerk funktionierenden Automaten zu betrachten. Im neunzehnten Jahrhundert – die Newtonsche Physik hatte sich ziemlich allgemein durchgesetzt, und vielerorts arbeitete man an thermodynamischen Problemen – war man eher bereit, den Menschen als Wärmekraftmaschine mit einem Wirkungskoeffizienten von vierzig Prozent anzusehen. Jetzt, im zwanzigsten Jahrhundert, in dem die Kern- und subatomare Physik zum Alltäglichen gehörte, war der Mensch zu etwas geworden, das Röntgenstrahlen, Gammastrahlen und Neutronen absorbiert. […]
Die Untersuchung, die zur Zeit lief, hatte etwas mit Erster Hilfe zu tun, und verschiedene Exemplare von SCHOMO – synthetischer Mensch zur Erforschung von Schockwirkungen auf den menschlichen Organismus – wurden dabei auf den Fahrer- oder den Todessitz und in den Fond der Versuchswagen gesetzt. Profane empfand noch ein Gefühl der Verwandtschaft zu SCHOMO, dem ersten seelenlosen Schlemihl, den er je getroffen hatte; doch war dieses Gefühl nicht frei von Argwohn, weil diese Puppe nur ein »synthetischer Mensch« war; […].
SCHOMO war also in jeder Beziehung vollkommen naturgetreu. […]
Auf dem Rückweg zum Dienstraum hielt er vor STRAMO an. »Wie geht’s«, sagte er.
Besser als dir.
»Quatschkopp.«
Selber Quatschkopp. Ich und SCHOMO, wir sind das, was du und jeder andere eines Tages sein wird. […]
»Es gibt anderes als Fallout oder Verkehrsunfälle.«
Aber das ist am wahrscheinlichsten.
»Du hast nicht einmal eine Seele. Wie kannst du dann reden?«
Hast du denn eine? Was ist das denn, deine Religion? Ich bin nur eine Imitation der Wirklichkeit. […]
Zum Teufel damit. Profane ging zurück zum Dienstraum und machte sich daran, Kaffee zu kochen.