Stichworte aus:
Friedrich Kittler: Kunst und Technik. Hg. v. René Stettler. Basel, Frankfurt/M.: Stroemfeld 1997
Querverweis auf Schiller und die Autonomiefrage:
Die Hauptwerke der Künste sind so autonom nicht, wie der gängige Kunstbegriff von Schiller bis Luhmann und auch die Theorie der Rückkopplungsschleifen es nahelegen. Nicht erst in ihrer Abhängigkeit von Auftraggebern oder Konsumenten, sondern schon in ihrer inneren Machart hängen die Werke von einem anderen ab, das buchstäblich keine Kunst ist.
ibid., S. 9
Algorithmen:
[W]as Algorithmen ausmacht: Erstens folgen die Schritte streng ge[–12]regelt aufeinander; zweitens müssen Bedingungen erfüllt sein, um bestimmte Folgeschritte zu erlauben; drittens sind oft wiederholte Schritte nicht ausformuliert, sondern als Schleife angeschrieben; vor allem aber bleibt offen, wie der Output des Algorithmus, seine phänomenale Kehrseite also, am Ende aussehen wird. [Der] vierte und entscheidende Punkt[, d]ie mediengeschichtliche Voraussetzung, […] war […] Gutenbergs Buchdruck. Als Kombination endlos reproduzierbarer Texte und endlos reproduzierbarer technischer Zeichnungen […], gab das gedruckte Buch die Basis ab, auf der Künste algorithmisch werden konnten.
ibid., S. 12ff.
Computer:
Computer sind also seit dem Zweiten Weltkrieg, als sie in technischen Medien implementiert wurden, mehr als informatische Theorie. Erst aus der oft unterschlagenen Kopplung dieser Theorie an eine nachrichtentechnische Praxis, die sich von der Elektronenröhre über den Transistor bis zur hochintegrierten Schaltung immer mehr beschleunigt hat, folgt alle Mobilmachung von heute. Seitdem ist nicht nur das Leben kurz, sondern auch die technische Kunst als Wahrnehmungssimulation in Echtzeit. Echtzeit aber (um es geschichtsphilosophisch-spekulativ zu sagen) schliesst die Neuzeit als solche ab. Denn die reellen Zahlen […] waren jahrhundertelang eher Problem als Lösung. [N]iemand war imstande, die Zahlen, auf denen unsere Kultur beruht, auch wirklich auszurechnen. Folglich haben nur verhinderte Selbstmörder ihr Leben an logarithmische Tafeln und nur staatliche Sklavenheere an trigonometrische, also ballistische Tafeln vergeudet. An ihre genaue Stelle sind […] alle Computer getreten.
ibid., S. 18f.
Rauschen:
Solche Rahmenbedingungen, die sich nachrichtentechnisch sämtlich auf Probleme des Frequenzspektrums und des Rauschanteils zurückführen lassen, sind zumindest für moderne Künste immer entscheidender geworden. Die Frage lautet daher nicht, was aus Kunstwerken im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit wird, sondern welchen Standards der Übertragung, Speicherung und Signalverarbeitung sie unterliegen.
ibid., S. 30
Digitalisierung:
Der Standard von heute – damit komme ich zum Schluss – heisst aber Digitalisierung. Zum wahrhaft erstenmal gibt es einen Code, der zwischen Zahlen und Buchstaben, Zahlen und Klängen, Zahlen und Bildern keinen Unterschied mehr macht. Im Prinzip können also alle Kunstwerke und alle Medien, die die Geschichte hervorgebracht hat, im Universalmedium Computer aufgehen, wie das für Radio und Fernsehen schon sehr absehbar ist. Aber gerade wenn Computer Universalmedien werden und der Begriff Multimedia mehr als ein Schlagwort sein soll, steht ihre Theorie vor Rätseln. Kein Algorithmus kann der Informatik automatisierte Antworten auf die Frage geben, welche Optik und welche Akustik eine optimale Benutzerschnittstelle hätte. Es lässt sich zwar vermuten, dass die rechteckigen Fenster, wie sie heute auf Computerbildschirmen vorherrschen, den Angriff Mandelbrots auf Euklid nicht mehr lange überleben werden. Aber welche Komplexität, welcher Kompromiss zwischen Ordnung und Rauschen dem heiklen Verkehr zwischen Menschen und Maschinen angemessen ist, steht dahin.
ibid., S. 32f.