Satzzeichen

Von Theodor W. Adorno, zuerst erschienen in Akzente (1956, 6. Heft), späterhin in Noten zur Literatur. Hier: GW 11.

Je weniger die Satzzeichen, isoliert genommen, Bedeutung oder Ausdruck tragen, je mehr sie in der Sprache den Gegenpol zu den Namen ausmachen, desto entschiedener gewinnt ein jegliches unter ihnen seinen physiognomischen Stellenwert, seinen eigenen Ausdruck, der zwar nicht zu trennen ist von der syntaktischen Funktion, aber doch keineswegs in ihr sich erschöpft. Die Erfahrung des Grünen Heinrich, der, nach dem großen deutschen P befragt, ausruft: das ist der Pumpernickel, gilt erst recht für die Figuren der Interpunktion. Gleicht nicht das Ausrufungszeichen dem drohend gehobenen Zeigefinger? Sind nicht Fragezeichen wie Blinklichter oder ein Augenaufschlag? Doppelpunkte sperren, Karl Kraus zufolge, den Mund auf: weh dem Schriftsteller, der sie nicht nahrhaft füttert. Das Semikolon erinnert optisch an einen herunterhängenden Schnauzbart; stärker noch empfinde ich seinen Wildgeschmack. Dummschlau und selbstzufrieden lecken die Anführungszeichen sich die Lippen.
Alle sind Verkehrssignale; am Ende wurden diese ihnen nachgebildet. Ausrufungszeichen sind rot, Doppelpunkte grün, Gedankenstriche befehlen stop. Aber es war der Irrtum der Georgeschule, sie darum mit Zeichen der Kommunikation zu verwechseln. Vielmehr sind es solche des Vortrags; sie dienen nicht beflissen dem Verkehr der Sprache mit dem Leser, sondern hieroglyphisch einem, der im Sprachinnern sich abspielt, auf ihren eigenen Bahnen. Überflüssig darum, sie als überflüssig einzusparen: dann verstecken sie sich bloß. Jeder Text, auch der dichtest gewobene, zitiert sie von sich aus, freundliche Geister, von deren körperloser Gegenwart der Sprachleib zehrt.
In keinem ihrer Elemente ist die Sprache so musikähnlich wie in den Satzzeichen. Komma und Punkt entsprechen dem Halb- und Ganzschluß. Ausrufungszeichen sind wie lautlose Beckenschläge, Fragezeichen Phrasenhebungen nach oben, Doppelpunkte Dominantseptimakkorde; und den Unterschied von Komma und Semikolon wird nur der recht fühlen, der das verschiedene Gewicht starker und schwacher Phrasierungen in der musikalischen Form wahrnimmt. Vielleicht ist aber die Idiosynkrasie gegen Satzzeichen, die vor fünfzig Jahren sich regte und der kein Aufmerksamer sich ganz entziehen wird, gar nicht so sehr Auflehnung gegen ein ornamentales Element, wie daß darin sich niederschlägt, wie heftig Musik und Sprache auseinanderstreben. Kaum jedoch wird man es für Zufall halten können, daß die Berührung der Musik mit sprachlichen Satzzeichen an das Schema der Tonalität gebunden war, das unterdessen zerfiel, und daß man die Mühe der neuen Musik recht wohl als eine um Satzzeichen ohne Tonalität darstellen könnte. Ist aber Musik gezwungen, in Satzzeichen das Bild ihrer Sprachähnlichkeit zu bewahren, so mag die Sprache ihrer Musikähnlichkeit nachhängen, indem sie den Satzzeichen mißtraut.
Der Unterschied zwischen dem griechischen Semikolon, jenem erhöhten Punkt, der der Stimme verwehren will, sich zu senken, und dem deutschen, das mit Punkt und Unterlänge die Senkung vollzieht und gleichwohl, indem es den Beistrich in sich aufnimmt, die Stimme in der Schwebe läßt, wahrhaft ein dialektisches Bild – dieser Unterschied scheint den zwischen der Antike und dem christlichen Zeitalter, der durchs Unendliche gebrochenen Endlichkeit, nachzuahmen; auf die Gefahr hin, daß das heute gebräuchliche griechische Zeichen erst von Humanisten des sechzehnten Jahrhunderts erfunden ward. In den Satzzeichen hat Geschichte sich sedimentiert, und sie ist es weit eher als Bedeutung oder grammatische Funktion, die aus jedem, erstarrt und mit leisem Schauder, herausblickt. Wenig fehlt darum, und man möchte für die wahren Satzzeichen nur die der deutschen Fraktur halten, deren graphisches Bild allegorische Züge bewahrt, und die der Antiqua für bloße säkularisierte Nachbilder.
Das geschichtliche Wesen der Satzzeichen kommt daran zutage, daß an ihnen genau das veraltet, was einmal modern war. Aufrufungszeichen sind unerträglich geworden als Gebärde der Autorität, mit der der Schriftsteller von außen her einen Nachdruck zu setzen versucht, den die Sache nicht selbst ausübt, während das musikalische Seitenstück zum Ausrufungszeichen, das Sforzato, heute noch so unentbehrlich ist wie zu Beethovens Zeiten, als es den Einbruch subjektiven Willens ins musikalische Gewebe markierte. Die Ausrufungszeichen aber sind zu Usurpatoren von Autorität, Beteuerungen der Wichtigkeit verkommen. Sie waren es indessen, die einmal die graphische Gestalt des deutschen Expressionismus prägten. Ihre Häufung lehnte sich gegen die Konvention auf und war Symptom der Ohnmacht zugleich, das Sprachgefüge von innen her zu verändern, an dem man stattdessen von außen rüttelte. Sie überleben als Male des Bruchs von Idee und Realisiertem aus jener Epoche, und ihre hilflose Beschwörung errettet sie in der Erinnerung: verzweifelte Schriftgebärde, die vergebens über die Sprache hinausmöchte. In ihr hat der Expressionismus sich verbrannt; mit den Ausrufungszeichen hat er die eigene Wirkung sich gutgeschrieben, und darum ist sie in ihnen verpufft. Sie gleichen, in expressionistischen Texten, heute den Millionenziffern auf Banknoten der deutschen Inflation.
Literarische Dilettanten sind daran kenntlich, daß sie alles miteinander verbinden wollen. Ihre Produkte haken die Sätze durch logische Partikeln ineinander, ohne daß die von jenen Partikeln behauptete logische Beziehung waltete. Wer nichts wahrhaft als Einheit zu denken vermag, dem ist alles unerträglich, was ans Brüchige, Abgesetzte mahnt; erst wer eines Ganzen mächtig ist, weiß um Zäsuren. Die aber lassen sich vom Gedankenstrich lernen. An ihm wird der Gedanke seines Fragmentcharakters inne. Nicht zufällig wird gerade dies Zeichen dort, wo es seinen Zweck erfüllt: wo es trennt, was Verbundenheit vortäuscht, im Zeitalter des fortschreitenden Sprachzerfalls vernachlässigt. Es hält nur noch dazu her, läppisch auf Überraschungen vorzubereiten, die eben dadurch keine mehr sind.
Der ernste Gedankenstrich: sein unübertroffener Meister in der deutschen Literatur des neunzehnten Jahrhunderts war Theodor Storm. Selten sind die Satzzeichen so tief dem Gehalt verschworen wie jene in seinen Novellen, stumme Linien in die Vergangenheit, Falten auf der Stirn der Texte. Die vortragende Stimme fällt mit ihnen in sorgenvolles Schweigen: die Zeit, die sie zwischen zwei Sätze einsprengen, ist eine des lastenden Erbes und hat, kahl und nackt zwischen den angezogenen Ereignissen, etwas vom Unheil des Naturzusammenhangs und von der Scham, daran zu rühren. So diskret versteckt sich der Mythos im neunzehnten Jahrhundert; er sucht Unterschlupf in der Typographie.
Zu den Verlusten, mit denen die Interpunktion am Sprachzerfall teilhat, rechnet der des schräggestellten Strichs, wie er etwa Verse einer Strophe voneinander sondert, die in einem Prosastück zitiert ist. Als Strophe gesetzt, zerrisse sie barbarisch das Sprachgewebe; einfach als Prosa gedruckt, machen Verse einen lächerlichen Effekt, weil Metron und Reim als kalauerhafter Zufall erscheinen; der moderne Gedankenstrich aber ist zu kraß, um zu leisten, was er in dergleichen Fällen leisten sollte. Die Fähigkeit, physiognomisch solche Differenzen wahrzunehmen, ist jedoch die Voraussetzung für jeglichen angemessenen Gebrauch der Satzzeichen.
Die drei Punkte, mit denen man in der Zeit des zur Stimmung kommerzialisierten Impressionismus Sätze bedeutungsvoll offen zu lassen liebte, suggerieren die Unendlichkeit von Gedanken und Assoziation, die eben der Schmock nicht hat, der sich darauf verlassen muß, durchs Schriftbild sie vorzuspiegeln. Reduziert man aber, wie die Georgeschule, jene den unendlichen Dezimalbrüchen der Arithmetik entwendeten Punkte auf die Zahl zwei, so meint man, die fiktive Unendlichkeit ungestraft weiter beanspruchen zu können, indem man, was dem eigenen Sinn nach unexakt sein will, als exakt drapiert. Der Interpunktion des unverschämten Schmocks ist die des verschämten nicht überlegen.
Anführungszeichen soll man nur dort verwenden, wo man etwas anführt, beim Zitat, allenfalls wo der Text von einem Wort, auf das er sich bezieht, sich distanzieren will. Als Mittel der Ironie sind sie zu verschmähen. Denn sie dispensieren den Schriftsteller von jenem Geist, dessen Anspruch der Ironie unabdingbar innewohnt, und freveln an deren eigenem Begriff, indem sie sie von der Sache trennen und das Urteil über diese als vorentschieden hinstellen. Die gehäuften ironischen Anführungszeichen bei Marx und Engels sind Schatten, welche das totalitäre Verfahren vorauswirft über ihre Schriften, die das Gegenteil meinten: der Samen, aus dem schließlich wurde, was Karl Kraus das Moskauderwelsch* nannte. Die Gleichgültigkeit gegen den sprachlichen Ausdruck, die in der mechanischen Überantwortung der Intention ans typographische Cliché sich kundgibt, weckt den Verdacht, es sei eben die Dialektik stillgestellt, die den Inhalt der Theorie ausmacht, und das Objekt werde ihr von oben her, verhandlungslos, subsumiert. Dort, wo es überhaupt etwas zu sagen gibt, weist allerorten Indifferenz gegenüber der literarischen Form auf Dogmatisierung des Inhalts. Der blinde Richtspruch der ironischen Anführungszeichen ist deren graphischer Gestus. 
Theodor Haecker erschrak mit Recht darüber, daß das Semikolon ausstirbt: er erkannte darin, daß keiner mehr eine Periode schreiben kann. Dazu gehört die Furcht vor seitenlangen Abschnitten, die vom Markt erzeugt ward; von dem Kunden, der sich nicht anstrengen will und dem erst die Redakteure und dann die Schriftsteller, um ihr Leben zu erwerben, sich anpaßten, bis sie am Ende der eigenen Anpassung Ideologien wie die der Luzidität, der sachlichen Härte, der gedrängten Präzision erfanden. Bei dieser Tendenz lassen aber Sprache und Sache nicht sich trennen. Durch das Opfer der Periode wird der Gedanke kurzatmig. Die Prosa wird auf den Protokollsatz, der Positivisten liebstes Kind, heruntergebracht, auf die bloße Registrierung der Tatsachen, und indem Syntax und Interpunktion des Rechts sich begeben, diese zu artikulieren, zu formen, Kritik an ihnen zu üben, schickt bereits die Sprache sich an, vor dem bloß Seienden zu kapitulieren, ehe nur der Gedanke Zeit hat, diese Kapitulation eifrig von sich aus ein zweites Mal zu vollziehen. Mit dem Verlust des Semikolons fängt es an, mit der Ratifizierung des Schwachsinns durch die von aller Zutat gereinigte Vernünftigkeit hört es auf.
Die Sensibilität des Schriftstellers in der Interpunktion bewährt sich in der Behandlung der Parenthesen. Der Vorsichtige wird dazu neigen, sie zwischen Gedankenstriche zu stellen und nicht in Klammern, denn die Klammer nimmt die Parenthese aus dem Satz ganz heraus, schafft gleichsam Enklaven, während doch nichts, was in guter Prosa vorkommt, dem Gesamtbau entbehrlich sein sollte; mit dem Zugeständnis solcher Entbehrlichkeit geben die Klammern stillschweigend den Anspruch auf die Integrität der sprachlichen Gestalt auf und kapitulieren vor der pedantischen Banausie. Dagegen halten die Gedankenstriche, welche die Parenthese aus dem Fluß herausstauen, ohne sie ins Gefängnis zu sperren, Beziehung und Distanz gleichermaßen fest. Aber wie das blinde Vertrauen auf ihre Kraft, das zu leisten, illusionär wäre, indem es vom bloßen Mittel erwartete, was einzig von Sprache und Sache selber geleistet werden kann, so läßt sich an der Alternative von Gedankenstrichen und Klammern entnehmen, wie hinfällig abstrakte Normen der Interpunktion sind. Proust, den keiner leicht einen Banausen nennen wird und dessen Pedanterie nichts ist als ein Aspekt seiner großartigen mikrologischen Kraft, hat unbedenklich mit Klammern gearbeitet, vermutlich, weil in den großen Perioden die Parenthesen so lang gerieten, daß ihre bloße Länge die Gedankenstriche annulliert hätte. Sie bedürfen festerer Dämme, um nicht die ganze Periode zu überfluten und jenes Chaos zu bereiten, dem jede dieser Perioden atemlos abgezwungen ward. Das Recht für den Proustschen Interpunktionsgebrauch liegt aber einzig beim Ansatz seines gesamten Romanwerkes: daß der Schein des Kontinuums der Erzählung durchbrochen wird, daß durch alle seine Fenster der asoziale Erzähler hineinzuklettern bereit ist, um den dunklen temps durée mit der Blendlaterne der gar nicht so unwillkürlichen Erinnerung zu beleuchten. Seine eingeklammerten Parenthesen, die wie das Schriftbild so den Vortrag unterbrechen, sind Denkmäler der Augenblicke, da der Autor, müde des ästhetischen Scheins und mißtrauisch gegen die Selbstgenügsamkeit der Vorgänge, die er doch ohnehin nur aus sich hervorspinnt, offen die Zügel ergreift.
Den Satzzeichen gegenüber befindet der Schriftsteller sich in permanenter Not; wäre man beim Schreiben seiner selbst ganz mächtig, man fühlte die Unmöglichkeit, je eines richtig zu setzen, und gäbe das Schreiben ganz auf. Denn die Anforderungen der Regeln der Interpunktion und des subjektiven Bedürfnisses von Logik und Ausdruck lassen sich nicht vereinen: in den Satzzeichen geht der Wechsel, den der Schreibende auf die Sprache zieht, zu Protest. Weder kann er den vielfach starren und groben Regeln sich anvertrauen, noch kann er sie ignorieren, wenn er nicht einer Art Eigenkleidung verfallen und durch die Pointierung des Unscheinbaren – und Unscheinbarkeit ist das Lebenselement der Interpunktion – deren Wesen verletzen will. Umgekehrt aber darf er, wenn er es ernst meint, nichts von dem, was er sucht, einem Allgemeinen opfern, mit dem kein Schreibender heute sich ganz und gar identisch fühlen kann und mit dem er sich überhaupt nur um den Preis des Archaisierens gleichzusetzen vermöchte. Jedesmal ist der Konflikt auszutragen, und man braucht viel Kraft oder viel Dummheit, um darüber nicht den Mut zu verlieren. Zu raten wäre allenfalls, man solle mit den Satzzeichen umgehen wie Musiker mit verbotenen Fortschreitungen der Harmonien und Stimmen. Einer jeden Interpunktion, wie einer jeden solchen Fortschreitung, läßt sich anmerken, ob sie eine Intention trägt oder bloß schlampt; und, subtiler, ob der subjektive Wille die Regel brutal durchbricht oder ob das wägende Gefühl sie behutsam mitdenkt und mitschwingen läßt, wo er sie suspendiert. Das wird sich besonders an den unscheinbarsten Zeichen erweisen, den Kommata, deren Beweglichkeit sich am ehesten dem Ausdruckswillen anschmiegt, die aber gerade in solcher Nähe zum Subjekt die Tücke des Objekts entfalten und besonders empfindlich werden mit Ansprüchen, die man ihnen kaum zutraut. Jedenfalls wird heute wohl der am besten fahren, der an die Regel: besser zuwenig als zuviel, sich hält. Denn die Satzzeichen, welche die Sprache artikulieren und damit die Schrift der Stimme anähneln, haben durch ihre logisch-semantische Verselbständigung von dieser doch gleich aller Schrift sich geschieden und geraten in Konflikt mit ihrem eigenen mimetischen Wesen. Davon sucht der asketische Gebrauch der Satzzeichen etwas gutzumachen. Jedes behutsam vermiedene Zeichen ist eine Reverenz, welche die Schrift dem Laut darbringt, den sie erstickt.

Theodor W. Adorno: Satzzeichen. In: Ders.: Noten zur Literatur Hg. v. Rolf Tiedemann. Frankfurt/M.: Suhrkamp 41989, S. 106–113
Satzzeichen in der Reihenfolge ihrer obigen Erwähnung;
›gesetzt‹ in der Sabon Jan Tschicholds (Version LT Pro).

* Anm.: »Moskauderwelsch« findet sich bei Karl Kraus nur einmal: Warum die Fackel nicht erscheint – Die Fackel, Heft 890-905 (Juli 1934), S. 49.


Frankreich, ca. 1900 | Lichtdruck