Tagung/Workshop – Wien, 12. & 13.12.2019
Moderne Verwaltungen sind für ihr Funktionieren auf Regelhaftigkeit und Berechenbarkeit angewiesen, wie es Max Weber idealtypisch beschrieb. Diese strukturellen Eigenschaften stehen in einem Spannungsverhältnis zur Einführung von Neuerungen. Trotzdem haben sich administrative Strukturen immer wieder neuen Anforderungen angepasst und waren bzw. sind Gegenstand zahlreicher Reformen. Mit diesem scheinbaren Paradoxon wird sich die hiermit anzuzeigende Tagung im Format eines Workshops aus u.a. historischer Perspektive auseinandersetzen und das Verhältnis zwischen Bürokratie und Innovation aus einer neuen Perspektive in den Blick nehmen.
Befördert wird der Dialog zwischen Geisteswissenschaftler*innen und Angestellten im öffentlichen Dienst. Einerseits kann die Kulturgeschichte der Verwaltung durch die Erforschung vergangener Reformvorhaben Erkenntnisse für aktuelle Debatten bieten. Andererseits können öffentlich Bedienstete Einblicke in die konkrete Ausgestaltung von Innovationsprozessen gewähren und somit auch neue Sichtweisen auf historische Entwicklungen eröffnen.
Wir verstehen unter Innovation nicht nur technische Neuerungen, sondern auch Änderungen in der Organisationsstruktur oder in den administrativen Systemen des Verzeichnens, Speicherns und Wiederabrufens. Im Sinne der Actor-Network-Theory sind administrative Strukturen als komplexe Gefüge von Akteur*innen, etwa den Dienstnehmer*innen und Bürger*innen, und Artefakten, etwa Formularen, Schreibmaschinen oder Computern, zu sehen. Innovationen werden somit nicht als entkoppelte Maßnahmen der Effizienzsteigerung verstanden, sondern als dynamische Anpassungsleistungen. Dabei kann die Frage nach (Kultur‑)Techniken und Medien der Verwaltung neue Einsichten in Verwaltungshandeln eröffnen, wie Jos Raadschelders in seinem Handbuch der Verwaltungsgeschichte betonte: »The impact of technological innovations on office administration would be an interesting avenue of study since it underlines the multifaceted nature of bureaucratization.« (Raadschelders 2000, S. 132).
In diesem Sinne stufen wir Innovationen als Aushandlungsprozesse verschiedener Akteur*innen ein, deren Erforschung ein vertieftes Verständnis von staatlichen und nicht-staatlichen Bürokratien erlaubt. Es gilt demnach zu fragen, wer die Akteur*innen der Innovationen und ihre intendierten Nutzer*innen waren und welchen Einfluss diese (direkt und indirekt) auf den Prozess der Innovationen nahmen. Ebenso ist danach zu fragen, inwiefern die Artefakte, die mit diesen Reformvorhaben in Verwaltungshandeln integriert werden sollten, administrative Praktiken veränderten. Es sind die Prozesse der Implementation und Adaption, der Veränderung und erneuten Stabilisierung, die wir für die Erforschung von Modernen Bürokratien als höchst fruchtbar erachten.
Das Programm der Veranstaltung gliedert sich inhaltlich in fünf Themenfelder:
- Technologische Gestaltungsmittel und administrative Verfahren: Wie wirkten sich Technologien auf die Bürokratie aus bzw. veränderten diese? Sie werden hier nicht nur als »Hilfsmittel« begriffen, sondern es wird nach ihrer gestaltenden Wirkung auf Verwaltungsprozesse gefragt. Im Zentrum dieses inhaltlichen Analyseaspekts stehen die Medien der Bürokratie: Von Akten, Registraturen und Find- und Suchsystemen, über (elektro-) mechanische Apparate wie Schreibmaschinen und Lochkarten hin zu Digitalisierung und elektronischen Akten. Es geht mithin auch um eine Engführung von Verwaltungs- und Mediengeschichte und darum, inwieweit technische Schnittstellen nicht einfach Vermittlung und Anschluss ermöglichen, sondern ein Potenzial der Eigendynamik aufweisen.
- Administrative Organisationen und externe Expertise: Moderne Verwaltungen sind von einer engen Verflechtung mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen gekennzeichnet, die Expertise zu spezifischen Tätigkeitsfeldern sowie zum ›richtigen‹ Funktionieren der Verwaltung beanspruchen. Es stellt sich einerseits die Frage, wie externe Wissensbestände und Akteursgruppen in die Verwaltung integriert werden, um ihre politischen, ökonomischen oder sozialen Aufgaben erfüllen zu können. Andererseits ist die Rolle externer Expert*innen bei der Schaffung von Innovationsdruck innerhalb der Verwaltung und der Implementation von Reformen zu berücksichtigen.
- Verwaltung und Partizipation an Entscheidungsprozessen: Verwaltungen eröffnen für die verschiedenen Akteur*innen in unterschiedlichem Maße Räume der Partizipation. Damit verbunden sind Fragen nach der Ausgestaltung von Transparenz, Teilhabe und Mitsprache, wie auch von Kommunikation mit und innerhalb von Behörden. Im Zentrum dieses Themas steht das Verhältnis von Innovation und Partizipation: In welchen Stadien eines innovativen Prozesses eröffnen sich für welche Akteur*innen Möglichkeiten an Entscheidungen teilzuhaben? Wie nehmen sie Einfluss auf die Ausgestaltung von Innovationen, welche Gestaltungsspielräume ergeben sich und welche Motive beeinflussen ihr Handeln?
- Verwaltung und die Herstellung von Adressierbarkeit: Das Ausgreifen des Staates in die Fläche und die Durchsetzung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gingen mit dem Sammeln von Informationen über die Einwohner*innen eines Staates einher. So bedingten sich Staatsbildungsprozesse und die Ausweitung der Verwaltung gegenseitig, wobei die Herstellung von Adressierbarkeit als zentral erscheint. Welche Innovationen beförderten die Herstellung individueller Zuordenbarkeit? Welche Informationen wurden zu diesem Zweck erhoben? Welcher Medien bediente sich die Verwaltung, um diese Daten zu sammeln, sie zu verzeichnen und verwaltungsintern zu kommunizieren, um sie so in administrativ wirksames Wissen zu transformieren?
- Bürokratie und internationale Organisationen: Der Bedeutungszuwachs des internationalen Rechts und die Schaffung internationaler Organisationen zwischen 1918 und 1939 sowie neuerlich nach 1945 gingen mit dem Aufbau neuer, internationaler Verwaltungsapparate einher. Sie stellten damit in gewisser Weise per se bereits eine Innovation dar. Nachdem der Auf- und Ausbau von Verwaltungsstrukturen zumeist in engem Zusammenhang mit (nationalen) Staatsbildungsprozessen analysiert wird, sollen in diesem Workshop auch das Verhältnis von Innovation und Verwaltung in einer multilateral ausgerichteten Bürokratie in den Blick genommen werden.
Einige formale Aspekte respektive Rahmenbedingungen anzuführen (sozusagen das AMT zur ANT), ist unumgänglich:
- Um der Diskussion im Rahmen des Workshops möglichst viel Raum zu geben, werden die acht schriftlichen Primär-Beiträge (cf. Programm) allen Teilnehmer*innen vorab zur Lektüre bereitgestellt. Für die Diskussion jeden Beitrags stehen während des Workshops 60 Minuten zur Verfügung, wobei sie zunächst von zwei Teilnehmer*innen kommentiert und anschließend gemeinsam diskutiert werden. Um den Dialog zwischen Wissenschaft und Verwaltung zu fördern, wird dabei jeweils eine*r der Kommentator*innen aus dem öffentlichen Dienst kommen. Für die einzelnen Kommentare sind jeweils ca. 10 Minuten vorgesehen.
- Organisatorische Eckdaten: 12.–13.12.2019 |–| Wien, Österreichisches Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport, Hohenstaufengasse 3, Raum 128 |–| Organisation: Peter Becker (Universität Wien), Elisabeth Berger (Universität Salzburg), Peter Plener (Bundesministerium für öffentlichen Dienst und Sport), Thomas Rohringer (TU Berlin)
- Eine Anmeldung ist – beschränkte Raumverhältnisse und folglich Teilnehmer*innenzahl – unabdingbare Voraussetzung. Diese kann bspw. über (= ANT) oder (= AMT) erfolgen.
Peter Becker, Elisabeth Berger,
Peter Plener, Thomas Rohringer