Engelsmaschinen

Deutschland, etwa 1785. Nicht allein, dass Jean Paul damals ein satirisches Fragment, »[Menschen sind Maschinen der Engel]«,* verfasst und die von ihm zeitlebens stets neu aufgenommene Gedankenarbeit betr. Maschinen anstimmt, lässt sich der Lektüre des Textes auch die Frage nach den gefallenen Engeln unterlegen. Die erscheinen aber eh spätestens mit dem 20. Jahrhundert und darüber hinaus ins einschlägige Verfügungsrecht – Messerschalter und Maschinenmensch – eines Erbes gesetzt, auf das Leibniz und Newton bereits einzahlten. Benjamins Aviatiker, der »Engel der Geschichte«, wirkt dagegen deutlich untermotorisiert. Und seit Jean Paul/1797 wissen wir um die »Rede des toten Christus vom Weltgebäude herab, daß kein Gott sei« (was für ein »Blumenstück«!). Weshalb es ihn hier auch noch nicht gegeben haben wird. Was das mit den Menschen als Maschinen mit den Bürokrat:innen als Apparaten zu tun haben mag, sei dahingestellt. Und wer wären denn sodann die Engel?

Wenn wir sehr aufgekläret sein musten, um die stolze Einbildung aufzugeben, daß die ganze Welt blos unsertwegen existire und daß die Sterne in der That nichts anders als die messingen Himmelknöpfe wären, welche an der Himmelhaut der Kutsche oder Welt, die uns fähret, glänzten: so mag es noch weit mehr Erhellung unserer Köpfe bedürfen, eh’ wir uns bereden lassen, daß wir blos gewisser höherer Geschöpfe wegen hienieden leben, die wir Engel nennen und daß diese die wahren Bewohner dieser Erde, wir aber nur der Hausrath derselben sind. Inzwischen ist es meine Absicht, von diesem leztern Saz so gut als möglich Beweise darzulegen: ich wünsche wahrhaftig, daß eine Behauptung iedem einleuchte, die so sehr geschikt ist, unsere wahre Bestimmung ans Licht zu bringen, unserm Stolze zu gebieten und den Begrif vielleicht ein wenig zu erhöhen, den die Welt von mir hat.
     Die Thätigkeit, in der wir auf dieser Erde sind, die Handlungen, die wir zu Stande bringen, tragen insgesamt so wenig zu unserm Wole bei, daß man längst hätte zweifeln sollen, ob denn unsere Geschäftigkeit blos unsern eignen Absichten diene: wie augenscheinlich ist es, daß diese Ämsigkeit, die wider unser Glük anläuft, dem Glükke anderer Wesen fröhnet, deren Hände uns als Werkzeuge führen! Als ich vor einigen Jahren in meine Schreibtafel schrieb: »du kraftloser Schatte, armes Menschengeschlecht, in der Welt, wo du allein zu schalten wähnst, drängen und bewegen sich tausend unsichtbare Hände, welche die deinigen nur stat der Handschuhe gebrauchen!« so sah ich noch nicht ein, welch ein weiterer und wahrerer Sin in dieser Metapher liege! Denn es ist keine poetische Redensart, sondern kahle nakte Wahrheit, daß wir Menschen blosse Maschinen sind, deren sich höhere Wesen, denen diese Erde zum Wohnplatz beschieden worden, bedienen.
     Als die Engel unsere Erde zuerst betraten : so hatten sie noch bei weitem die unzähligen Menschenmaschinen nicht, zu denen sie sich iezt Glük wünschen können; nach und nach erst erfanden sie [bald] diese bald iene Maschine oder wie wir zu sagen pflegen, Menschen, bis almählig die Zahl ihrer Maschinen so heran wuchs, daß sie iezt für alle Bedürfnisse die herlichsten Maschinen oder Menschen zeigen.
     Ein Engel verfertigte auch, wiewol mehr der Seltenheit und des Vergnügens als des Nuzens wegen, herliche Schachmaschinen und ieder meiner Leser mus dergleichen Wesen gesehen haben, die das Schach, ohne das geringste Zuthun eines Engels, bloss durch einen Mechanismus, der in ihrem Kopfe angebracht ist, spielen können; sie bewegen den rechten Arm von selbst, sie schütteln sogar – das ist unerhört – den Kopf zu einem falschen Zuge des Gegners und thun, wenn der König schach mat ist, um alles in der Welt keinen Zug mehr. Der Leser wird leicht wahrnehmen, wie ähnlich diesen Schachmaschinen die bekante ist, die H. v. Kempele erfand und die man wol gar bewundert; ich glaube aber, es ist ausserordentlich leicht, etwas nachzumachen, wenn man ein volkommenes Model schon vor sich hat und den Ruhm einer Erfindung an sich zu reissen, wenn ein anderer ihn erworben. H. v. Kempele war so glüklich, sich an lebendige Schachmaschinen, die die Engel schon ganz ausgearbeitet hatten, halten und sie in der seinigen nachkopiren zu können, was Wunder, daß es ihm gerieth, da es ein Wunder gewesen wäre, hätte es ihm fehlgeschlagen. Demungeachtet bleibt auch immer ein gewaltiger Unterschied unter beiden Maschinen und das Werk des Engels sticht über das eines Menschen bei weitem hervor. Jenes besteht aus Fleisch und Blut – das Blut kan kein Chymiker nachmachen, dieses aus blossem Holz und einem Metalle.
     Die Engel waren es lange überdrüssig, s[elbst] zu beten; sie sahen wol alle ein, daß es einerlei wäre, ob man mit seiner eignen oder einer fremden Stimme, ob man mit seinen Sprachwerkzeugen oder mit einer andern Maschine betete; allein sie konten die Maschine [nicht] erfinden, die an ihrer stat betete. Endlich brachte einer – wiewol einige mehrere angeben und Leibniz und Newton streiten ‹zanken› noch um die Ehre des ersten Einfals – eine zusammen, die noch besser war als man sie verlanget hatte. Ein Engel, der beten wil, giebt blos dieser Maschine einen Stos, so fängt sie an, ein schönes Gebet abzutönen, das der Engel sich zurechnet. Ich wil übrigens damit nicht von den Kalmükken stilschweigends behaupten, daß sie die Erfindung der Betmaschine von den Engeln gestohlen: sie können gar wol auf denselben Einfal gerathen sein, ungeachtet er schon tausend Jahr in der Welt war, wie wir das Pulver erfanden, ungeachtet es die Sineser schon hatten. 

Vor einigen Jahren wurde von H. Changeux in Paris (Magazin des Buch- und Kunsthandels 12 St. 1780) der sogenante Barometrograph erfunden, der die Veränderungen der Schwere der Luft nicht blos wie ein gewöhnliches Barometer angiebt, sondern sie auch auf eine Woche lang Tag und Nacht aufschreibet: diese Maschine sol, wie es nur zu deutlich scheint, die Gelehrten brodlos und entbehrlich machen, die bisher die Buchhalter der Atmosphäre waren und von iedem Tage eine Biographie ausfertigten. Ich glaube aber schwerlich, daß der Barometrograph des Changeux den Barometrograph der Engel verdrängt. Denn diese Barometrographen, die sich von den Engeln herschreiben, – die Gelehrten – sind viel besser. Die Maschine des Ch. führet über die Veränderungen der Luft das Protokol nur 8 Tage lange; die Maschinen der Engel hingegen sezen diese Niederschriften so lange, als sie zusammengefügt verbleiben, fort und man hat Gelehrte aufzuweisen, die noch im achtzigsten Jahre d[em] Barometer nachschrieben. Dazu geben die Gelehrten – welches die [Maschinen des Ch.] offenbar nicht können – die Wetterbeobachtungen hernach in den Druk.
     Die Maschinen der Erde müssen fast alzeit den Maschinen der Engel den Vorrang lassen und man thut ienen nicht zu viel, wenn man behauptet, daß sie, so wie die Schönheiten der Erde nach Plato blosse Abdrükke der Schönheiten im Himmel sind, blosse Nachahmungen und schwache Kopien der Maschinen sind, die die Engel erdacht: ienes Frauenzimmer z. B., das Klavier [spielt], ist höchstens eine glükliche Kopie der weiblichen Maschinen, die das Klavier schlagen und die Töne mit Bewegungen begleiten, die offenbar Rührung zu verrathen scheinen.

Jean Paul: [Menschen sind Maschinen der Engel]. In: Ders.: Sämtliche Werke. Abteilung II: Jugendwerke und vermischte Schriften. Bd. 1. Hg. v. Norbert Miller. Frankfurt/M.: Zweitausendeins 21996, S. 1028–1031.


*Auf den Titel-Begriff gebracht von Eduard Berend. Das Fragment entstand etwa 1785.