Correspondenzkarte

Als am 7.8.1869 der cisleithanische Ministerrat (»VS. Taaffe; anw. Plener, Potocki, Giskra, Herbst; abw. Hasner, Brestel, Berger«) tagte, stand als Punkt 5 der Tagesordnung die »Einführung von Korrespondenzkarten im Postverkehr« zur Diskussion und Abstimmung an. Das Protokoll vermerkte dazu:

V. Der Handelsminister [i.e. Ignaz Plener; Anm.] gibt der Konferenz von seinem Vorhaben Kenntnis, bei der Post die sogenannten Korrespondenzkarten einzuführen, welche für kurze Mitteilungen benützt werden können und von der Postanstalt unversiegelt gegen Entrichtung des für Kreuzbandsendungen bestehenden geringen Portos von 2 Kreuzern vorläufig im Bereiche der österreichisch-ungarischen Monarchie zu befördern wären.
Diese Einrichtung stelle sich namentlich für den Geschäftsverkehr als sehr zweckmäßig dar, wo derlei kurze, keinerlei Geheimhaltung bedürftige Mitteilungen, wie z. B. Avisos über abgegangene oder eingetroffene Sendungen, häufig vorkommen.
Die Ausdehnung dieser, nach erzieltem Einvernehmen mit dem ungarischen Ministerium vorerst auf die Monarchie beschränkten Einrichtung auf andere Länder, mit welchen Postverträge bestehen, sei zu erwarten, nachdem schon jetzt Eröffnungen vorliegen, welchen zufolge man sowohl in der Schweiz als im Norddeutschem Bunde geneigt zu sein scheine, in dieser Richtung mit Österreich Vereinbarungen zu treffen.
Der Ministerrat erklärt sich mit dieser, als höchst zweckmäßig erkannten Maßregel einhellig einverstanden.
Rücksichtlich dessen, was die betreffenden Blätter, welche der Handelsminister zur Ansicht mitteilt, in [] zu enthalten hätten, wurde sich daher geeiniget, dass die projektierte Klausel [] der Nichtbeförderung offenbarer Unanständigkeiten oder Ehrenbeleidigungen insoferne überflüssig sei, als in dieser Beziehung die ohnedies bestehenden Postdirektiven, welche in der bezüglichen Kundmachungsverordnung noch speziell in Erinnerung gebracht werden könnten und daher die gedruckte Bemerkung auf den Blättern »Die Postanstalt übernimmt keine Verantwortung für den Inhalt der Mitteilungen« vollkommen genug wäre. Ebenso wurde es als überflüssig und als möglicherweise beirrend erkannt, dass auf den Blättern das Wort „Bestimmungsort“ gedruckt erscheine.
[…]
Wien, am 7. August 1869. Taaffe.
Ah. E. Ich habe den Inhalt dieses Protokolls zur Kenntnis genommen. Wien, 31. August 1869. Franz Joseph.

Nr. 249 Ministerrat, Wien, 7. August 1869 – sehr grundsätzlich sei an dieser Stelle auf die einschlägige Arbeit am Institut für Neuzeit- und Zeitgeschichteforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften verwiesen; hier wird mit der Digitalen Edition der Ministerratsprotokolle Österreichs und Österreich-Ungarns 1848–1918 an der sehr umfassenden Erstellung einer wesentlichen Quelle gearbeitet.

Am 7.8.1869 wurde also durch den österreichischen Ministerrat die Einführung der Correspondenzkarte (heute »Postkarte«; nähere Hinweise zu den Folgen der Etablierung dieses Medienkanals finden sich, Stand 4.10.2019, in der Wikipedia) beschlossen – & bereits damals wurden, wie sich unschwer nachlesen lässt, zahlreiche Fragen im Zusammenhang mit öffentlichen Medienkanälen gestellt, als wäre man schon im 21. Jahrhundert. (Es änderten sich seither die Mittel, die Geschwindigkeiten und die Publizitätspluralismen; doch die Zusammenhänge sind über 150 Jahre hinweg evident.)

Handelsminister Ignaz Plener erließ am 22.9.1869 die Verordnung zur Einführung und drei Tage später erfolgte die Publikation im Reichsgesetzblatt für das Kaisertum Oesterreich, damit erfuhr diese Innovation für die Medien- und Kommunikationsgeschichte ihre Gültigkeit in der Umsetzung ab dem 1.10.1869 – und es lohnt sich, wie beim MR-Protkoll, die Bestimmungen en detail zu lesen:

Jahrgang 1869.
Reichsgesetzblatt für das Kaisertum Oesterreich.
LXII. Stück. ― Ausgegeben und versendet am 25. September 1869.
[…]
148.
Verordnung des Handelsministeriums vom 22. September 1869,
betreffend die Einführung von Correspondenzkarten im internen Verkehre.

Im Einvernehmen mit dem König. ungarischen Handelsministerium werden vom 1. Oktober 1869 an, von der Postverwaltung Correspondenzkarten ausgegeben, mittelst welcher kurze schriftliche Mittheilungen nach allen Orten der österreichisch=ungarischen Monarchie ohne Unterschied der Entfernung gegen eine gleichmäßige Gebühr von zwei (2) Neukreuzer befördert werden können.
Hinsichtlich des Verschleißes, der Ausfertigung und Behandlung derselben werden folgende Bestimmungen festgesetzt:
1. Die gestämpelten Correspondenzkarten sind bei allen Postämtern und Briefmarkenverschleißern um den Preis  von zwei (2) Neukreuzer per Stück zu beziehen, und sind offen (ohne irgend welchen Verschluß) aufzugeben. 
2. Dieselben sind so wie Briefe mit einer deutlichen  Adresse zu versehen, welche den Vor= und Zunamen des Empfängers, den Bestimmungsort, und wenn sie nicht poste restante lauten, auch die Wohnung des Empfängers genau entnehmen lassen soll.
Der Bestimmungsort ist, falls mehrere Orte gleichen Namens bestehen, durch Beisetzung des Landes und Bezirkes, und wenn er nicht selbst Standort eines Postamtes ist, durch Beisetzung des Postamtes, in dessen Rayon er gehört, näher zu bezeichnen.
Die Adresse ist auf der Vorderseite der Karte anzubringen.
3. Die Rückseite der Karte ist für die schriftlichen Mittheilungen bestimmt.
Dieselben können, sowie die Adresse, mit Tinte, Bleistift, farbigem Stift u. s. w. geschrieben sein, doch ist für die Deutlichkeit und Dauerhaftigkeit der Schriftzüge Sorge zu tragen.
4. Die Karten können vorläufig nur nach Orten der österreichisch-ungarischen Monarchie versendet werden, und sind wie durch Marken frankirte Briefe aufzugeben.
Die Recommandation derselben kann gegen die gewöhnliche Recommandationsgebühr stattfinden, die Marke für die Recommandation ist auf der Rückseite neben den Worten: „Raum für schriftliche Mittheilungen“ aufzukleben.
5. Für die Nachsendung einer Correspondenzkarte an einen anderen als den auf der Adresse bezeichneten inländischen Ort, oder für die Rücksendung an den Aufgabeort wird eine weitere Gebühr nicht eingehoben.
6. Für die Zustellung der Karten ist an Orten, an welchen keine ärarischen Briefträger bestellt sind, die Zustellungsgebühr von einem (1) Neukreuzer zu entrichten.
7. Die Postanstalt übernimmt keine Verantwortlichkeit für den Inhalt der Mittheilungen.
Die Postämter sind jedoch angewiesen, in ähnlicher Weise, wie es bezüglich der Briefe mit unstatthaften Beisätzen auf der Adresse angeordnet ist, auch die Correspondenzkarten von der Beförderung, beziehungsweise Zustellung dann auszuschließen, wenn ihnen auffallen sollte, daß hiermit Unanständigkeiten, Ehrenbeleidigungen oder sonst strafbare Handlungen beabsichtigt werden.
8. Der Umtausch von Correspondenzkarten, welche vor ihrer Aufgabe durch Versehen oder Zufall unbrauchbar geworden sind, kann gegen Erlag des Betrages von 1 Neukreuzer in derselben Weise und unter denselben Bedingungen stattfinden, welche für den Umtausch verdorbener Briefcouverts festgesetzt sind.
Brestel m.p.

Weder der Minister noch der Ministerrat oder der Kaiser hatten die Korrespondenzkarte erfunden; sie hatten diese Idee jedoch aufgreifen und ausarbeiten lassen und ihr zur Serienreife verholfen.
Am 26.1.1869 war in der Neuen Freien Presse nach ausführlicherer Darstellung der Funktionsweisen eines solchen Kommunikationsbehelfs wie der Korrespondenzkarte zu lesen:

Wie groß wäre aber die Ersparniß an Briefpapier, Couverten, Schreibe- und Lese-Arbeit, wie groß wäre die Zeitersparniß bei einer solchen Einrichtung. Viele Benachrichtigungen müssen gegenwärtig unterbleiben, weil man die Ausgabe oder die Einbuße von ungefähr 15 bis 20 kr. scheut, welche ein Brief verursacht, oder weil Einen die einmal unentbehrlichen Floskeln, Aufschriften. Versicherungen der ungetheiltesten Hochachtung u. s. w. eines solchen Briefes anwidern.
Dies Alles bliebe weg, man könnte sich, wie man ja schon lange bei den Telegrammen zu thun gewohnt ist, auf die unumgänglich nothwendigen Ausdrücke beschranken. Wir besäßen in Bälde eine eigene Telegramm-Briefsprache, welche mit der Taciteischen kühn in die Schranken treten könnte. Und das Postgefälle würde nur gewinnen, denn nun würden statt der 33 Millionen Intimations-Briefe gewiß über 100 Millionen solcher Briefe jährlich gewechselt werden, und das Volk ersparte dabei doch einige Millionen Gulden alle Jahre an den Kosten des Schreibens und des Briefmateriales.
Möge man an maßgebender Stelle diesen gewiß nicht utopischen Vorschlag würdigen und in Oesterreich einmal den bevorzugten Nationen des Westens voranschreiten!
Dr. E. H―n. [i.E. Emanuel Hermann]

Emanuel Hermann: Über eine neue Art der Corrspondenz mittelst der Post. In: Neue Freie Presse v. 26.1.1869, S. 4

Querverweis: Claudia Öhlschläger hat für Microform (den Podcast des DFG-Graduiertenkollegs Literatur- und Wissensgeschichte kleiner Formen) einen Beitrag über die Ansichtspostkarte gestiftet, der auch die Correspondenzkarte und ihre medialen Bedingtheiten thematisiert. (Skript im .pdf.)