Staats-Tafeln

(Zit. nach Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Briefe und Schriften. 4. Reihe: Politische Schriften. 3. Band: 1677–1689. Hg. v. Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR. Berlin: Akademie Verlag 1986)

Gottfried Wilhelm Leibniz: Entwurff gewißer Staats-Tafeln (Frühjahr 1680)

Ich nenne Staats-Tafeln, eine schrifftliche kurze verfaßung des Kerns aller zu der Landes-Regierung gehörigen Nachrichtungen, so ein gewißes Land insonderheit betreffen, mit solchen Vortheil eingerichtet, daß der Hohe Landes-Herr alles darinn leicht finden[,] was er bey ieder begebenheit zu betrachten[,] auf einmal übersehen, und sich deßen als eines der beqvämsten instrumenten zu einer löblichen selbst-regirung bedienen könne.
Solche definition stückweise zu erklären, so muß es seyn eine Verfaßung, die nehmlich kurz und viel mit wenigen in sich faße und begreiffe. Schrifftlich, dieweil man nicht allezeit die dinge in Natura vor augen haben und besichtigen, auch nicht alles in Modelle bringen, oder abmahlen und vorbilden kan; so hat man auch nicht allezeit Leüte[,] bey denen man sich erkundigen könne oder gern erkundigen wolle, zumahl auf reisen und bei Kriegs- Expeditionen, wenn man von dem hoflager entfernet, und dann so können auch die Leüte so gefraget werden, nicht allemahl aus dem stegreiff von allem gründtlichen bericht geben, und sich der eigentlichen umbstände erinnern, und alle stücken, puncten, arten und geschlechte, schaden und nuzbarkeiten der dinge gleichsam auf den fingern hehr erzehlen[,] sondern es entfällt ihnen offt das beste und nöthigste; zu geschweigen ob sie sich allezeit gnugsam bemühen, und alles treülich eröfnen wollen.
Hierinn aber mus nichts begriffen seyn, als allein der Kern und ausbund; denn sonst würde das werck zu weitlaüfftig fallen, und weder füglich mit zu führen, noch beqvem zu gebrauchen oder wohl darinn nachzuschlagen seyn; was aber weitlaüfftiger ausgeführet werden muß, kan absonderlich beschrieben und niedergeleget, in seine numeros bracht[,] und aus diesem kurzen begriff dahin gewiesen und remittiret werden, wie dann in der that diese Staatstafel ein schlüßel seyn soll, aller Archiven und Registraturen des ganzen Landes, als deren Rubriken und Register also einzurichten, daß sie endtlich in diese Staatstafel als in ein centrum zusammen lauffen.

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Weilen nun diese Staatstafeln zu großer Herrn eignen gebrauch gemeinet, so folget, wie ferner in der definition enthalten, daß man vermittelst derselben alles darinn auff begebenden fall leicht finden können müße, maßen große Herrn weder zeit noch lust haben sich mit vielen nachsuchen zu bemühen; ja auch privat-personen finden bey sich, daß sie manche nüzliche dinge in ihrem hauswesen, und angelegenheiten unterlaßen, nur weil sie den verdruß des untersuchens nicht haben wollen, denn eine stete verdrüßligkeit will sich niemand gern aufbürden laßen, dieweil ieder man der wenigen zeit des Lebens gern in ruhe genießen will; dahin gegen wenn die sachen einmahl wohl gefaßet und leicht eingerichtet, auch utile dulci, der nuzen mit der lust, vermählet worden, kein verständiger so zartlich sein wird, daß er nicht etliche wenige zeit zu beßerer verrichtung seiner geschäffte, gern anwenden wolle. Nun ist gewiß, daß es in den meisten dingen der welt an rechten, inventariis mangle, und man offt wohl materi gnug, nicht aber die form, einrichtung, ordnung und zu nöthigen geschwinden fürfallenden gebrauch erforderte leichtigkeit habe, dadurch es dann geschicht, daß man alsdann erst die dinge zusammen suchen will, wenn man deren vonnöthen, da es auf das glück ankomt, ob man alles finden und nicht vielmehr das beste übersehen wird, zu geschweigen der unruhe und ungelegenheit die man bey solchen sachen hat; denn unserm gemüth ist nichts angenehmer, als wie man von dem Theseo im Cretischen Labyrinth fabuliret, einen gewißen faden an der Hand zu haben dem man sicher folget, hingegen nichts beschwehrlicher und schädtlicher, als ohngefehr gleich einem jagthund der die spuhr verlohren hin und hehr lauffen, auff guth glück, ob man wieder darauf kommen werde. Welchen allen durch richtige inventaria und Tafeln vorzukommen, dergleichen aber wenig vorhanden, indem ich verspühre, daß der vortheil wie rechte register und tafeln zu machen, noch nicht bekand, zumahlen gemeiniglich zweifel vorfället, wo ein iedes hingehöhret, und weis man offt über eine zeit sich in seine eigne, geschweige ander arbeit nicht zu finden, wo nicht sonderliche facilität bey dem werck gebrauchet worden.
Alles aber nicht allein leicht zu finden, sondern auch was zusammen gehöret, gleichsam in einen augenblick zu übersehen, ist ein weit größerer Vortheil, als der ins gemein bey inventariis anzutreffen, daher ich dieses werck Staatstafeln nenne, dann das ist das amt einer tafel, daß die Connexion der dinge sich darinn auf einmahl fürstellet, die sonst ohne mühsames nachsehen nicht zusammen zu bringen. Solchen Vortheil der tafeln findet man bey Land und Seekarten, bey abrißen, bey der Buchhalterkunst und wohlgefaßeten rechnungen, als welche ihre gewiße gleichsam Mathematische beständige Modell und form haben sollen, dadurch alles in die enge getrieben, und augenscheinlich oder handgreiflich gemacht wird. In Staats und Regirungs-Sachen aber hat man dergleichen noch nie versuchet, da doch daran am aller meisten gelegen. Was derowegen die Charten den seefahrenden und reisenden, die wohlgefasten Bücher und Kunst der Buchhalterey den Kaufleüten, die rechte analysis den studirenden vor liecht, leichtigkeit und vortheil bringen, das hätte ein Regent von diesen Staatstafeln zu gewarten.
Aus diesen nun, dafern es also bewerckstelliget würde, ist leicht abzunehmen, daß ein solches Werck eins der beqvemsten Instrumenten seyn würde, deren sich ein Herr zu erleichterung der löblichen selbst-regirung bedienen köndte, wie solches die lezten worthe der eingangs gesezten definition oder beschreibung mit sich bringen. Denn solche Instrumenta sind entweder viva oder muta, redend oder stumm, Personen oder schrifften, deren jene offt gefehrlich, kostbar, beschwehrlich, auch selten also wie man sie wündschet zu finden, und dann wegen Menschlicher schwachheit nimmer mehr allen Dingen also gewachsen seyn können, daß man nicht der Scripturen dabey vonnöthen hätte. Ists derowegen ja am besten und sichersten, daß man solche Scripturen als die ohne dem un-entbehr-lich wohl einrichte, und dergestalt aufs beste als immer thunlich faße, daß man allen müglichen Vortheil und Nuzen davon habe, weilen ja dieß eigentlich das absehen aller schrifften, daß denen Menschen die arbeit erleichtert, die wiederhohlung einmahl gethaner mühe erspahret, der schwachheit des gedächtnüßes geholffen, auch der Menschlichen unbeständigkeit und unrichtigkeit vorgebauet werde.

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Verweis: Staatswissen