Bombenpost

Nützliche Erfindungen.
Entwurf einer Bombenpost.

Berliner Abendblätter. 11tes Blatt. Den 12ten October 1810, S. 45f.

Man hat, in diesen Tagen, zur Beförderung des Verkehrs innerhalb der Gränzen der vier Welttheile, einen elektrischen Telegraphen erfunden; einen Telegraphen, der mit der Schnelligkeit des Gedankens, ich will sagen, in kürzerer Zeit, als irgend ein chronometrisches Instrument angeben kann, vermittelst des Elektrophors und des Metalldrahts, Nachrichten mittheilt; dergestalt, daß wenn jemand, falls nur sonst die Vorrichtung dazu getroffen wäre, einen guten Freund, den er unter den Antipoden hätte, fragen wollte: wie geht’s dir? derselbe, ehe man noch eine Hand umkehrt, ohngefähr so, als ob er in einem und demselben Zimmer stünde, antworten könnte: recht gut. So gern wir dem Erfinder dieser Post, die, auf recht eigentliche Weise, auf Flügeln des Blitzes reitet, die Krone des Verdienstes zugestehn, so hat doch auch diese Fernschreibekunst noch die Unvollkommenheit, daß sie nur, dem Interesse des Kaufmanns wenig ersprießlich, zur Versendung ganz kurzer und lakonischer Nachrichten, nicht aber zur Uebermachung von Briefen, Berichten, Beilagen und Packeten taugt. Demnach schlagen wir, um auch diese Lücke zu erfüllen, zur Beschleunigung und Vervielfachung der Handels-Communikationen, wenigstens innerhalb der Gränzen der cultivirten Welt, eine Wurf– oder Bombenpost vor; ein Institut, das sich auf zweckmäßig, innerhalb des Raums einer Schußweite, angelegten Artillerie-Stationen, aus Mörsern oder Haubitzen, hohle, statt des Pulvers, mit Briefen und Paketen angefüllte Kugeln, die man ohne alle Schwierigkeit, mit den Augen verfolgen, und wo sie hinfallen, falls es kein Morastgrund ist, wieder auffinden kann, zuwürfe; dergestalt, daß die Kugel, auf jeder Station zuvörderst eröffnet, die respektiven Briefe für jeden Ort herausgenommen, die neuen hineingelegt, das Ganze wieder verschlossen, in einem neuen Mörser geladen, und zur nächsten Station weiter spediert werden könnte. Den Prospectus des Ganzen und die Beschreibung und Auseinandersetzung der Anlagen und Kosten behalten wir einer umständlicheren und weitläufigeren Abhandlung bevor. Da man, auf diese Weise, wie eine kurze mathematische Berechnung lehrt, binnen Zeit eines halben Tages, gegen geringe Kosten von Berlin nach Stettin oder Breslau würde schreiben oder respondiren können, und mithin, verglichen mit unseren reitenden Posten, ein zehnfacher Zeitgewinn entsteht oder es eben soviel ist, als ob ein Zauberstab diese Orte der Stadt Berlin zehnmal näher gerückt hätte: so glauben wir für das bürgerliche sowohl als handeltreibende Publicum, eine Erfindung von dem größesten und entscheidendsten Gewicht, geschickt, den Verkehr auf den höchsten Gipfel der Vollkommenheit zu treiben, an den Tag gelegt zu haben. 

Berlin d. 10. Oct. 1810. rmz. [i.e. Heinrich v. Kleist]

Leserbrief & Antwort H. v. Kleists:

Schreiben eines Berliner Einwohners an den Herausgeber der Abendblätter.

Berliner Abendblätter. 14tes Blatt. Den 16ten October 1810, S. 57f.

Mein Herr! 
Dieselben haben in dem 11ten Stück der Berliner Abendblätter, unter der Rubrik: Nützliche Erfindungen, den Entwurf einer Bombenpost zur Sprache gebracht; einer Post, die der Mangelhaftigkeit des elektrischen Telegraphen, nämlich, sich mit nichts, als kurzen Anzeigen, befassen zu können, dadurch abhilft, daß sie dem Publico auf zweckmäßig angelegten Artillerie-Stationen, Briefe und Packete mit Bomben und Granaten zuwirft. Erlauben Dieselben mir zu bemerken, daß diese Post, nach einer, in Ihrem eigenen Aufsatz enthaltenen Aeußerung, voraussetzt, der Stettiner oder Breslauer Freund habe auf die Frage des Berliners an ihn: wie geht’s dir? zu antworten: recht gut! Wenn derselbe jedoch, gegen die Annahme, zu antworten hätte: so, so! oder: mittelmäßig! oder die Wahrheit zu sagen, schlecht; oder gestern Nacht, da ich verreis’t war, hat mich meine Frau hintergangen; oder: ich bin in Prozessen verwickelt, von denen ich kein Ende absehe; oder: ich habe Bankerot gemacht, Haus und Hof verlassen und bin im Begriff in die weite Welt zu gehen: so gingen, für einen solchen Mann, unsere ordinairen Posten geschwind genug. Da nun die Zeiten von der Art sind, daß von je hundert Briefen, die zwei Städte einander zuschicken, neun und neunzig Anzeigen von der besagten Art enthalten, so dünkt uns, sowohl die elektrische Donnerwetterpost, als auch die Bomben- und Granatenpost könne vorläufig noch auf sich beruhen, und wir fragen dagegen an, ob Dieselben nicht die Organisation einer anderen Post zu Wege bringen können, die, gleichviel, ob sie mit Ochsen gezogen, oder von eines Fußboten Rücken getragen würde, auf die Frage: wie geht’s dir? von allen Orten mit der Antwort zurückkäme: je nun! oder: nicht eben übel! oder: so wahr ich lebe, gut! oder: mein Haus habe ich wieder aufgebaut; oder: die Pfandbriefe stehen wieder al pari; oder: meine beiden Töchter habe ich kürzlich verheirathet; oder: morgen werden wir, unter dem Donner der Kanonen, ein Nationalfest feiern; — und was dergleichen Antworten mehr sind. Hiedurch würden Dieselben sich das Publikum auf das lebhafteste verbinden, und da wir von Dero Eifer zum Guten überall, wo es auf Ihrem Wege liegt, mitzuwirken, überzeugt sind, so halten wir uns nicht auf, die Freiheit dieses Briefes zu entschuldigen, und haben die Ehre, mit der vollkommensten und ungeheucheltsten Hochachtnng [sic] zu sein, u. s. w. 

Berlin den 14. Okt. 1810. Der Anonymus. [i.e. Heinrich v. Kleist]

Antwort an den Einsender des obigen Briefes. 
Dem Einsender obigen witzigen Schreibens geben wir hiemit zur Nachricht, daß wir uns mit der Einrichtung seiner Ochsenpost, oder seines moralischen und publizistischen Eldorados nicht befassen können. Persiflage und Ironie sollen uns, in dem Bestreben, das Heil des menschlichen Geschlechts, soviel als auf unserem Wege liegt, zu befördern, nicht irre machen. Auch in dem, Gott sei Dank! doch noch keineswegs allgemeinen Fall, daß die Briefe mit lauter Seufzern beschwert wären, würde es, aus ökonomischen und kaufmännischen Gesichtspunkten noch vortheilhaft sein, sich dieselben mit Bomben zuzuwerfen. Demnach soll nicht nur der Prospectus der Bombenpost, sondern auch ein Plan, zur Einsammlung der Actien, in einem unserer nächsten Blätter erfolgen. 

Die Redaktion. [i.e. Heinrich v. Kleist]

Cf. ☞ KLEIST.digital: Berliner Abendblätter

Cf. zudem ☞ Michael Rohrwasser: Eine Bombenpost. Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Schreiben. In: Heinz Ludwig Arnold (Hg.). Heinrich von Kleist. München 1993 (Text + Kritik Sonderband), S. 151–162, hier S. 158f.:

Wo Gedanken sich überstürzen, ›Umstände drängen› und die Sprache »keine Fessel« ist »wie ein Hemmschuh an dem »Rad des Geistes« [Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden], wird die Übermittlung zum Problem. Dann muß die Post zur Kanone greifen, dann gehen die Sphären des Militärs und des Schreibens eine Koalition ein, die Kleist an anderer Stelle beschrieben hat. In den »Berliner Abendblättern« hat er im Oktober 1810 eine solche ›nützliche Erfindung‹ unter dem Namen »Wurf- oder Bombenpost« vorgestellt. Durch Kanonen, die die Brief-Granaten von Post-Station zu Station schießen, wird die Mitteilung »mit der Schnelligkeit des Gedankens« [Bombenpost; s.o.], im Handumdrehen oder doch mit »zehnfacher« Geschwindigkeit [ibid.; s.o.] befördert. Zudem können die Überbringer solcher Briefe nicht mehr abgefangen werden wie in der Erzählung »Michael Kohlhaas« oder in der »Herrmannsschlacht«, denn die Vermittler werden durch diese Erfindung ausgeschaltet. In einer der nächsten Nummern der Zeitung meldet sich Kleist als »Der Anonymus« unter der Überschrift »Schreiben eines Berliner Einwohners an den Herausgeber der Abendblätter«. Für ein »wie gehts dir?« und die Antwort »recht gut«, für die Nachricht von einem Ehebruch oder einem Bankrott, oder für die Mitteilung, daß »unter dem Donner der Kanonen« ein – »Nationalfest« gefeiert worden sei, reiche die »Ochsen-Post« sehr wohl aus. [ibid.; s.o.] In Zahlenrelation: neunundneunzig von je hundert Briefen bedürfen nicht der ›elektrischen Donnerwetterpost‹, der »Bomben- und Granatenpost«. [ibid.; s.o.]
Was steht wohl in einem Brief, für den jene Bombenpost doch vonnöten wäre? Möglicherweise handelt es sich um eine ›französische‹ Nachricht, um einen Brief, der das Handeln nicht verzögert oder verhindert. […] Kleists Brief an den ehemaligen Regimentskameraden Rühle über die allmählicher Verfertigung der Gedanken beim reden läßt sich als Anleitung zur Verfertigung eines ›Bombenpost-Briefes‹ lesen.