Bürokratie und Propaganda 1914–1918

Jeder Krieg hat seine Erzählungen, seine Lieder und seine Bilder. Und jeder, der Krieg betreibt, braucht derartige mediale Formen, um seine Narrative durchzusetzen. Natürlich änderten sich im Verlauf der Jahrtausende und Jahrhunderte neben den Waffensystemen die Informations- und Speicherformate; mit diesen Entwicklungen erfuhren auch Komplexität und Organisationsgrad der mehr oder weniger unmittelbaren Berichterstattung vom Krieg einen Wandel: zwischen der antiken Teichoskopie und der Manipulation von Information in Echtzeit liegen nicht wenige Kulturräume und -zeiten. So wie ›der Krieg‹ seine vermittelnden Darstellungsformen erfuhr, bedurfte er neben anlassgebenden Bezugssystemen, Vermögenswerten, Kriegern, Waffen, Bereitschaft zum Mord, Nachschub, Befehls- und Verständigungsketten als Parallelstruktur auch zumindest irgendeiner Form der Verwaltung, die Güter und Informationskanäle sicherstellte. Im Ersten Weltkrieg erfahren diese Anstrengungen und Erfahrungswerte, die über viele Jahrhunderte gesammelt wurden, eine bis dahin nicht gekannte Akkumulation an Kräften; es entsteht – teils aus reiner Notwendigkeit und Zufall und weniger aus strukturierter Planung heraus – eine völlig neue Form der Verschaltung von Handlungsfeldern und Subsystemen. So unterhielten etwa mit Fortdauer des Krieges bald alle kriegsführenden Mächte Informationssysteme und manipulierten die öffentliche Meinung nach Kräften. Am Beispiel des k.u.k. Kriegspressequartiers (der ersten Einrichtung dieser Art) [1] erweist sich exemplarisch, mit welcher Ahnungslosigkeit – und zugleich: umfassenden Wirkung – Medien erstmals, per Anordnung der Militärbürokratie, tatsächlich zu Medienverbünden verschaltet wurden. [2] Dabei konnte auf einer Verwaltung mit jahrhundertelanger Tradition und zugleich Entwicklung aufgesetzt werden – einem System der Bürokratie und des Interessensausgleichs, das längst auch sämtliche militärische Strukturen einschließlich ihrer Truppenkörper vereinnahmt hatte; da wie dort geht es wesentlich auch um Erregung, Impulskontrolle und Übertragung.

Eliten der österreichisch-ungarischen Bürokratie waren wesentlich und willentlich an der Auslösung des Ersten Weltkriegs beteiligt, weshalb Medien, Verwaltung sowie deren Schaltkreise schon umfassend zur Stelle waren, als der Krieg mit der Übertragung eines Telegramms aus dem »k. u. k. Hoftelegraphenamt« – in der Hofburg zwischen Amalienhof, Schauflergasse und Franzens Platz (heute Innerer Burghof) gelegen –, auf Veranlassung des »k. und k. Ministeriums des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern«, ein- und mehr als bloß die Monarchie unter Strom setzte.

Wenn »Implementierung« im Kittlerschen Sinn eine technische Lösung für eine definierte Aufgabe in einem vortechnischen Funktionszusammenhang bezeichnet (so hat es Rüdiger Campe zusammengefasst), so ist festzustellen: Das k.u.k. Kriegspressequartier lässt als Implementierungeiner verwaltungstechnischen Lösung für Aufgaben der Propaganda in einem vortechnischen Funktionszusammenhang sich ansehen. (D.h. auch: die Anordnung zur Propaganda für einen Krieg der Moderne unter den Bedingungen eines zwangsläufig gerade noch nicht elektronisch verschalteten Medienverbunds.)


[1] Von Juni bis Oktober 2014 wurde in Wien (Palais Porcia) von Bundeskanzleramt und Österreichischem Staatsarchiv eine Ausstellung gezeigt, die eine Vielzahl der recherchierbaren Fakten zusammentrug und zur Schau stellte: »›Extraausgabee –!‹ Die Medien und der Krieg 1914–1918« (Idee und Konzeption durch Verf.; Kuratierung durch Wolfgang Maderthaner). Vgl. hinsichtlich aktueller Aufarbeitungen des Verhältnisses von Medien und Krieg im Ersten Weltkrieg, allgemein sowie speziell hinsichtlich des k.u.k. Kriegspressequartiers, u.a.: Milka Car, Johann Georg Lughofer (Hg.): Repräsentationen des Ersten Weltkriegs in zentraleuropäischen Literaturen. Zagreb: Dominović 2016 (Zagreber Germanistische Beiträge 25); Sema Colpan et al. (Hg.): Kulturmanöver. Das k.u.k. Kriegspressequartier und die Mobilisierung von Wort und Bild. Frankfurt/M.: Peter Lang 2015; Niels Werber et al. (Hg.): Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart, Weimar: Metzler 2014 (für den vorliegenden Zusammenhang sei insb. auf Bernd Hüppauf: Medien des Krieges, S. 311–339 sowie Bernd Käser: Medienkultur: Entwürfe des Menschen, S. 434–447, verwiesen); Thomas Jander, Veit Didczuneit: Netze des Krieges. Kommunikation 1914–1918. Königswinter: Brandenburgisches Verlagshaus, Edition Lempertz 2014; Wolfgang Maderthaner, Michael Hochedlinger: Untergang einer Welt. Der Große Krieg 1914–1918 in Photographien und Texten. Wien: Brandstätter 2013; Jozo Džambo (Hg.): Musen an die Front! Schriftsteller und Künstler im Dienst der k.u.k. Kriegspropaganda 1914–1918. 2 Bde. München: Adalbert Stifter Verein 2003.

[2] Der Verf. geht von bislang fünf eigenen Beiträgen zum Themenkomplex ›Medienverbund Erster Weltkrieg‹ aus, auf die hier insofern verwiesen werden soll, da die dort je vorgetragenen Thesen, Daten, Zusammenhänge und Nachweise wesentliche Grundlagen für ho. zu Referierendes darstellen (einschließlich des Hinweises darauf, dass dieser Krieg – durchaus im Wortsinn – die Initialzündung der Digitalisierung darstellte); cf. für Detailangaben das Publikationsverzeichnis [.pdf]: Annotation, Bleistiftspur und Cetologie. In: Huber & Innerhofer 2016, S. 54–62 (insb. der Abschnitt »Verzettelter Gehirnphosphor«, S. 56–58); Der Medienverbund Kriegspressequartier und sein technoromantisches Abenteuer 1914–1918. Eine Auflösung. In: Car & Lughofer 2016, S. 255–270; Als die Bilder in den Krieg zu laufen lernten. Die Rolle des Films im Medienverbund des Kriegspressequartiers 1914–1918. In: Kieninger & Loacker & Wostry 2016, S. 363–377; »Extraausgabee –!« Vom Medienverbund k.u.k. Kriegspressequartier und seinem technoromantischen Abenteuer 1914–1918. In: Colpan et al. 2015, S. 355–369; Aktenzeichen MoE. Bürokratie und Krieg 1914–1918 In: Kerekes et al. 2018, S. 201–215.