Der Bücherkoffer ist eine Kiste. Das war schon immer so. Da ich aus alten Schulen komme, ist meine medientechnische Flexibilität als ausgesprochen eingeschränkt zu bezeichnen. Eine ubiquitäre Konzentrationsfähigkeit, die sich auf elektronisch relevante Fingerfertigkeit erstreckt, ist mir nicht mitgegeben worden.
Lesen verbindet sich bei mir sehr unmittelbar mit Handhabung. Die Fingerspitzen brauchen die Haptik und eine Hand muss den Bleistift jederzeit führen können. Es gilt umzublättern. Deshalb konnte ich beim Lesen auch nie rauchen. Ich habe es natürlich probiert, doch eigentlich habe ich dann alle Hände voll zu tun, da kann ich nicht auch noch den Genuss der Tabakware beimengen. Oder jenen elektronischen Beiwerks.
Mit Roland Reuß, der in einem Buch des Wallstein-Verlags (der peu à peu eine sehr gute Reihe zur “Ästhetik des Buches” herausbringt) Paul Valéry zitiert, brauche ich eine “perfekte Lesemaschine” – und diese ist allein in Papierform an die Hand gegeben. Viele praktische Gründe (erfreulich mangelhafte Strom- und Netzabdeckung am Zielort, Bruchsicherheit des Buches vs. Selbstzerstörungsfreudigkeit eines Books mit “e-”, das daraus stets ableitbare Risiko des völligen Wegfalls von Lektüre bei Ausfall,… genug davon!) lassen sich dafür anführen, weshalb ich immer dann, wenn ich für einige Tage nicht in meiner kleinen Bibliothek oder bei meinem Buchhändler werde sein können, eine Auswahl an auf Papier gedruckten und sodann zu einem Buch gebundenen Zeilen mit mir führe. Zumeist nicht unter den von der UNESCO vorgeschriebenen 49 [! – dazu später] Seiten (“A book is a non-periodical printed publication of at least 49 pages, exclusive of the cover pages…”). Seiten, Blätter und Zeilen: gut gemachte Bücher verfügen über genug Platz für lesensnotwendige Notizen, Striche. Sie haben einen Satzspiegel (“Aurea prima sata est aetas…”), der klug berechnet und gesetzt ist, die Zeilen sind zur perfekten Lesbarkeit hin durchschossen und die Typografie ist von kundiger Hand gewählt worden. Gegen elektronisches Publikationsgut habe ich gar nichts (wenngleich ich angesichts der fortschreitenden Perfektionierung der Medienverbundmaschinen ahne, dass bis dato ungekannte Formen des Lesens und der Rezeption sich einstellen werden, die Ablenkungen und Verfügbarkeit von Anderem Teil dieses Lesens neueren Stils werden lassen – das ist wahrscheinlich gar nicht schlimm, nur eben anders), nutze es selbst immer wieder. Bloß wenn ich wegfahre, interessiert es mich nicht. Dann braucht es eben den Koffer, der eine Kiste sein wird.
Zumindest zwei der Belletristik im Wortsinn zuzurechnende Romane sind stets darin (aus erfindlichen Gründen immer einer aus dem 19. Jahrhundert), einige Kriminalromane, etwas Fachliteratur zu meinen Arbeitsgebieten und ein Band Lyrik. Weiters packe ich in diese Kiste zwei Bleistifte, einen Spitzer (gerne auch ein Federmesser; es ist schön anzusehen und passt zusammen mit den Bleistiften gut zum Papier), zwei Schreibblöcke in DIN lang (aus einer Druckerei meines Vertrauens und exakt so gefertigt, wie ich sie brauche: Munken Lynx, 100er Grammatur). Dies ist die Grundausstattung, die verbleibenden Plätze in der Kiste werden an jene Druckwerke verlost, die als Ungelesenes bzw. Angelesenes “vor dem Gesetz” an den dafür vorgesehenen Orten (Nachtkasten, Schreibtisch, Aktentasche) sich ablegen ließen. (Dies ist eigentlich sehr banal, so macht das doch jede und jeder, denke ich.)
Kurzum: Die Bücherkofferkiste für den Sommer 2015 ist – wie sich nun leicht folgern lassen wird – aufgrund der Ungewissheit, was ich bis zum Zeitpunkt der Abreise noch gelesen haben werde, bislang nur eingeschränkt vorherschreibbar; gewiss sind lediglich diese Bände (NB: Empfehlungen):
• “Horcynus Orca” von Stefano D’Arrigo, in der Übersetzung von Moshe Kahn (hebe ich gut originalplastifiziert bis dahin auf und habe noch keine Ahnung, ob dieses Monster sich mit der sirrenden Sonnenluft vertragen wird);
• “Moby-Dick” von Herman Melville (die Northwestern-Newberry Edition; Aufsätze zu den Kapiteln 69 und 38 sind zu schreiben und ich will über diese in Ruhe nachdenken können);
• “Ameisengesellschaften” von Niels Werber (ich schätze die Arbeiten von Niels ohnehin sehr und überdies braucht es die notwendige Fachliteratur zu systemischen Vergesellschaftungen, um der Fauna vor Ort die Referenz zu erweisen)
• “Was ist Dichtung?” von Jacques Derrida (bei Brinkmann & Bose, einem meiner drei Lieblingsverlage; eine viersprachige Ausgabe von 48 [! – s.o.] Seiten – und die Antwort auf die Frage ist wohl einfach die, dass Dichtung das ist, was man auswendig lernt; Derrida summt und raunt immer so nett, man muss das aber nicht ganz ernst nehmen);
• “Coppelius, Cagliostro und Napoleon” von Michael Rohrwasser (bei Stroemfeld, einem weiteren meiner drei Lieblingsverlage; ein Buch von Michael – lesen Sie unbedingt seinen Band “Freuds Lektüren”; etwas Besseres kriegen Sie zu dem Thema nicht in die Finger! – ist immer eine Herausforderung und ein Gewinn zugleich; und: ich habe noch ein wenig über E.T.A. Hoffmann nachzulesen);
• “Kulturmanöver. Das k.u.k. Kriegspressequartier und die Mobilisierung von Wort und Bild”, herausgegeben von Sema Colpan, Amália Kerekes etc. (weniger weil ich einen Beitrag darin stehen haben werde, sondern weil mich die Aufsätze zur Konferenz aus 2013 in Einem zu lesen interessiert; immer vorausgesetzt, dass der Bibliophilie nicht in sein Geschäftsmodell integrierende Lang-Verlag bis zu meinem Kistenpacken einen Druck zuwege bringt).
In meinen Koffer packe ich hingegen nur Sonnenbrille, Badehose, Pétanque-Kugeln, Espresso-Kanne, ein Kilo neapolitanischen Kaffee und … ein Buch. Ich reise gerne mit leichtem Gepäck, mithin Koffer und Kiste.
[Erstveröffentlichung: Philea’s Blog; 2015]