Vermerk

Phönizier, Ägypter, Griechen …
Römer: Sprache, Zahlen, Schrift und Post
Spanier: Hofzeremoniell, zentralisierte Verwaltung, neue Medien (Buchdruck & Archive), neue Verkehrsmittel (Hochseeschiffe)

Bis Einführung eines Kodex sind (rhetorische) Imitation und Performanz als glaubhafte Simulation/Darstellung des Herrscherwillens erforderlich, danach reicht ein Verweissystem, Adressen und Referenzen. Die Performanz zur schriftlichen Imitation der Rede (Formulare) wird durch fälschungssicher gedachte Zeichensystem (Siegel, Unterschriften) schrittweise ersetzt.

Die Diagrammatik der Macht auch in der Aufführung (Zeremoniell) und im Bau (Repräsentation von Stufenmodellen) wird über Jahrhunderte hinweg in hierarchisch strukturierte Verwaltungsapparate (Medien, Fließband, Warentrenner; Personal) überführt. Akten als Medien (-strukturen) zweiter Ordnung, die in Ketten/Kopplungen heterarchische Prozessgeschehen (das Informelle) bedingen, stehen in einem Widerspruch zu Hierarchien; ihre Überführung in Dokumentenmanagmentsysteme (und Aufteilung darin) und die der bisherigen Entscheidungs-/Handlungsreihen oder -ketten in algorithmisch steuernde Verbundsysteme löst das Problem.

Für Kafka wie für Musil lässt sich 300 Jahre nach Opitz ein ›Buch von der Deutschen Verwalterey‹ annehmen, womit gemeint ist: die beiden und andere (nicht nur in deutschsprachigen Ländern und so auch Stoker et al.) arbeiten in regelgeleiteten Organisationseinnheiten, werden auf die Nutzung der amtlichen Schreib- und Prozessapparate eingeschult. Das Einhalten von Amtsinstructionen, Reglements und Formatvorlagen ermöglicht die korrekte – und derart weitergebbare, entscheidbare, expedierbare – Erledigung der Arbeit. Was zum Erlernen eines mehr oder weniger sinnvollen Regelwerks (und seiner Adaptierungen) hinzukommt, ist die Erfahrungen, dass unter Einhaltung dieser Vorgaben zulässige Gebrauchstexte entstehen. Die Beachtung der Betriebsanleitung – der Kanzleiordnung – für das Verarbeitungssystem Verwaltung ist das Schmiermittel des Apparats. Akten, als themenorientierte Konvolute unterschiedlichster Medien auf die Zeilen gebracht und derart entscheidungsreif gemacht, lassen sich als Textgenerierungshilfen mit zwei Bewegungsenergien erfahren: einerseits die Selbstreferenzialität, die Rekursionsfähigkeit, die Begründung in sich selbst und auf Dauer gestellte Möglichkeit des Wiederaufrufs; andererseits der Zug hin zum Abschluss des Prozesses, zur Erledigung, zur Ablage, d.h. ins Verzeichnis des Ausgangs. Gelingt der Schreiprozess, kommt es zur Publikation, mag das gedruckte Buch – oder späterhin die Arbeit an der Ausgabe letzter Hand – die Wiedervorlage sein. Wesentlich sind jedoch die Arbeitsformen, die mit den Regelsystemen und deren Beachtung einhergehen. Diese lassen sich auch als produktiv im Sinne der Verarbeitung verstehen. Derart entsteht eine Engführung von ›Poeterey‹ und ›Verwalterey‹, Buch und Akt.

Das ließe sich dann, angelehnt an Latours Engführung von Verwaltung und Labor/Wissenschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts her, für eine Zusammenlegung von Amts- und Schreibstube in Betracht sehen. Musil wird aus diesem System aussteigen (und zugleich nicht, da sein Ablagesystem, seine Produktionsgüter und -weisen – Schreibmaschine, Siglen, Papiere, Beschriftungsform von Blättern, Wiedervorlage und Referenzen, Steuerungszeichen und Verknüpfungsweisen –, amtlichen Kulturtechniken und Vorschriften verbunden bleibt), Kafka wird es aus existenziellen Gründen nicht können, eher unkompliziert lässt sich auch spekulieren: es nicht gewollt haben.

Wenn Siegert (Casa de la contratación) und nach ihm Theweleit (»Gehirnsprünge«) so eindringlich auf die spezifisch sich entwickelnden Produktionskräfte umfänglicher Verwaltungsorganisation verweisen, wenn nach den europaweiten Schüben einer Modernisierung von Verwaltung um 1800 und der schrittweisen Weiterentwicklungen von Administration um 1900 (Einsatz von Rechenmaschinen, Entstehen regelrechter Medienverbundsysteme, Schreibmaschinen im metaphorischen wie metonymischen Sinne, Adaption von Kriegs- und damit auch Medienerfahrungen, Aufkommen von Unternehmens- und Organisationsberatungen, Ausdifferenzierung von Arbeitsteilung bei Fertigungsprozessen) etwas als erstaunlich stabil erwiesen hat, ist es das Prinzip der Aktenführung.

(Das würde möglicherweise auch nach sich ziehen, den Verwaltungsjuristen Kafka nicht unbedingt wie Manow und Mehring mit Carl Schmitt zu lesen, den Verwaltungspraktiker (und Mathematiker) Musil nicht unbedingt wie Wolf (Norbert C.) mit Bourdieu zu lesen, den Verwaltungspraktiker (und Mathematiker) Stoker nicht unbedingt allein mit Bezügen auf die Gothic Novels zu werten, sondern mit einer soziologisch-juristischen Sicht wie Luhmann, einer verwaltungstechnisch-juristischen Sicht wie Vismann, einer medienanthropologischen wie Kittler – bzw. dem, was sich aus diesen Ansätzen ableiten und folgern ließ.)

Das beginnt sich nun – mit nur bedingt abschätzbaren Folgen für Arbeitsorganisation, Rechtssicherheit, Regelsystematik und so nebenbei auch Schreibprozessen – zu ändern. Die Oberfläche Star (1981 ff.), OS, erscheint im Nachgang als erstes Anzeichen dafür, dass Dokumentenmanagementsysteme, Algorithmenverknüpfung und einer KI zugeschriebene, uneinsehbare, Verfahrensweisen die Verwaltungsaufgaben zu prozessieren zuzuordnen sein wird.


Die österreichische Geschichte davon vermag da ein paar Fußnoten zu liefern.

Tatsächlich scheint für die Frage nach der Entstehung der Kanzleiordnung 1974 (nach über 50 Jahren die erste neue, als wäre da nichts passiert), dass 1971 ein ADV-Konzept der BR in Kraft gesetzt wurde (in Folge dessen wird dann das BRZ formiert, was aber noch ein paar Jahre dauert, wenn man es strikt namentlich nimmt). Die Zentralisierung der Großrechner. Denn: betreuungsintensiv, Wartungskosten zu minimieren indem die Spezialist:innen dafür gleich alle an dem einen Ort sind etc. (Recht eigentlich findet das überall statt, konnte man das schon für den militärisch-industriellen Komplex und seine Rechner beobachten; der kalte Krieg der 50er/60er Jahre lässt dann die Frage auftauchen: was passiert im Atomkriegsfall? Und da entsteht mit dem ARPA-Net die Idee einer Dezentralisierung, im Ernstfall unabhängig voneinander operierender Einheiten etc. – und zugleich die Grundidee dessen, wie das Internet, das erst Jahrzehnte später vom CERN her den universitären und dann privaten Datentransfer neu aufzubauen schafft, halbwegs resilient und stabil, einschließlich redundanter Leitungen, einschließlich entsprechender technischer Protokolle an den Schnittstellen, aufgebaut sein mag.) Als der militärisch-industrielle Komplex ausreichend mit Rechnern, Maschinen und Leitungen versorgt ist, wird das alles auf den zivilen Sektor hin ausgerollt. (So Dinge wie das OS von Xerox Anfang der 80er Jahre sind eine Folge davon – und eben auch der neue Rechenmaschinenpark der Republik Österreich.) Weiteres Indiz für den Zusammenhang von KO und ADV: die 1992er Kanzleiordnung. Da sind dann nicht mehr die Kosten das Thema, auch nicht mehr die Großrechner (das alles hat schon seine Selbstverständlichkeit), da geht es um die Einzelplatzrechner. Und der Hintergrund ist, dass eben 1992 die neueste ADV-Geschichte in die Welt gesetzt, gar nicht so nebenbei auch das Bundesrechenamt in ein Bundesrechenzentrum umgewandelt wird.