Die Verantwortlichen für die Mobilisierungsinstruktion von 1909 konnten nicht absehen, was die Moderne der Nachkriegszeit, der 1920er Jahre, aus den vielfältigen Kunst- und Publikationsformen und ihren spezifischen Formaten machen würde. Doch die Aufbereitung des Feldes für veritable Medienverbundsysteme im heutigen Sinn ist wesentlich diesen 1910er Jahren, den Vorbereitungen für einen Kriegsfall sowie dessen Durchführung im Rahmen eines ›learning by doing‹ geschuldet. Am Anfang steht eine simple Planung, ein Verwaltungsakt. Man denkt noch, sehr einfach, an eine logistisch-administrative Verschaltung der damals solitär wahrgenommenen medialen Formate im Sinne einer Kooperation von Organisationseinheiten. Derartige Konstruktionen, Sinnsysteme und notwendigerweise Selektionskriterien, die je eigene Geschichten erzählen, erfahren im Zuge ihre Verschränkungen Reibungseffekte, es entstehen neue cluster und daraus resultierend Wahrnehmungsraster unterschiedlicher Quantität wie Qualität. Es kommt zu einem nicht bloß additiven Ensemble aus davor so nicht betriebenen Techniken, Praktiken und Diskursen. Dieses Dispositiv ist sich selbst intrinsisch und kann erst aus seinen jeweiligen Nutzungszusammenhängen heraus verständlich (gemacht) werden. Derartige Medienverbünde sind, anders gesagt, nicht allein die bloße Addition oder Kombination bestehender medialer Techniken, sondern stellen eine neue Form der systematischen Verbindung dar, die auch neue Effekte setzen, anders geartete und massentaugliche Kulturtechniken hervorbringen kann.
Am medienhistorischen Prototyp des k.u.k. Kriegspressequartiers (KPQ, cf. 1, 2, 3, 4, 5) lässt sich beobachten, wie eine derart systematische (militärisch-bürokratisch gelenkte) Engführung von medialen Formaten selbst zu einer Zeit funktioniert, in der die Verbindung einzelner Medien noch nicht wie bei Tonfilm, Fernsehen oder Internet (wenn dieses denn ein ›Medium› ist, was durchaus in Zweifel gezogen werden kann und hier allein aus Gründen der Allgemeinverständlichkeit stehen bleiben will) elektronisch erfolgte, sondern explizit eines Verwaltungsaktes bedurfte. Die Wirkung – einschließlich mancher Dysfunktionalität – ist durch Umstände wie Krieg und spezifische Propagandamaßnahmen von in Verwaltungstechnik, militärisch und kulturell geschulten (und oft auch erst auszubildenden) Medienoperateuren spezifisch beeinflusst. [1]
Technisch betrachtet stehen die Medien der 1910er Jahre zwar noch nicht im Zeichen eines tatsächlichen Verbundsystems; sie sind es jedoch bereits personell und in den Köpfen, sie sind es im Sinne eines Anforderungsprofils der kriegsführenden Monarchien und Republiken sowie deren jeweiliger Heeresführungen. Die Entwicklung des KPQ macht deutlich, dass die medialen Erfahrungen und Nutzungen der 1910er Jahre zu einem Propädeutikum der modernen Medienverbünde in der Zwischenkriegszeit wurden. Was seitens des Militärs nicht mehr für eigene Zwecke und auf unbestimmte Rechnungslegung hin usurpiert wird, erfährt nach dem Ersten Weltkrieg einen zivilen Massengebrauch mit kommerzieller wie künstlerisch orientierter Nutzung. [2] Aus der intensiven Nutzung medialer Möglichkeiten durch das Militär und seine publizistischen Einflussbereiche gehen zahlreiche im medialen Umgang versierte und geschulte (d.h. auch: überlebt habende) Proponenten in ein neu zu konsumierendes Zivilleben, d.h. auch: Verwaltungstätigkeit und Wirtschaftstreiberei, über.
Dass es nicht nur um eine neue Form plakativer Kunst, sondern letztlich auch um die Überführung der Unterhaltungsindustrie und des künftigen Heeresgerätes in die Bereiche der Röhrenverstärkung und binären Codierungen gegangen sein wird, dass die Erfahrungen aus dem Ersten Weltkrieg zwingend Vorbedingungen für die Entwicklung moderner Medienauffassung und Nachrichtenballistiken zu zeitigen vermochten, lässt sich exemplarisch für die USA zeigen. Die Gruppe von Mathematikern und Ingenieuren, die John von Neumann und andere (etwa in Princeton, am Institute for Advanced Study) aufbauten, kam zu einem nicht geringen Teil aus Kampfhandlungen und/oder zumindest der Kriegsforschung der Armee, hatte dort unterschiedlichste praktische Erfahrungen und Anforderungen gesammelt respektive bewältigt. [3]
Ähnliches lässt sich für die meisten derjenigen ansetzen, die aus Europa kommend diesen Kreis erweitern werden. Von ihren Funktionen im Ersten Weltkrieg ausgehend entwickelten Ingenieure, Mathematiker und Techniker die Anwendungen für Bomben, Signal- und Steuerungssysteme sowie die effektive Anschlussfähigkeit der unterschiedlich codierten Kanäle – und wie nebenbei eine digitale Revolution.Derartige Entwicklungen waren keineswegs auf die USA beschränkt. Die medialen und technischen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs wirkten sich aus; es kam zur flächendeckenden Bespielung der Bevölkerung mit einer vor 1914 kaum denkbaren, jedenfalls so nie erfahrenen Medienexplosion in Sachen Frequenz, Vielfalt, Angebot (bei gleichzeitig gelernter Fähigkeit zur Fokussierung auf Kernbotschaften und Optimierung von Medienkanälen). Hier wurden Inhalte, Möglichkeiten, technische Probleme und deren Lösungen, hier wurden in Permanenz Kulturtechniken vermittelt, angeeignet und verhandelt. [4]
Daraus resultierten neue Gewohnheiten, Routinen und Fertigkeiten des Umgangs mit komplexen Reizmustern. Das notwendige Konsumationsbedürfnis der Rezipienten war 1914–1918 hinreichend aufbereitet worden, v.a. an der ›Heimatfront‹, in den Feldkinos und bei denen, die mehr wollten als bloß eine »Extraausgabee –!« auf der Straße. Als das eigentliche Phänomen des KPQ ließe sich benennen: seine auf größtmögliche Wirkung für die gesamte Bevölkerung systemisch angelegte Verbindung verfügbarer Medien, die organisierte Verflechtung von Ereignishaftigkeit mit Transmissionsschienen und damit die propagandistische Beeinflussung dessen, was als Notwendigkeit des Krieges, als Überhöhung des ersten Krieges mit teils industriell-technologisch vorbereiteter Massentötung (Schützengraben, Giftgas, Tanks, Maschinengewehr etc.) deutlich zu machen befohlen war. Die klare Absicht umfassender Einflussnahme – die auch bedeutete, Geschichte zu machen, indem man diese für eine weitgehend alphabetisierte Bevölkerung mit höhergradiger medialer Erfahrung erzählen lässt –, der immense, durchgehaltene und mit den Jahren noch gesteigerte Organisationsgrad dieses Unterfangens sowie die gezielte Nutzung des (zu diesem Zeitpunkt erstmalig multimedial zu nennenden) Medienverbunds waren neu in der Geschichte. Dies ist vor dem Hintergrund des ersten großen Traumas der Moderne zu sehen; das KPQ begleitete mit und in seiner Arbeit einen sozialen und gesellschaftlichen wie politischen Umbruch ersten Grades, als dessen Markierungen eben auch Anfang und Ende der Einrichtung sich verstehen lassen.
Das KPQ war eine Retortengeburt der Militärverwaltung, seine Nährlösung wurde aus dem Geiste des Josefinismus und der Zeitläufte des 19. Jahrhunderts destilliert, geschaffen für einen Krieg im 20. Jahrhundert. [5] Doch weder hatte man von diesem Krieg auch nur die mindeste Vorstellung, noch vom 20. Jahrhundert. Aus dieser teils fast schon unbeabsichtigt sich ergebenden Mischung von militärischem Kontroll- nebst Größenwahn und verwaltender Medienintelligenz abseits eines Begriffs der Komplexitäten, an die man hier rührte, bezogen das KPQ und seine Strukturen ihre Bedeutung. Es wurde zusammenverordnet, was so (noch) nicht zusammenpassen konnte. Missverständnisse und Unverständnis konnten jedoch nicht verhindern, dass in diesen Institutionen eine Kulturgeschichte sowohl der Verwaltung als auch der Medien geschrieben wurde, wobei selbst und gerade in diesen verschrammten und (auch in Ermangelung einschlägiger Erfahrungen dieser Dimensionen) kognitiv nicht hinreichend geordneten Strukturen sich erwies, dass so etwas wie eine ganz eigene DNA diesem 20. Jahrhundert eingelagert war: Medien, Verbundsysteme, Verwaltungslogiken und die Erfahrung des ständigen Krieges.
Man glaubte an Leitmedien und kam nach viereinhalb Jahren im Medienverbund einer neuen Welt- und Kulturordnung wieder heraus. [6] In diesem Krieg und durch seine Institutionen wurden Millionen von Produzenten, Distribuenten und Konsumenten für ein Phänomen vorgebildet, das als Moderne der Zwischenkriegszeit Mediengeschichte machen sollte. Zeitungen, Plakate und Flugschriften, literarische Schriften, Fotos und Gemälde, der Film und auch die Klänge eines Orchesters oder eines patriotisch gesinnten Chors entwickelten in diesem Weltkrieg völlig neue Kommunikationsstränge und eröffneten Querverbindungen, Nachrichten veränderten sich technisch-prozessual und Ereigniszusammenhänge erhielten neue Farben, Schatten und Rahmen. Es gab daraus hervorgehend neue ›Stoffe‹, deren Erscheinungsformen ebenfalls mutierten; neue gesellschaftliche Effekte stellten sich ein. [7] Diese Veränderungen erwiesen sich als irreversibel. [8]
[1] Das KPQ erscheint als Medienverbundsystem ›avant une interconnexion électrique‹. Daraus notwendigerweise ableitbare Störungen (und davon gab es genug) werden dem AOK missfallen haben; aber es war mit seiner Etablierung eines Informationsdirigats – rein medienlogisch betrachtet – unweigerlich selbst Teil des Problems: »Im Kontrolldispositiv hat man es nicht mehr mit kommunizierenden Systemen zu tun, sondern mit operational geschlossenen Systemen, zu denen auch Kommunikation selber gehört.« (Bernhard Siegert: Passage des Digitalen. Zeichenpraktiken der neuzeitlichen Wissenschaften 1500-1900. Berlin: Brinkmann & Bose 2003, S. 384.)
[2] Zu nennen sind u.a. Einführung und Verbreitung des Tonfilms, Ausbau der Möglichkeiten des Radioempfangs und der Telefonie, neue Druck- und Distributionsverfahren für Tages- wie Wochenzeitungen, noch stärkere Engführung von Printprodukten und Fotoberichterstattung sowie Theorien zur Beeinflussung von Massen.
[3] »Die von John von Neumann rekrutierten Ingenieure griffen auf die Erfahrungen zurück, die sie während des Krieges als Radartechniker, Kartographen oder Flakschützen gesammelt hatten […].« (Dyson, George: Turings Kathedrale. Die Ursprünge des digitalen Zeitalters. Übers. v. Karl Heinz Siber. Berlin: Propyläen 2014, p.17) – Und bereits Norbert Wiener wird resümieren: »Für viele Jahre nach dem Ersten Weltkrieg […] ging die überwältigende Mehrzahl der bedeutenden amerikanischen Mathematiker aus den Reihen jener hervor, die die Disziplin des Schießplatzes [gemeint ist wesentlich die Ballistik-Gruppe auf dem Waffenerprobungsplatz in Aberdeen, Maryland; Anm.] durchlaufen hatten.« (zit. ebd., S. 41)
[4] Zu verweisen ist auf: Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Hgg. v. Niels Werber, Stefan Kaufmann, Lars Koch. Stuttgart, Weimar: Metzler 2014 (für den vorliegenden Zusammenhang sind insb. Hüppauf, Bernd: »Medien des Krieges«, S. 311–339 & Käser, Bernd: »Medienkultur: Entwürfe des Menschen«, S. 434–447, zu nennen).
[5] Dieser wurde verursacht. Christopher Clarks in zweistelligen Auflagen greifbares, mithin außerordentlich erfolgreich verkauftes Sachbuch Die Schlafwandler (Clark, Christopher: Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Übers. v. Norbert Juraschitz. DVA: München 2013) kann für sich reklamieren, auf die hohe Komplexität einschlägiger Erklärungsstränge des Verursachens hingewiesen zu haben. Und gewiss ist es für einen Bucherfolg 100 Jahre später nicht von Nachteil, wenn der Erste Weltkrieg als Vorbedingung für den Zweiten gewertet wird (der als noch monströser, industrieller und mörderischer sich einstufen lässt und chronologisch gesehen viel näherliegend gewaltige Schuldfragen aufwirft) und ganze Tätergruppen für die Auslösung des WK-Eins namhaft gemacht werden; mithin eh alle beteiligt waren. Nur stimmt das nicht. Es war zuvorderst in Österreich-Ungarn und dann Deutschland, wo man einen Krieg wollte und in ein »technoromantisches Abenteuer« (Karl Kraus: Das technoromantische Abenteuer. In: Die Fackel H. 474-483 v. Mai 1918, S. 41–45, hier S. 45) zu ziehen vorgab.
[6] Daraus folgt so etwas wie eine fortwährende, rasende Präsenz – und ergeben sich spezifische Sicht- und wohl auch Verhaltensweisen: »Was die Fließgeschwindigkeit der Gegenwart auf dem Weg in die Vergangenheit so sehr erhöhte, war die Dauerbeanspruchung des Bewußtseins durch die Kriegsnachrichten. Der Krieg hatte eine hektische Mobilmachung der Aufmerksamkeit bewirkt, die sich in den Friedenszeiten nach 1918 und 1945 nie wieder rückgängig machen ließ. In der mobilisierten Mediasphäre, in der wir seither leben, fällt das erst gestern, vorgestern Erlebte in einen so tiefen Brunnen der Vergangenheit, daß kein Beschwörer des Imperfekts es mehr hervorholen kann – es sei denn im Modus einer musealisierenden Reminiszenz.« (Sloterdijk, Peter: Zeilen und Tage. Notizen 2008-2011. Berlin: Suhrkamp 2014, S. 396) Dies hat natürlich für eine kriegsführende und dabei die mediale Lage beherrschende Macht große Vorteile, wenn es denn zutrifft: Misserfolge wird es nicht gegeben haben – und Erfolge erfahren eine Musealisierung eigenen Grades: Noli me tangere.
[7] Es änderten sich wesentlich die Sicht auf Gesellschaft und die (bis in die soziologische und biologische Fachliteratur hinein) zulässigen Modellerzählungen davon. Der Umbruch des Ersten Weltkriegs etabliert endgültig den Übergang vom Individuum zum Plural zum Schwarm (diesen literarisierten und in der Soziologie wie Entomologie angewandten Organisationsmodellen mit dezentralem Charakter – wie autonom agierende Stoßtrupps – bestehen lange bevor die Technik zu derartigen Vernetzungsleistungen effektiv in der Lage ist). Vor 1914 und noch während des Krieges gab der Bienenstock ein verbreitetes, als monarchisch dechiffrierbares Gesellschaftsmodell ab, nach 1918 übernahm diese Rolle der Ameisen- respektive Termitenstaat und der »Schwarm« machte Karriere bis in unsere Tage. Ein Beispiel wäre das sich stets bloß verteidigende Himmelsvolk (1915) der Biene Maja (1913) des – natürlich auch er ein Kriegsberichterstatter – Waldemar Bonsels (vgl. Viel, Bernhard: Der Honigsammler. Waldemar Bonsels, Vater der Biene Maja. Eine Biografie. Berlin: Matthes & Seitz 2015, S. 198: »Bonsels geht aus dem Krieg als Sieger hervor.«), während nach 1918 Ernst Jünger mit seinen Arbeitern und Termiten (bis hin zu den bereits kybernetischen Gläsernen Bienen 1957) reüssieren wird. Oder Maurice Maeterlinck: 1901 schreibt er über Das Leben der Bienen, 1926 Das Leben der Termiten und 1930 schließlich Das Leben der Ameisen. Vgl. dazu grundsätzlich Werber, Niels: Ameisengesellschaften. Eine Faszinationsgeschichte. Frankfurt/Main: S. Fischer 2013.
[8] Siehe auch Ameisenhaufen, Giftgase und Kampfflieger … von Bienen und Ameisen 1914–1918 ließ/e sich lernen.