black box bureaucracy

Black box ist also ein Begriff, der sich auf die Beobachtung (und eventuell: Simulation) eines Systems durch ein anderes bezieht. Er bezeichnet keinen unabhängig von Beobachtung gegebenen Sachverhalt. Der Beobachtung liegt die Annahme zugrunde (die man aber nicht prüfen kann), daß die beobachteten Regelmäßigkeiten im Verhalten des beobachteten Systems auf undurchschaubare interne Kausalstrukturen zurückgehen. Jedes Teilsystem kann in bezug auf die anderen die wirklichen Sachverhalte selbst nicht weiter aufklären; es ist genötigt, sich mit Black-box-Beobachtungen zufriedenzugeben, und dies gilt vice versa, also in unserem Beispiel auch für die Einschätzung der Politik durch das Publikum.

Luhmann, Niklas (2020 [1981]) Bürokratie als Black box. In: Ders.: Schriften zur Organisation Bd. 4: Reform und Beratung. Hg. v. Ernst Lukas u. Veronika Tacke. Wiesbaden: Springer, S. 353–368, hier S. 353f. [Der Aufsatz in toto ist eine Montage der Herausgeber:innen, die Passagen wurden erstpubliziert in: Luhmann, Niklas: Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat. Analysen und Perspektiven. München, Wien 1981; Kap VII: Selbstbeobachtung, S. 50–56; Kap. XIV: Bürokratie, S. 103–111; Kap. XV: Verwaltungspolitische Rationalisierung: Organisation, Programme, Personal, S. 112–117.]

Von diesem Beobachtungs- und Benutzungswissen, das Teilsysteme, die wechselseitig füreinander black boxes sind, aneinander erproben und bewähren, mag dann eine stabilisierende Rückwirkung auf die Systeme ausgehen. […] Betrachtet man (beobachtet man!) an Hand dieses allgemeinen theoretischen Konzepts das differenzierte politische System, dann kann man gut erkennen, daß und wie sich Black-box-Verhältnisse, Beobachtungen und Einschätzungen zwischen den Teilsystemen Politik, Verwaltung und Publikum entwickeln. »Bürokratie« beispielsweise scheint einer von solchen Black-box-Begriffen zu sein, mit dem die Politik (weil sie meint, daß das Publikum dies schätze) sich die undurchsichtigen Interna des Verwaltungsgeschehens erklärt. (ibid., p. 354f.)

Die Bürokratie wächst und wächst und wächst – allein schon deshalb, weil der Wohlfahrtsstaat nur in den Bürokratien die Möglichkeit findet, Pflichten unterzubringen. Die alte, im Begriff des ius enthaltene Korrelativität von Rechten und Pflichten ist aufgelöst, und an ihre Stelle ist das Verhältnis von Bürger und Verwaltung getreten. Der Wohlfahrtsbürger nimmt nur noch Rechte in Anspruch (die aber mit Hilfe von Bürokratie konditioniert werden können), und alles Komplementärverhalten, das obligatorisch ablaufen muß, muß sich der Verpflichtung über (bezahlte) Mitgliedsrollen in Organisationen bedienen. Mit »Bürgerinitiativen« ist diese Disbalancierung nicht aufzulösen; sie wird, im Gegenteil, dadurch nur nochmals unterstrichen und verstärkt. (ibid., p. 358)

Man wehrt sich […] gegen die »Herrschaft der Ämter«. [Fußnote: In der fachsoziologischen Forschung sind der Organisationsbegriff und der Bürokratiebegriff vor allem durch Max Weber und im Anschluß an ihn unglücklich verquickt worden. Zur Rückführung auf gesellschaftstheoretische und gesellschaftspolitische Perspektiven vgl. Wolfgang Schluchter, Aspekte bürokratischer Herrschaft: Studien zur Interpretation der fortschreitenden Industriegesellschaft, München 1972.] Jede politische Kritik der Bürokratie bezieht sich aber auf ein selbst geschaffenes, selbst gewolltes, selbst bejahtes Phänomen. Sie muß deshalb zunächst auf eine gesellschaftstheoretische Reflexion zurückgeführt werden. (ibid., p. 359)

[D]aß die Politik die Verwaltung nur als black box, nur in verkürzender, pauschalierender Perspektive wahrnehmen kann und daß sie dadurch in Gefahr ist, die für sie maßgebenden Perspektiven – hier: die sogenannte Statusdifferenz von Beamten und Angestellten/Arbeitern und die daran anschließende Differenz der Interessenvertretungsorganisationen – für die Grundstruktur in der Sache selbst zu halten. (ibid., p. 367)


[E]ine Präzisierung des Begriffs der Bürokratie. Üblicherweise faßt dieser Begriff aus der Perspektive eines Beobachters ein ihm undurchsichtiges Amtsgeschehen zusammen. Bürokratie – das heißt »black box«, nämlich eine Art Regelmäßigkeit, die so komplex ist, daß sie sich der Einsicht entzieht. Man kann jedoch die Gründe für diese Komplexität genauer angeben, und damit kommt man über eine nur negative, nur die jeweils fremde Organisation treffende Begriffsfassung hinaus. Bürokratie bildet sich in allen Organisationen, sobald die Koordination der Entscheidungsprozesse sich nicht mehr aus der Sache selbst ergibt, sondern besondere Vorsorge erfordert. Dann werden die Entscheidungsspielräume nicht mehr nur durch ihren Gegenstand eingeschränkt, sondern außerdem auch dadurch, daß Entscheidungen wechselseitig füreinander Prämissen und Anschlußverhalten bereitstellen. Dafür mag dann eine zentrale Aggregation von Entscheidungen in der Form von Entscheidungsprämissen, Entscheidungsregeln, Entscheidungsmustern eine ebenso sachferne wie komplexitätsrationale Lösung anbieten. Aber man sollte nicht verkennen: Gerade wenn eine Organisation diese Form der Zentralisierung ablehnt und auf Demokratisierung und auf Autonomie ihrer Basisprozesse besteht, lastet dieses Netz reziproker Bedingtheiten um so stärker auf ihr, weil dann die Transparenz sehr viel geringer und die Zahl der Koordinationsentscheidungen sehr viel größer ist. Mit dem Verzicht auf komplexitätsadäquate Rationalität gewinnt man nichts weiter als komplexitätsadäquate Irrationalität.

Luhmann, Niklas (2020 [1981]: Zwei Quellen der Bürokratisierung in Hochschulen. In: Ders.: Schriften zur Organisation Bd. 4: Reform und Beratung. Hg. v. Ernst Lukas u. Veronika Tacke. Wiesbaden: Springer, S. 417–421, hier S. 420. [Hervorhebung PP]

Robert Fludd: Metaphysik und Natur- und Kunstgeschichte beider Welten, nämlich des Makro- und des Mikrokosmos (1617)