Der Niederösterreichische Amtskalender teilt 1907 in den notwendigsten Auszügen mit, was Statthalter Erich Graf Kielmansegg 1903 im Entwurf zum Druck [!] beförderte, in einer zweiten Auflage 1905 als Leitfaden herausbrachte, als Feldversuch in einer Bezirkshauptmannschaft (Hollabrunn die erste) nach der anderen ausrollte, im Herbst 1906 in Form von sechs Vorträgen wesentlichen Proponenten der österreichischen Zentralstellen beibrachte und für die umstürzende Kanzleiordnung 1923 – unerwähnt – zum grundlegenden Vorbild wurde. So sehr die Amtsinstruction von 1855 (Bsp.) noch ihre fortlaufende Bedeutung gehabt haben wird, ist diese doch in Abwicklung begriffen. Papiere sind neu aufzusetzen, Paperwork ist anders zu organisieren, Arbeitsaufgaben werden anders verteilt und die Organisation der Ämter ändert sich wesentlich (dass dazu auch gehören wird, dass die Schreibtische und Arbeitsbehelfe Änderungen erfahren a.a.O.)
Zitiert wird (fett = fett, Sperrdruck; kursiv = kursiv):
Niederösterreichischer Amts-Kalender für das Jahr 1907 (XLII. Jahrgang). Mit einer genealogischen Stammtafel des Hauses Habsburg-Lothringen 1780–1906 und den Plänen des Zuschauerraumes der Wiener Theater. Mit Benützung amtlicher Quellen zusammengestellt. Wien 1907: In Kommission bei der k. k. Hof- und Staatsdruckerei, S. 913–915.
Dritter Teil.
Geschäftsnotizen.
I. Die neue Kanzleiordnung in Niederösterreich.
Im Jahre 1905 wurde, nach vorheriger mehrjähriger Erprobung, eine neue Kanzleiordnung bei der k. k. niederösterreichischen Statthalterei, den k. k. Bezirkshauptmannschaften, der Wiener Polizeidirektion und sämtlichen autonomen Behörden in Niederösterreich eingeführt, die sich als sehr praktisch und zweckentsprechend bewährt hat. Die Erfahrung steht heute fest, daß zufolge der neuen Einrichtungen die Vielschreiberei wesentlich, und zwar um ein Drittel (der geringere Papierverbrauch beweist es) eingeschränkt werden konnte und daß die Erledigung und Expedition des einzelnen Dienststückes im Durchschnitte nur mehr drei Tage, statt früher mindestens fünf, erfordert. Diese immerhin nicht geringen Erfolge für ein vereinfachtes und beschleunigtes Verfahren der Verwaltungsbehörden könnten aber noch besser werden, wenn sich das mit diesen Behörden in Berührung tretende Publikum sowie auch andere Ämter befleißigen würden, sich im Verkehre mit diesen niederösterreichischen Behörden den dort herrschenden Amtsformen in ihrer Korrespondenz, und zwar in ihrem eigenen Interesse an einem unaufgehaltenen Geschäftsverfahren, anzupassen.
Diese neuen Formen gemeinverständlich und in ihrem Zwecke darzustellen, ist die Aufgabe des vorliegenden Aufsatzes.
Die Kanzleiarbeiten (Manipulation) vollziehen sich in der Einlaufstelle, in den Kanzleiabteilungen, der Schreibstelle und der Abgangsstelle. Jede Geschäftsabteilung (Departement) hat ihre eigene Kanzlei (Kanzleiabteilung), während die Einlauf-, Schreib- und Abgangsstelle für das ganze Amt gemeinsam bestellt sind.
I. Die Einlaufstelle.
Alle mit der Post oder auf anderem Wege einlangenden Geschäftsstücke werden in der Einlaufstelle übernommen, dort mit dem Eingangsstempel (Präsentatum) versehen und sofort an die zuständige Kanzleiabteilung abgegeben, an die auch Parteien gewiesen werden, welche etwa Auskünfte in der Eingangsstelle suchen wollten. Der Eingangsvermerk, welcher das Datum des Einlangens trägt, wird unmittelbar unter die Unterschrift des Geschäftsstückes, in die Mitte des ganzen Blattes, gesetzt.
II. Die Kanzleiabteilungen.
Die für jedes Departement bei der Statthalterei oder für bestimmte Geschäftsgruppen bei den politischen Behörden I. Instanz und den andern Ämtern bestehenden Kanzleiabteilungen besorgen das Eintragen der einlangenden Geschäftsstücke in das Eingangsbuch und in das Nachschlagebuch, die Übergabe der bearbeiteten Dienststücke zur weiteren Abfertigung, die Evidenz dieser Stücke und der Fristen, endlich das Verwahren und Ausheben der abgefertigten Akten.
Die Kanzleiabteilungen werden bei der Statthalterei mit derselben römischen Ziffer bezeichnet, die das Departement führt.
Das Eingangsbuch ist derart eingerichtet, daß aus demselben sofort der Stand einer jeden Angelegenheit entnommen werden kann.
Das erste in einer Angelegenheit einlaufende Schriftstück erhält eine Geschäftszahl; alle später einlangenden, dieselbe Angelegenheit betreffenden Dienststücke erhalten die gleiche Geschäftszahl (Stammzahl), aber dann als Zusatz auch eine Ordnungsnummer, die mit 1 beginnend in ununterbrochener Reihenfolge läuft.
Im Eingangsbuche sind bei jeder Geschäftszahl in der Regel fünf Querspalten für weitere Einläufe der betreffenden Angelegenheit vorgesehen; reichen diese aber ausnahmsweise nicht aus, so wird für weitere Eingänge noch eine zweite, nötigenfalls auch eine dritte u. s. f. Geschäftszahl (Nachzahl) eröffnet und denselben die jeweilig nächstfolgende Ordnungsnummer beigesetzt.
Eine wesentliche Erleichterung für das Eintragen der Geschäftsstücke in das Eingangsbuch und das Nachschlagebuch bildet der sogenannte »Betreff«. Derselbe stellt sich als die kurze Inhaltsangabe des Dienststückes dar und ermöglicht eine sofortige Eintragung in das Eingangsbuch, ohne daß ein vorheriges Durchstudieren des Aktes nötig wäre. Ebenso kurz und bündig soll das Dienststück sofort auch in das Nachschlagebuch (Index) eingetragen werden können.
Der »Betreff«, welcher am Eingange der Eingabe, und zwar links oben unter Freilassung eines 3 cm breiten Randstreifens anzubringen ist, besteht aus der Angabe des Namens der Partei oder des Ortes, auf welche sich das Dienststück bezieht, und aus einem oder mehreren Schlagwörtern, die den Gegenstand der Eingabe am treffendsten bezeichnen; fehlen im konkreten Falle Personen- oder Ortsnamen, so besteht der »Betreff« nur aus den Schlagwörtern. Er soll die ganze Angelegenheit, vom Beginn bis zu ihrer endgültigen Erledigung sachlich bezeichnen, nicht aber deren Zwischenstadien. Darum sind im sogenannten »Betreff« Worte wie »bittet um«, »Gesuch«, »Rekurs« sorgfältig zu vermeiden. Denn dieser Betreff hat nur den Zweck, daß aus demselben sofort erkannt werde, zu welcher Angelegenheit das Dienststück gehört, und daß diese selbst im Eingangs- oder Nachschlagebuche leicht aufgefunden werden könne. Es wird aber keinem in Geschäften bewanderten Manne jemals einfallen, etwa unter dem Schlagworte »Bitte« oder »Rekurs« eine Angelegenheit suchen und finden zu wollen.
Der »Betreff« ersetzt das meist weitwendige sogenannte »Rubrum«, welches früher auf dem Rücken des Dienststückes halbbrüchig angebracht zu werden pflegte und welches nunmehr ausnahmslos wegzufallen hat.
Das »Rubrum« sowie das noch vielfach übliche Schreiben der Adresse am Fuße des Schriftstückes erschwert die Durchführung der sogenannten »fortlaufenden Schreibweise«. Diese wurde nämlich im Interesse der größeren Übersichtlichkeit der Verhandlungsschriften in Niederösterreich allgemein eingeführt. Sie besteht darin, daß die einzelnen Korrespondenzen einer Verhandlung in ununterbrochener Reihenfolge untereinander über die ganze Blattseite geschrieben werden. Demnach sind Eingaben an die Behörde in der Form anzufertigen, daß am Kopfe der ersten Blattseite der ganzen Breite des Papierbogens nach, der Name der einbringenden Person, Firma, Anstalt, des Vereines 2c. nebst Adresse, unter diesem links der »Betreff«, rechts das Datum und weiter unterhalb in der Mitte die Adresse jener Behörde, bei welcher die Eingabe eingebracht wird, geschrieben werde.
Wird sich bei einer Eingabe auf eine frühere Amtserledigung berufen, so hat dies niemals im Kontexte der Eingabe selbst, sondern durch einen lediglich Zahl und Datum angebenden Zusatz zum »Betreff« zu geschehen.
Um das Heften der Akten zu ermöglichen, empfiehlt es sich, wie bereits angedeutet, nächst der Faltestelle des Bogens (also bei der ersten und dritten Seite links, bei der zweiten und vierten Seite rechts) einen etwa 3 cm breiten Raum freizulassen, weil an dieser Stelle das Durchlochen und Heften der Akten erfolgt, wodurch dieselben dauernd in chronologische Reihenfolge und Buchform gebracht werden.
Folgende Beispiele mögen diese Winke erläutern:
Nach dem Eintragen der Geschäftsstücke in das Eingangsbuch werden denselben die etwa bezogenen oder vorhandenen Vorakten angeschlossen und sie durch den Amts- oder Departementsvorstand dem Konzeptsbeamten (Bearbeiter) übergeben.
Zur leichteren Auffindung der Akten für den Amtsgebrauch oder für den Fall einer sonstigen Nachfrage werden die Verhandlungen aus dem Eingangsbuche auch in ein besonderes Nachschlagebuch übertragen. Das Nachschlagebuch besteht aus einem nach dem (jedem Amte eigentümlichen) Geschäftsplane eingerichteten systematischen und einem alphabetischen Teile, so daß auch Angelegenheiten, welche nicht mit bestimmten Personen oder Ortsnamen im Zusammenhange stehen, leicht aufgefunden werden können.
Die konzeptiv bearbeiteten Dienststücke werden im Eingangsbuche als erledigt vorgemerkt (ausgetragen) und dann im Wege der Approbanten der Schreibstube übermittelt, wo das Reinschreiben der Erledigungen erfolgt.
In jeder Kanzleiabteilung befindet sich ein Fristen- und ein Registratursschrank; im ersteren werden nach Tagesmarken die befristeten und in letzterem die Akten über jene Verhandlungen verwahrt, welche bereits abgetan sind. Der Registratursschrank ist nach dem Geschäftsplane angelegt und ermöglicht das sofortige Auffinden eines jeden gewünschten Aktes.
Der Geschäftsplan ist die geordnete und möglichst vollständige Darstellung aller die politische Verwaltung betreffenden Angelegenheiten nach bestimmten Gruppen und Schlagworten. Es sei hier nochmals darauf hingewiesen, daß der zweckentsprechendste »Betreff« auf einer Eingabe oder Amtserledigung jener sein wird, der mit dem Schlagworte des Geschäftsplanes übereinstimmt und wo möglich nur dieses enthält, wie z. B.: »Gast- und Schankgewerbe«, »Gemeindewahl«, »Vereinsstatuten«, »Fremdländische Auszeichnung«, »Gnadengabe« u. s. w.
Der Geschäftsplan der Statthalterei ist in sechzehn Gruppen mit entsprechenden Abschnitten und Unterabschnitten eingeteilt, jene der einzelnen politischen Behörden erster Instanz sind ganz ähnlich angeordnet. Die Wiener Polizeidirektion hat ihren eigenen Geschäftsplan. Von dem Geschäftsplane erhalten die Kanzleiabteilungen Auszüge der in den Wirkungskreis ihrer Departements oder Geschäftsgruppen fallenden Agenden.
Vor der Hinterlegung der Akten in die Schränke müssen die Aktenblätter chronologisch aneinander gereiht und dann geheftet werden, damit eine Verhandlung leicht überblickt werden kann. Aus diesem Grunde wurde, wie schon erwähnt, in ganz Niederösterreich für den amtlichen Geschäftsverkehr die fortlaufende Schreibweise eingeführt und das sogenannte Indorsieren und halbbrüchige Schreiben, welches ein ewiges Blättern im Akte nach voraus oder nach rückwärts beim Lesen desselben erfordert, abgestellt.
Die Akten über alle laufenden Verhandlungen sowie auch abgetane der letzten Jahrgänge, werden in der Kanzleiabteilung verwahrt, um für Beamte und Parteien stets zur Hand zu sein. Ältere Akten werden dem Archiv übergeben.
Durch die neue Einrichtung der Dezentralisation des früheren Einreichungsprotokolles, des allgemeinen Index und der Registratur wurde eine wesentliche Vereinfachung und Beschleunigung des Geschäftsganges erzielt, weil alle Behelfe sich stets dort befinden, wo sie zur Aktenerledigung oder zur Auskunftserteilung an Parteien benötigt werden.
Die früher so zeitraubenden und oft die Arbeit behindernden zahlreichen Gänge der Konzeptsbeamten in die räumlich entfernte Zentralregistratur und das mühsame Aufsuchen der einzelnen Aktenstücke in dieser (nunmehr aufgelassenen) Registratur, deren Beamte außer Zusammenhang mit dem eigentlichen Dienste standen und daher des nötigen Überblickes über die laufenden Verhandlungen entbehrten, ist nun vermieden.
III. Die Schreibstube und die Abgangsstelle.
In der gemeinsamen Schreibstube werden alle von den Kanzleiabteilungen dahin abgegebenen Erledigungen (Konzepte) reingeschrieben.
Dieses Reinschreiben erfolgt gleichfalls über die ganze Breite des Papierbogens bei Freilassung eines etwa 3 cm breiten Raumes nächst der Faltestelle des Bogens (also bei der ersten und dritten Seite links und bei der zweiten und vierten Seite rechts), und unter Beobachtung der bereits oben angeführten Grundsätze für die Anbringung des Datums, Betreffs und der Adresse.
Die genaue in den Kanzleiabteilungen hergestellte Evidenz der einzelnen Verhandlungen hat es übrigens ermöglicht, daß sowohl bei der Statthalter als auch bei den politischen Behörden erster Instanz im Interesse der zu beschleunigenden Geschäftsabwicklung etwas mehr als ein Drittel aller Amtserledigungen »urschriftlich« d. h. ohne Anfertigung und Zurückbehalten eines Konzeptes erfolgt.
Diese Art von Erledigungen, sowie auch die in der Schreibstube ausgefertigten Reinschriften werden nach ihrer Unterfertigung mit dem zugehörigen Aktenhefte der Abgangstelle zur Abfertigung (Expedition) übergeben. Hierauf werden die zurückbleibenden Akten und Erledigungsentwürfe ohne jeden Aufschub wieder den zuständigen Kanzleiabteilungen zur Verwahrung übermittelt.
Über die Kanzleieinrichtungen bei den k. k. Bezirkshauptmannschaften findet sich Näheres in dem von der Statthalter in Druck gelegten »Amtsunterrichte für die Bezirkshauptmannschaften«, über jene der Wiener Polizei-Direktion im Amtsblatte der genannten Behörde.
Formell gilt für die Geschäftsführung aller k. k. Bezirkshauptmannschaften bis heute noch immer die »Verordnung der Minister des Innern und der Justiz vom 17. März 1855, RGBl. Nr. 52, womit die Amtsinstruktion für die rein politischen und für die gemischten Bezirks- und Stuhlrichterämter erlassen wurde«.
Die definitive Einführung der neuen Kanzleiordnung für die Bezirkshauptmannschaften ist noch ausständig.