Die Beamten

r. k. [i.e. Rudolf Kalmar jr.]: Die Beamten. In: Neues Österreich v. 3. Juni 1947, S. 1 f.:

Neues Österreich, 3. Juni 1947, S. 1

Die Kommission zur Vorbereitung der Verwaltungsreform tritt heute in ihre meritorischen Beratungen ein. Die Generaldebatte wird das sehr komplizierte Thema zu gliedern versuchen. Nach den präludierenden Bemerkungen des Vorsitzenden scheint festzustehen, daß man formelle Abbaumaßnahmen vermeiden, den Apparat selbst aber auflockern will. Eine größere Beweglichkeit innerhalb der einzelnen Beamtengruppen soll die entsprechende Verteilung der Kräfte sichern, um jedes Ressort im Falle seiner stärkeren Inanspruchnahme dichter zu besetzen, als Abteilungen mit einem vorübergehenden Rückgang der Agenden. 

Soweit es sich dabei um rein organisatorische Maßnahmen handelt, werden sie ausschließlich von dem Gedanken der Zweckmäßigkeit bestimmt. Die Verwaltungsreform ist notwendig. Der staatliche Apparat muß nicht nur von den Überbleibseln aus der Zeit der Okkupation, sondern auch von allen formalistischen Hemmnissen befreit werden, um in einer kritischen Zeit störungsfrei zu funktionieren. Darüber hinaus aber steht in einem engen Zusammenhang mit dem Neubau der Verwaltung selbst die soziale Frage zur Diskussion. Es geht neben den rein juristischen Lösungen um die Sicherung der Existenz jener Menschen, die sie zu tragen haben, der öffentlich Angestellten.

Sie stellten vor einigen Tagen fest, daß 120.000 unter ihnen ein monatliches Einkommen von nur 300 S brutto beziehen und so vielfach kaum imstande sind, alle rayonierten Lebensmittel zu kaufen. Was schon wiederholt, aber leider allzu flüchtig, und nur bei bestimmten peinlichen Anlässen erörtert wurde, trat hier in aller Kraßheit zutage: Die Beamten des Staates, auf denen ein Großteil der öffentlichen Verantwortung ruht, sind schlecht bezahlt. Eine Verfügung des Finanzministeriums brachte die sofortige Auszahlung von 100 S für Aktive und 60 S für Pensionisten. So überbrückt ein kleiner Betrag den augenblicklichen Notstand bis zu der beabsichtigten Erhöhung der Teuerungszuschläge, über deren Umfang noch keine Entscheidung gefallen ist. 

Der österreichische Staat ist arm. Sieben Jahre Nationalsozialismus haben ein Trümmerfeld zurückgelassen, das erst aufgeräumt werden muß, ehe der vielbesprochene Wiederaufbau beginnen kann. Die Wirtschaft, soweit wir davon überhaupt sprechen können, gehorcht ihren eigenen, ehernen Gesetzen. Das Parlament hat verlangt, daß noch während seiner laufenden Tagung Maßnahmen getroffen werden, um Löhne und Preise aufeinander abzustimmen. Nach den wiederholten Erklärungen des Kanzlers ist zu erwarten, daß die zuständigen Instanzen – unbekümmert um den voraussichtlichen Termin des Staatsvertrages – auch über eine Währungsreform beraten. Das Unverhältnismäßige und Widerspruchsvolle muß so rasch als möglich beseitigt werden, wenn wir nicht wollen, daß eine hereinbrechende Flut auch die in zwei arbeitsreichen Jahren gelegten Fundamente zerstört. 

Es liegt auf der Hand, daß eine endgültige Regelung der Beamtengehälter vor der endgültigen Bereinigung der dominierenden Wirtschaftsprobleme nicht möglich ist. Trotzdem verlangt die Gewerkschaft der öffentlichen Angestellten mit vollem Recht, daß die materielle Bedrängnis ihrer Mitglieder ohne Verzug gemildert und ein Modus gefunden werde, der den Beamten und ihren Familien wenigstens die Existenz garantiert. In dem Augenblick, „da ihr Einkommen nicht einmal mehr für die 1500 Tageskalorien, den Zins, das Licht und die Beheizung reicht – von der Nachschaffung verlorener oder aufgebrauchter Kleider ganz abgesehen –, gerät mit ihrer persönlichen Not auch der Staat in Gefahr. Wir können es zwar nicht entschuldigen, wenn unter diesen Umständen manchmal Dinge geschehen, die der großen Tradition des österreichischen Beamtentums widersprechen, doch wäre es ungerecht, immer nur die Verfehlung zu sehen, anstatt gleichzeitig auch über ihre Ursachen nachzudenken. Der österreichische Beamte war nie besonders gut bezahlt, doch tröstete er sich – dem Privatangestellten gegenüber – mit der relativen Sicherheit des Wenigen, das der Staat ihm bis zum Lebensende garantierte. Inzwischen ist mit dem zusammengebrochenen Staat auch die Sicherheit verlorengegangen und nichts übrig geblieben, als jene tapfere österreichische Gesinnung, mit der zehntausende Männer und Frauen im Frühjahr 1945 einfach zu arbeiten anfingen, ohne an mehr als an die Arbeit zu denken. Sie haben

Neues Österreich, 3. Juni 1947, S. 2

unter den widrigsten Umständen Außerordentliches geleistet, sind mit hungrigem Magen bei Konferenzen gesessen und mit klammen Fingern an der Schreibmaschine. 

Von den Vereinzelten abgesehen, die sich verleiten ließen, ohne auf ihre höhere Verantwortung Rücksicht zu nehmen, ist die Geschichte des österreichischen Beamtentums der neuen Republik ein einziges Heldenlied erfüllter Pflicht. Es rühmt in vielen heimlichen Strophen die Opferbereitschaft von Männern und Frauen, denen ihre Arbeit nicht nur eine automatische Bewegung des Apparates bedeutet. Sie sehen, wo sie auch stehen, das große Ziel der Gemeinschaft, sind bereit, ihm nach dem Verhältnis ihrer Kompetenz, aber immer mit allen Kräften zu dienen, und haben aus diesem Grunde ein Recht darauf, gehört zu werden, wenn sie einmal in eigener Sache sprechen.Wenn heute im Parlament mit den Vorbereitungen zu einer weitgehenden Verwaltungsreform begonnen wird, steht gleichzeitig das Schicksal der Beamten zur Debatte. Der Apparat bleibt tot, solange ihn der Geist, der gute Wille und die Kraft der Menschen an den Schaltern nicht belebt. Der Staat braucht beides: den Apparat und die Menschen. Die Menschen aber müssen essen und einen freien Kopf haben, wenn sie sich in die Riemen legen sollen, um uns einem glücklicheren Gestade entgegenzurudern.

r. k. [i.e. Rudolf Kalmar jr.]: Die Beamten. In: Neues Österreich v. 3. Juni 1947, S. 1 f.