Pestnase

Zu sehen ist das bürokratisch verwendbare & bürgerkriegerisch determinierte, überdies adäquat durchseuchte Titelbild von (vermutlich) Abraham Bosse für den Leviathan von Thomas Hobbes (1651); beachten lässt sich u.a. gerade in obiger Abbildung die Zernierung der Stadt durch patrouillierende Soldaten – ein möglicher Grund für diese Maßnahme findet sich hier in der Mitte der unteren Bildkante, die Person rechts (wie der Kollege daneben im Original ca. 3 mm hoch) trägt eine Pestnase. Die Seuche ist in der Stadt. Bei Hobbes kommt diese bereits Jahre zuvor im Zusammenhang mit seiner Übersetzung des Thukydides (bei dem die Pest gleichbedeutend mit der Gesetzlosigkeit ist) vor, darauf bezieht sich dies durchaus – Bürgerkrieg und Seuche hängen sehr unmittelbar zusammen, gerade aus der Sicht eines Souveräns.

Siehe u.a. auch, neben »Stasis« von Agamben, etwa hier: Images of State and Stásis

Francesca Falk hat als vielleicht erste die beiden Figuren in dieser Bedeutung erkannt und im Zuge einer umfassenden Arbeit darauf hingewiesen (Eine gestische Geschichte der Grenze, 2011), womit wir es hier stets auch zu tun haben:

Das Frontispiz betont die kompakte Ganzheit und Abgeschlossenheit des Staatskörpers[.] Die Schnabelmasken unterlaufen aber gerade diese bildliche Suggestion einer totalen Inklusion. Sie erinnern an Selektionen und Exklusionen und sie bringen den Zusammenhang von Seuche, Sanität und Souveränität ins Bild. […] Seuchenpolitik war unter anderen Faktoren wichtig für die Ausbildung von Souveränität, für die Kontrolle gegen innen und aussen.

Ob ein Detail als trivial oder aufschlussreich gesehen wird, ist kontextabhängig. Dieser Kontext ist jedoch nicht gegeben, kann nicht vorausgesetzt werden, sondern muss geschaffen werden. In der hier vorgeschlagenen Sichtweise wurden die Schnabelmasken zum Schwer- und Drehpunkt der Interpretation. Als Wahrnehmungsfilter verändern sie die Sicht auf den dargestellten Staatskörper. Sie lenken den Blick auf die Gewaltsamkeit der Grenzziehung, die nötig war, um die souveräne Ganzheit und Abgeschlossenheit des Staatskörpers herzustellen. Die bildlich suggerierte inkorporierende Inklusion auf dem Frontispiz lässt diese biopolitischen Exklusionen auf den ersten Blick nicht erahnen. Der von den Schnabelmasken gelenkte Blick macht weiter den programmatischen Zusammenhang von Souveränität und Sanität sichtbar: Städtische bzw. staatliche Strukturen begannen sich u.a. oft im Krieg und im seuchenpolitischen Ausnahmezustand auszubilden.

Soldat, Sanitäter, Separation.

Man könnte sich fragen, weshalb 2020 mit halbautomatischen Waffen und Camouflage-Anzügen ausgerüstete SoldatInnen durch die Städte patrouillieren, um Ausgangsbeschränkungen zu überwachen. Das Frontispiz zu Hobbes’ Leviathan deutet hierzu die Möglichkeit einer Antwort an. Und auch dass im 21. Jahrhundert noch durchaus zwanghafte Überwachungsphantasien autoritärer Charaktere (wie aus der Maturaklasse 2004 gekreist) sich in einer »App« gebündelt finden sollen, wundert da nicht mehr.