Message Control

Im Herbst 1913, wir befinden uns natürlich in Musils 52. Kapitel des Mannes ohne Eigenschaften, stellt Sektionschef Tuzzi – gezielt Auskunft durch das ›Preßdepartment‹ verlangend – eine »Lücke im Betrieb seines Ministeriums« fest. Das »Pressedepartement« des »seine Sorge bildenden Ministeriums des Äußern und des Kaiserlichen Hauses« kann ihm jedoch keine Auskunft betreffend Paul Arnheim aka Walther Rathenau (dessen Mechanik des Geistes von 1913 Musil 1914 in der Anmerkung zu einer Metapsychik zerlegt) liefern, da es kein Evidenzbüro des Geistes und der Künste sei.

Bürokratiegeschichtlich ist daran unterhaltsam, dass als Resultat dieser Recherchen Tuzzis auch klar wird, welche Profession einschlägig geschulter Beamte hier fehle: Literatur- und Theaterexperten. »›Man kann dem Ministerium nicht einen ganzen Stab von Buch- und Theaterkritikern angliedern,‹ stellte Tuzzi lächelnd fest […]. ›In keinem Auswärtigen Amt der Welt macht man das‹ kam ihm der Pressechef zu Hilfe.« – In keinem, außer dem zu Wien. Dieses verfügte seit 1877 über die Organisationseinheit »Literarisches Büro« (dessen Agenden übernahm das Presse-Departement des Ministeriums des Äußern ab 1911), mit seinen Pressespiegeln, Archiven (in den Indices findet man übrigens weder »Arnheim« noch ›Rathenau‹) und Textproduktionen. Die hunderten heute im Haus-, Hof- und Staatarchiv liegenden Akten dieser Einrichtung zeigen zudem, welche Zeitungsherausgeber und Redakteure für Propaganda und gezielte Nachrichtenunterdrückung regelmäßig geschmiert wurden (allein Die Fackel und die Arbeiterzeitung sind nicht verzeichnet). Davon ein andermal mehr.

Am Ende – wir sind noch in Kapitel 52 – mag für Tuzzis Mechanik des Sektionschef-Geistes (dabei haben wir es mit einer Musil-Figur zu tun, die im tatsächlichen Leben 1913/14 der bürgerliche Sektionschef Rudolf Pogatscher (s. dazu u.a. hier, hier und hier) war, rechte Hand des Ministers Berchtold und einer der wesentlichsten Kriegstreiber für 1914) und seine Recherchen im »Ministerium des Äußern« – die nur zum Zweck haben, dass über Arnheim/Rathenau ein Faszikel angelegt und dieser zusätzlich unter Beobachtung gestellt wird – anzuwenden sein, was er als Wort Voltaires für diesen Arnheim als Vertreter des militärisch-industriellen Komplexes geltend macht:  

Er erinnerte sich an den Ausspruch Voltaires, daß die Menschen die Worte nur anwenden, um ihre Gedanken zu verbergen, und der Gedanken sich nur bedienen, um ihre Ungerechtigkeiten zu begründen. Gewiß, das war immer Diplomatie gewesen. Aber daß ein Mensch soviel sprach und schrieb wie Arnheim, um seine wahren Absichten hinter Worten zu verbergen, das beunruhigte ihn als etwas Neues, hinter das er kommen mußte. 

Musil, MoE, Kapitel 52

Es ist übrigens ausgerechnet ein Kapaun, der in Voltaires Dialogue du Chapon et de la Poularde (1763) diese Weisheit einer Masthenne eröffnet, kurz bevor beide geschlachtet werden. 

Kapaun, Masthenne und Schlachthof, verborgene Gedanken, Worte und Werke: Karl Kraus stellte (in Das technoromantische Abenteuer) 1918 fest, dass der »Kopfsturz der Menschenwürde von einem Gehirnbazillus verursacht« wurde. In der Fackel arbeitet er akribisch durch, wie die Heerscharen der Tinte klecksenden und Blei in die Setzmaschinen schießenden Puten, Kapaune und Engel von dero Gnaden der kaiserlichen und königlichen Message Control nebst dem per se korrupten Nachrichtengewerbe als Geschäftsmodell sich vereinigten zum gewinnbringenden Schlachtruf. Das Kriegspressequartier (cf. Eine Auflösung) wird pars pro toto dieses Modell institutionalisieren (und die gespenstischen Parasiten werden nach dem Ersten Weltkrieg schon sich für den nächsten herputzen). 1917 wird es übrigens das »Preßdepartment« inkorporiert haben – das, was nach dem Ersten Weltkrieg oberflächlich re-zivilisiert bis ins 21. Jahrhundert hinein der »Bundespressedienst« sein wird. Bürokratie und Propaganda kennen sich schon lange.

Damals wie heute gilt so etwas wie ›Message Control‹ als wesentliches Ziel, »denn sonst ließe sich nicht regieren« (s.u.); diese durchzusetzen geht in Wahrheit ganz einfach: mit finanziellen und organisatorischem Aufwand nebst ausreichend situationselastisch sich erweisenden Erfüllungsgehilfen. Ein schönes Beispiel dafür, wie wesentlich bereits vor dem Ersten Weltkrieg und dem tatsächlich erfolgenden Verschränken der Medien zu einem Verbund eine derart abgestimmte Politik erachtet wird (und nicht erst knapp 110 Jahre später), gibt ein Ministerratsprotokoll vom Dezember 1911, das in der Folge ausschnittsweise & ausführlich zitiert sei. Kaiser respektive König Franz Joseph höchstselbst krakelte an den Rand: »sehr wahr.«

Bevor nun zur Beschlußfassung über die übrigen Voranschläge geschritten wird, erbittet sich der kgl. ung. Ministerpräsident das Wort. Er müsse, sagt er eingangs seiner Rede, so ungeme er es tue, eine Frage aufwerfen, die im Zusammenhänge mit den Erscheinungen der letzten Woche stehe, einerseits weil sich die Presse derselben bemächtigt habe, andererseits aber deshalb, weil sie nicht nur keinen fördernden Einfluß auf das harmonische Zusammenwirken der drei Regierungen ausübe, sondern bedauerlicherweise das gerade Gegenteil hervorrufe. Er wolle ganz offen sprechen. Im Kriegsministerium sei ein Preßbureau errichtet worden,* dessen Enunziationen nicht sehr glücklich sind und in Ungarn höchst nachteilig auf die öffentliche Meinung wirken, wo doch gerade alles geschehen sollte, um die Störung der Harmonie zu vermeiden. So könne man nicht regieren. Die Position aller Regierungen werde durch ein derartiges Vorgehen erschüttert, eine Konsequenz von der die Leute keine Ahnung haben. Die Errichtung eines separaten Preßbureaus im Kriegsministerium sei nicht vorteilhaft und auch nicht notwendig. Begreiflich sei es, daß jedes Ministerium ein Interesse habe, von den Publikationen der Presse Kenntnis zu erhalten, eventuell selbst Informationen zu erteilen. Dazu genüge aber ein Preßbureau, im vorliegenden Falle jenes des Ministeriums des Äußern, das wohlorganisiert sei und aus Fachleuten bestünde, die wissen, wie man sich mit den Journalisten zu stellen habe. Durch dieses müsse der Kontakt des Kriegsministeriums mit der Presse erfolgen. Er gestehe ganz aufrichtig, daß er ein zweites Preßbureau d. h. ein eigenes eines Ministeriums außer dem seinigen nicht dulden würde. Solange ein solches besteht, wird man immer Gefahr laufen, daß derartige Konsequenzen hervorgerufen werden. Es wäre daher sehr wünschenswert, daß die Ursache dieser bösen Erscheinung baldigst wieder verschwinde. Das Communique über den Rücktritt des Chefs des Generalstabes** habe die ungarische Presse so völlig außer Rand und Band gebracht, daß sie nicht zu bändigen war und ist. Die ganze Sache wäre ohne diese Enunziation sehr ruhig verlaufen. Natürlich setze er voraus, daß diese Verlautbarungen tatsächlich von diesem Preßbureau stammen, wie es in der Presse behauptet und nicht dementiert wurde. 
Die Harmonie zwischen den Regierungen und den Ministem ist unbedingt nötig, denn sonst ließe sich nicht regieren, wie er bereits ausgeführt habe. 
Der Kriegsminister erwidert hierauf, daß sein Preßbureau eigentlich ein literarisches Bureau sei. Zu einem Preßbureau gehöre ein Preßfonds, den habe wohl das Ministerium des Äußern, er aber nicht. Daß sein Bureau Politik mache, sei ausgeschlossen. Es habe zwei Aufgaben, erstens die Tagesereignisse zu registrieren, so weit sie die in den Blättern enthaltenen militärischen Dinge betreffen und zweitens Verlautbarungen innerhalb der Armee vorzunehmen, um gewisse Erläuterungen zu geben. Mehr zu tun, sei es gar nicht in der Lage. Er gebe zu, daß das erste Communique, welches vollkommen harmlos gewesen sei, von ihm beeinflußt wurde, weil die plötzliche Zurückstellung des Chefs des Generalstabes in der Armee den peinlichsten Eindruck hervorrief. Er wollte nur kalmierend wirken, sonst aber keinen Einfluß nehmen. 
Der kgl. ung. Ministerpräsident entgegnet hierauf, er begreife wohl, daß man die Erscheinungen in der Presse verfolgen und gewisse Aufklärungen geben müsse, aber man dürfe keine Kritik üben. Daß die erwähnten Emanationen nicht sehr glücklich waren, beweise der Umschwung in der Presse. Eine Diskussion sei angegangen und werde nicht aufhören, weil diese Frage große Beunruhigung hervorgerufen. Es hätte sich kein Mensch den Kopf darüber zerbrochen und jeder hätte es begreiflich gefunden, daß Baron Conrad sich jetzt ein anderes Feld der Tätigkeit suche. So aber stehen wir vor langatmigen Auseinandersetzungen über die von ihm vertretenen Ansichten, derentwegen er zurücktrat, was wirklich sehr unangenehm sei. Der Vorsitzende bespricht die Stellungnahme des Grafen Khuen in der Frage der jüngsten Preßenunziationen, für die er ihm überaus dankbar sei und welcher er unbedingt beipflichte. Er sei gleichfalls der Meinung, daß das ein unmöglicher Zustand ist, wenn von einem gemeinsamen Minister ein Communique ohne Wissen der anderen Minister, speziell ohne jenes des Ministers des kaiserlichen und königlichen Hauses und des Äußern lanciert werde. 
Sofort wie er gehört habe, daß Se. Majestät den Baron Conrad seiner Stelle enthoben habe, besprach er die Sache mit beiden Regierungen wegen eventueller Erlassung einer orientierenden Verlautbarung, es sei aber zu spät gewesen. Das erste, was er von seinem Kollegen dem Kriegsminister erwartete und erwarten mußte, war, daß er sich an ihn wende. Das ist aber nicht geschehen. Er wäre ihm selbstverständlich in konziliantester Weise entgegengekommen. 
Er wäre nicht in der Lage, an der Spitze der kaiserlichen und königlichen Regierung zu bleiben, wenn es weiter möglich sein sollte, daß Communiques eines gemeinsamen Ministers ohne seine vorherige Zustimmung erscheinen. In dieser Beziehung verweise er auf das harmonische Zusammengehen der kaiserlichen und königlichen Regierung mit den beiden Regierungen, das in solchem Belange geradezu selbstverständlich sei. 
Er werde sich bezüglich des weiteren Vorgehens mit dem Kriegsminister ins Benehmen setzen, möchte aber noch bemerken, daß es entschieden besser wäre, wenn die militärischen Kreise weniger mit der Feder tätig sind.*** 
Der Kriegsminister führt aus, daß er um 11 Uhr vormittags von der Enthebung verständigt wurde mit der Weisung, die Sache in keiner Weise zu erwähnen, weil Se. Majestät wünsche, daß dieselbe noch ein bis zwei Tage hinausgezogen werde. Er habe tatsächlich mit niemanden, nicht einmal mit seinem Präsidialchef davon gesprochen. Zu seinem Erstaunen brachten schon die nächsten Morgenblätter die Sache. Da habe er es für notwendig erachtet, wegen der Stimmung in der Armee eine Mitteilung an die Presse gelangen zu lassen. Er werde sich übrigens dem geäußerten Wunsche akkommodieren und möchte nur hinzufugen, daß, was sonst noch in den Zeitungen stand, nicht von ihm oder seinem Preßbureau stamme. Es wurde auch das Ausgeben eines Dementis eingehend erwogen, jedoch aus dem Grunde unterlassen, weil er der vermutlich richtigen Anschauung wäre, daß jegliche weitere Enunziation, die teilweise fingierte Erregung der Presse steigern würde, da schließlich das korrekteste Dementi noch immer Gelegenheit zu Nörgeleien geben kann, für denjenigen, der solche hervorrufen will. 
Der Kriegsminister bezieht sich auf verschiedene Artikel, die angeblich von einem hohen General herrühren, bedauert, daß er als kriegslustig bezeichnet werde, wo er doch behaupte, daß wir nicht kriegsbereit seien. Allen diesen Artikeln stehe er fremd gegenüber. 
Der Vorsitzende und Graf Khuen bemängeln nochmals, daß kein Dementi darüber erfolgte, daß die weiteren Verlautbarungen aus dem Kriegsministerium stammen, wobei ersterer [Aehrenthal] wiederholt als einziges Mittel zur Verhütung derartiger Vorkommnisse das Einvernehmen bezeichnet, das ein gemeinsamer Minister mit den anderen beziehungsweise mit dem Minister des Äußern pflegen muß, während letzterer [Khuen-Hederváry] betont, daß, wie er schon erwähnt habe, ein Preßbureau aus Fachleuten bestehen müsse, welche die Art und Weise der Behandlung solcher Dinge verstehen, was man von Offizieren nicht verlangen könne. Daher sei das Preßbureau des Kriegsministeriums überflüssig, jenes des Ministeriums des Äußern genüge. Man sei, wenn man sich in solchen Dingen nicht auskenne, à la merci von Leuten, die uns allen zusammen nicht wohlwollen. Er danke dem Kriegsminister für seine Aufklärung. Wenn ein Mißverständnis vorlag, lag es darin, daß kein Dementi erfolgte über Publikationen, die als vom Kriegsministerium ausgehend bezeichnet wurden und Differenzen zwischen zwei gemeinsamen Ministern an die große Glocke brachten.**** 

Protokoll des zu Wien am 6. Dezember 1911 abgehaltenen Ministerrates für gemeinsame Angelegenheiten unter dem Vorsitze des k. u. k. gemeinsamen Ministers des Äußern Grafen Aehrenthal. 
Gegenwärtige: der k. k. Ministerpräsident Graf Stürgkh, der kgl. ung. Ministerpräsident Graf Khuen-Héderváry, der k. u. k. gemeinsame Finanzminister Freiherr v. Burián, der k. u. k. Kriegsminister GdI. Ritter v. Auffenberg, der k. k. Finanzminister Ritter v. Zaleski, der kgl. ung. Finanzminister Dr. v. Lukács, der k. u. k. Marinekommandant und Chef des Kriegsministeriums, Marinesektion, Admiral Graf Montecuccoli.
Protokollführer: Hof- und Ministerialrat v. Günther.

Gegenstand: Das gemeinsame Budget für das Jahr 1912. 
Aktenzahl: KZ. 88 – GMKPZ. 490

Quelle: Die Ministerratsprotokolle 1848–1918 (ÖAW)

* Ende Oktober 1911 wurde die Gruppe für Preßangelegenheiten durch die Errichtung einer Literarischen Gruppe zum Preßbureau erweitert. Siehe dazu das Schreiben Krobatins an die Preßgruppe v. 30. 10. 1911, mit dem diese über die Zuweisung von Räumlichkeiten für die Literarische Gruppe informiert wurde, KA., KM., Präs., Preßgruppe, Karton 2720, 399/PG./1911. Siehe auch Auffenberg, Österreichs Höhe und Niedergang 163. 

** Es handelte sich vermutlich um das Kommunique der Militärkanzlei Franz Ferdinands, für das aber Auffenberg zur Schonung des Thronfolgers die Verantwortung übernahm, Auffenberg, Österreichs Höhe und Niedergang 172. Zu den Auswirkungen des Kommuniques in den ungarischen Zeitungen siehe Ka., KM., Präs., Preßgruppe, Karton 2720, 448/I/PG./1911. 

*** Randbemerkung Franz Josephs: »sehr wahr.«

**** Siehe dazu den Immediatvortrag Aehrenthals v. 20. 12. 1911, HHStA., PA. I, CdM. XI/60, Z. 550/1911.


KPQ-Standort Dukla, 1914.